Arthur Schopenhauer

Parerga und Paralipomena


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der Zeit sie vorbereitet haben. Demgemäß präludiren dann vereinzelte Aussprüche. Allein nur wer eine Wahrheit aus ihren Gründen erkannt und in ihren Folgen durchdacht, ihren ganzen Inhalt entwickelt, den Umfang ihres Bereichs übersehn und sie sonach, mit vollem Bewußtseyn ihres Werthes und ihrer Wichtigkeit, deutlich und zusammenhängend dargelegt hat, der ist ihr Urheber. Daß sie hingegen, in alter oder neuer Zeit, irgend ein Mal mit halbem Bewußtseyn und fast wie ein Reden im Schlaf, ausgesprochen worden und demnach sich daselbst finden läßt, wenn man hinterher danach sucht, bedeutet, wenn sie auch totidem verbis dasteht, nicht viel mehr, als wäre es totidem litteris; gleichwie der Finder einer Sache nur Der ist, welcher sie, ihren Werth erkennend, aufhob und bewahrte; nicht aber Der, welcher sie zufällig ein Mal in die Hand nahm und wieder fallen ließ; oder, wie Kolumbus der Entdecker Amerika’s ist, nicht aber der erste Schiffbrüchige, den die Wellen ein Mal dort abwarfen. Dies eben ist der Sinn des Donatischen pereant qui ante nos nostra dixerunt. Wollte man hingegen dergleichen zufällige Aussprüche als Prioritäten gegen mich geltend machen; so hätte man viel weiter ausholen und z. B. anführen können, daß Clemens Alexandrinus (Strom. II. c. 17) sagt: προηγειται τοινυν παντων το βουλεσθαι. αί γαρ λογικαι δυναμεις του βουλεσθαι διακονοι πεφυκασι (Velle ergo omnia antecedit: rationales enim facultates sunt voluntatis ministrae. S. Sanctorum Patrum Opera polemica, Vol. V. Wirceburgi 1779: Clementis Alex. Opera Tom. II, p. 304); wie auch, daß Spinoza sagt: Cupiditas est ipsa unius cujusque natura, seu essentia (Eth. P. III, prop. 57) und vorher: Hic conatus, cum ad mentem solam refertur, Voluntas appellatur; sed cum ad mentem et corpus simul refertur, vocatur Appetitus, qui proinde nihil aliud est, quam ipsa hominjs essentia. (P. III, prop. 9, schol. und schließlich P. III. Defin. 1, explic.) – Mit großem Rechte sagt Helvetius: Il n’est point de moyens que l’envieux, sous l’apparence de la justice, n’emploie pour dégrader le mérite … C’est l’envie seule qui nous fait trouver dans les anciens toutes les découvertes modernes. Une phrase vide de sens, ou du moins inintelligible avant ces découvertes, suffit pour faire crier au plagiat. (De l’esprit IV, 7.) Und noch eine Stelle des Helvetius sei es mir erlaubt, über diesen Punkt in Erinnerung zu bringen, deren Anführung ich jedoch bitte, mir nicht als Eitelkeit und Uebermuth auszulegen, sondern allein die Richtigkeit des darin ausgedrückten Gedankens im Auge zu behalten, es dahin stehn lassend, ob irgend etwas davon auf mich Anwendung finden könne, oder nicht. Quiconque so plaît à considérer l’esprit humain voit, dans chaque siècle, cinq ou six hommes d’esprit tourner autour de la découverte que fait l’homme de génie. Si l’honneur en reste à ce dernier, c’est que cette découverte est, entre ses mains, plus féconde que dans les mains de tout autre; c’est qu’il rend ses idées avec plus de force et de netteté; et qu’enfin on voit toujours à la manière différente, dont les hommes tirent parti d’un principe ou d’une découverte, à qui ce principe ou cette découverte appartient (De l’esprit IV, 1). —

      In Folge des alten, unversöhnlichen Krieges, den überall und immerdar Unfähigkeit und Dummheit gegen Geist und Verstand führt, – sie durch Legionen, er durch Einzelne vertreten, – hat Jeder, der das Werthvolle und Aechte bringt, einen schweren Kampf zu bestehn, gegen Unverstand, Stumpfheit, verdorbenen Geschmack, Privatinteressen und Neid, alle in würdiger Allianz, nämlich in der, von welcher Chamfort sagt: en examinant la ligue des sots contre les gens d’esprit, on croirait voir une conjuration de valets pour écarter les maîtres. Mir aber war außerdem noch ein ungewöhnlicher Feind hinzugegeben: ein großer Theil Derer, welche in meinem Fache das Urtheil des Publikums zu leiten Beruf und Gelegenheit hatten, war angestellt und besoldet, das Allerschlechteste, die Hegelei, zu verbreiten, zu loben, ja in den Himmel zu erheben. Dies kann aber nicht gelingen, wenn man zugleich das Gute, auch nur einigermaaßen, will gelten lassen. Hieraus erkläre sich der spätere Leser die ihm sonst räthselhafte Thatsache, daß ich meinen eigentlichen Zeitgenossen so fremd geblieben bin, wie der Mann im Monde. Jedoch hat ein Gedankensystem, welches, auch beim Ausbleiben aller Theilnahme Anderer, seinen Urheber ein langes Leben hindurch unablässig und lebhaft zu beschäftigen und zu anhaltender, unbelohnter Arbeit anzuspornen vermag, eben hieran ein Zeugniß für seinen Werth und seine Wahrheit. Ohne alle Aufmunterung von außen hat die Liebe zu meiner Sache ganz allein, meine vielen Tage hindurch, mein Streben aufrecht gehalten und mich nicht ermüden lassen: mit Verachtung blickte ich dabei auf den lauten Ruhm des Schlechten. Denn beim Eintritt ins Leben hatte mein Genius mir die Wahl gestellt, entweder die Wahrheit zu erkennen, aber mit ihr Niemanden zu gefallen; oder aber, mit den Andern das Falsche zu lehren, unter Anhang und Beifall: mir war sie nicht schwer geworden. Demgemäß nun aber wurde das Schicksal meiner Philosophie das Widerspiel dessen, welches die Hegelei hatte, so ganz und gar, daß man beide als die Kehrseiten des selben Blattes ansehn kann, der Beschaffenheit beider Philosophien gemäß. Die Hegelei, ohne Wahrheit, ohne Klarheit, ohne Geist, ja ohne Menschenverstand, dazu noch im Gewand des ekelhaftesten Gallimathias, den man je gehört, auftretend, wurde eine oktroyirte und privilegirte Kathederphilosophie, folglich ein Unsinn, der seinen Mann nährte. Meine, zur selben Zeit mit ihr auftretende Philosophie hatte zwar alle Eigenschaften, welche jener abgingen: allein sie war keinen höhern Zwecken gemäß zugeschnitten, bei den damaligen Zeitläuften für das Katheder gar nicht geeignet und also, wie man spricht, nichts damit zu machen. Da folgte es, wie Tag auf Nacht, daß die Hegelei die Fahne wurde, der Alles zulief, meine Philosophie hingegen weder Beifall noch Anhänger fand, vielmehr, mit übereinstimmender Absichtlichkeit, gänzlich ignorirt, vertuscht, wo möglich erstickt wurde; weil durch ihre Gegenwart jenes so erkleckliche Spiel gestört worden wäre, wie Schattenspiel an der Wand durch hereinfallendes Tageslicht. Demgemäß nun also wurde ich die eiserne Maske, oder, wie der edele Dorguth sagt, der Kaspar Hauser der Philosophieprofessoren:20 abgesperrt von Luft und Licht, damit mich Keiner sähe und meine angeborenen Ansprüche nicht zur Geltung gelangen könnten. Jetzt aber ist der von den Philosophieprofessoren todtgeschwiegene Mann wieder auferstanden, zur großen Bestürzung der Philosophieprofessoren, die gar nicht wissen, welches Gesicht sie jetzt aufsetzen sollen.

      Ueber

      Die Universitäts Philosophie.

      ΄Η άτιμία φιλοσοφία διά ταύτα προσπέπτωκεν,

      ότι ού κατ΄ άξίαν αυτής άπτονται. ού γάρ νο

      θους έδει άπτεσθαι, άλλά γνησίους.

      Plato, de rep. VII.

      Ueber die Universitäts Philosophie.

      Inhaltsverzeichnis

      Daß die Philosophie auf Universitäten gelehrt wird, ist ihr allerdings auf mancherlei Weise ersprießlich. Sie erhält damit eine öffentliche Existenz und ihre Standarte ist aufgepflanzt vor den Augen der Menschen; wodurch stets von Neuem ihr Daseyn in Erinnerung gebracht und bemerklich wird. Der Hauptgewinn hieraus wird aber seyn, daß mancher junge und fähige Kopf mit ihr bekannt gemacht und zu ihrem Studio auferweckt wird. Inzwischen muß man zugeben, daß der zu ihr Befähigte und eben daher ihrer Bedürftige sie auch wohl auf andern Wegen antreffen und kennen lernen würde. Denn was sich liebt und für einander geboren ist findet sich leicht zusammen: Verwandte Seelen grüßen sich schon aus der Ferne. Einen Solchen nämlich wird jedes Buch irgend eines ächten Philosophen, das ihm in die Hände fällt, mächtiger und wirksamer anregen, als der Vortrag eines Kathederphilosophen, wie ihn der Tag giebt, es vermag. Auch sollte auf den Gymnasien der Platon fleißig gelesen werden, als welcher das wirksamste Erregungsmittel des philosophischen Geistes ist. Ueberhaupt aber bin ich allmälig der Meinung geworden, daß der erwähnte Nutzen der Kathederphilosophie von dem Nachtheil überwogen werde, den die Philosophie als Profession der Philosophie als freier Wahrheitsforschung, oder die Philosophie im Auftrage der Regierung der Philosophie im Auftrage der Natur und