Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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die hochedle Gemahlin Seiner Herrlichkeit des vor vier Jahren selig gestorbenen Lords von Leytenstone.«

      »Das heißt mit kürzeren Worten ausgedrückt: sie ist Witwe.«

      »Sehr wohl, mein Herr.«

      »Gut! Uebrigens bleibt es dann ja sowieso bei Mylady.«

      Es ging durch eine Säulenhalle, einige breite Stufen hinauf, von steinernen Löwen bewacht, welche nicht so ausreißen konnten wie vorhin der lebendige, dann in eine weite Halle, gerade durch ihre steinerne Nacktheit wieder an altrömische Zeiten erinnernd, nicht minder aber durch prachtvolle Mosaik und Wandgemälde – und in der Mitte der Halle saß sie schon wieder auf einem Thronsessel, immer noch als römische Patrizierin, immer noch umgeben von einer römischen Leibwache.

      Wirklich ein famoses Frauenzimmerchen! Dieser knabenhafte Trotz in dem kleinen Gesichtchen gefiel mir. Das war einmal etwas ganz anderes. Mit der hätte ich nur immer Extratouren getanzt, es hätte kosten können, was es wollte. Und Witwe? Ich hätte sie eher für ein Mädchen gehalten. In dieser Beleuchtung sah sie wie höchstens achtzehn aus.

      Was mich selbst anbetrifft, so sei nur bemerkt, daß ich die Hände aus den Hosentaschen genommen hatte. Ich wußte, was Anstand ist.

      Jetzt versuchte sie ein recht strenges Gesicht zu machen.

      »Wie heißen Sie?« erklang es kurz, fast schroff.

      Oho! Das fuhr mir gleich in die Nase. Na, ich wollte einen Pflock zurückstecken. Mit solchen reichen Herrschaften, die gar keine Lebenserfahrung haben und zwischen speichelleckenden Schranzen und Lakaien großgeworden sind, muß man etwas Rücksicht haben.

      »Richard Jansen,« entgegnete ich also und machte nach hinten meinen elegantesten Kratzfuß.

      »Das ist kein englischer Name.«

      »Nein, aber ein deutscher – ich bin aus Danzig – ein echter Danzikmann.«

      »Was sind Sie?«

      »Steuermann.«

      »Auf einem Schiffe?«

      »Na, dachten Sie etwa auf’m Kutscherbocke?« fuhr es mir heraus.

      Ueber ihr blasses Gesicht huschte etwas, es war ein heiterer Zug, sie biß sich heimlich auf die Lippen. Doch schnell war sie wieder die unnahbare Aristokratin – was auf mich so den Eindruck von kindlicher Spielerei machte, die ich gutmütig beobachtete.

      »Auf welchem Schiffe sind Sie Steuermann?« fuhr sie dann in ihrem herrischen Examen fort.

      »Zuletzt war ich auf der ›Helios‹ – von Liverpool nach Valparaiso und zurück nach London. Vor sechs Wochen wurde ich abgemustert. Seitdem liege ich an Land.«

      »Wo wohnen Sie?«

      »In der Cablestreet – Nähe von Westindia-Dock.«

      »Nummer?«

      »Nummer 277.«

      »Wohnen Sie da bei anderen Leuten?«

      Was wollte die eigentlich von mir? Behandelt man so seinen Lebensretter? Na, ich blieb ruhig. Kratzfüße freilich machte ich nicht mehr.

      »Jawohl, bei einem Boardingmaster.«

      »Boardingmaster? Ah, ich verstehe. Wie heißt der Mann?«

      »Benjamin Franklin. Das ist aber nicht der, der den Blitzableiter erfunden hat, das ist ein anderer.«

      Wieder zuckte es in dem hübschen Gesicht, wieder biß sie sich auf die Lippen.

      Dann schwieg sie lange, blickte mich unverwandt an. Mir wurde es nach und nach zu viel. Um zu zeigen, wer ich eigentlich war, steckte ich die linke Hand in die Hosentasche und klimperte mit dem Reste von Marys zwei Schillingen, mit der rechten holte ich meinen silbernen Zahnstocher hervor und benutzte ihn.

      Endlich hatte sie mich lange genug betrachtet.

      »Herr Jansen, Sie haben mir … «

      »Bitte, Mylady – Herr Steuermann,« korrigierte ich sie sofort, um zu zeigen, daß ich auch was war, und sie nahm die Zurechtweisung ohne Wimperzucken an.

      »Herr Steuermann, Sie haben mir das Leben gerettet.«

      Ich nahm die Hand aus der Tasche und den Zahnstocher aus dem Munde. Denn jetzt sprach sie wieder, wie sich’s gehört.

      »Sie haben mir das Leben gerettet, Herr Steuermann.«

      »O, Mylady, was das anbetrifft – das war nur meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit – überhaupt war ich ja erst daran schuld, daß Sie in Gefahr kamen, ich muß deswegen noch um Entschuldigung bitten.«

      »Sie hatten den Stier geneckt?«

      Mir war schon aufgefallen, daß sie sich nicht gleich nach den Einzelheiten erkundigt hatte, wie ich über den Zaun gekommen war und mir nach der Ochse. Wie ich später erfuhr, was ich gleich vorausschicke, war mein Abenteuer doch von einigen Leuten in der Villa beobachtet worden, man hatte es der Lady bereits hinterbracht.

      »Nein, Mylady. Ich necke niemals einen Menschen, noch weniger einen Ochsen. Ich blieb einmal stehen, das Biest wurde wahrscheinlich eifersüchtig auf mich, und nachdem es mich einige Male um einen Baum gejagt hatte, erspähte ich jenen Zaun als meine Rettung. Daß es so kommen würde, konnte ich nicht ahnen. Ich bitte um Entschuldigung.«

      Wieder ein minutenlanges Sinnen und Michanblicken.

      »Trotzdem,« hob sie dann wieder an, »Sie haben mir das Leben gerettet. Ohne Sie wäre ich jetzt zer … genug! Ich möchte Sie belohnen.«

      »O, Mylady, davon ist gar keine Rede … «

      »Still!« unterbrach sie mich herrisch. »Ich nehme nie etwas umsonst an, und Wohltaten muß man überhaupt vergelten. Wissen Sie, wer ich bin?«

      »Die Lady Blodwen von Leytenstone.«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Ich habe vorhin den Diener danach gefragt, der mich zurückholte.«

      »Was haben Sie den Mann sonst noch gefragt?«

      »Gar nichts weiter. Nun ja, ob Sie immer so mit Ohrfeigen um sich werfen, wie ich es vorhin sah, was eigentlich auch ganz in der Ordnung war, denn verdient hatten’s diese römischen Helden.«

      Wieder blickte sie mich lange an.

      »Was haben Sie den Diener sonst noch über mich gefragt?« fuhr sie dann ungerührt fort.

      »Gar nichts weiter – auf Ehre nicht – fragen Sie’n doch selbst.«

      »Wie kommen Sie eigentlich hierher?«

      »Nu, heute ist doch Sonntag – und ich habe doch sonst nichts weiter zu tun – da habe ich so einen kleinen Spaziergang gemacht.«

      »Ganz zufällig kamen Sie hierher?«

      »Ganz zufällig.«

      »Sie wußten nicht, daß dies die Residenz der Lady Leytenstone ist?«

      »Nee.«

      »Aber Sie haben doch schon von der Lady Blodwen von Leytenstone gehört!«

      »Nee.«

      »Wie, Sie hätten überhaupt noch nichts von der tollen Lady Blodwen gehört?!«

      »Nee.«

      »Von der Lady Leytenstone, die seit vier Jahren mit der englischen Krone prozessiert?«

      »Nee.«

      »Von der tollen Lady Blodwen, die unter Kuratel steht?«

      »Nee.«

      »Ja, lesen Sie denn gar keine Zeitungen?!«

      »Nee.«

      »Haben Sie schon gespeist?«

      Ich hätte bald laut aufgelacht. Dieser plötzliche Wechsel der Fragen wirkte auf mich urkomisch.