Arthur Schopenhauer

Parerga und Paralipomena


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Wahrheiten durch Wortschwall verundeutlichenden Floskeln, oder gar mit hegelischem absoluten Nonsens? – Und nun noch andrerseits, wenn dann auch wirklich der redliche Johannes aus der Wüste käme, der, in Felle gekleidet und von Heuschrecken genährt, von all dem Unwesen unberührt geblieben, unterweilen, mit reinem Herzen und ganzem Ernst, der Forschung nach Wahrheit obgelegen hätte und deren Früchte jetzt anböte; welchen Empfang hätte er zu gewärtigen von jenen zu Staatszwecken gedungenen Geschäftsmännern der Katheder, die mit Weib und Kind von der Philosophie zu leben haben, deren Losung daher ist primum vivere, deinde philosophari, die demgemäß den Markt in Besitz genommen und schon dafür gesorgt haben, daß hier nichts gelte, als was sie gelten lassen, mithin Verdienste nur existiren, sofern es ihnen und ihrer Mittelmäßigkeit beliebt, sie anzuerkennen. Sie haben nämlich die Aufmerksamkeit des ohnehin kleinen, sich mit Philosophie befassenden Publikums am Leitseil; da dasselbe aus Sachen, die nicht, wie die poetischen Produktionen, Ergötzung, sondern Belehrung, und zwar pekuniär unfruchtbare Belehrung, verheißen, seine Zeit, Mühe und Anstrengung wahrlich nicht verwenden wird, ohne vorher volle Versicherung darüber zu haben, daß solche auch reichlich belohnt werden. Diese nun erwartet es, seinem angeerbten Glauben, daß wer von einer Sache lebt, es auch sei, der sie versteht, zufolge, von den Männern des Fachs, welche denn auch, aus Kathedern und in Kompendien, Journalen, und Litteraturzeitungen sich mit Zuversicht als die eigentlichen Meister der Sache geriren: von diesen demnach läßt es sich das Beachtenswerthe und sein Gegentheil vorschmecken und aussuchen. – O, wie wird es dir da ergehn, mein armer Johannes aus der Wüste, wenn, wie zu erwarten steht, was du bringst nicht der stillschweigenden Konvention der Herren von der lukrativen Philosophie gemäß abgefaßt ist! Sie werden dich ansehn als Einen, der den Geist des Spieles nicht gefaßt hat und dadurch es ihnen allen zu verderben droht; mithin als ihren gemeinsamen Feind und Widersacher. Wäre was du bringst nun auch das größte Meisterstück des menschlichen Geistes; vor ihren Augen könnte es doch nimmermehr Gnade finden. Denn es wäre ja nicht ad normam conventionis abgefaßt, folglich nicht der Art, daß sie es zum Gegenstand ihres Kathedervortrags machen könnten, um nun auch davon zu leben. Einem Philosophieprofessor fällt es gar nicht ein, ein auftretendes neues System darauf zu prüfen, ob es wahr sei, sondern er prüft es sogleich nur darauf, ob es mit den Lehren der Landesreligion, den Absichten der Regierung und den herrschenden Ansichten der Zeit in Einklang zu bringen sei. Danach entscheidet er über dessen Schicksal. Wenn es aber dennoch durchdränge, wenn es, als belehrend und Aufschlüsse enthaltend, die Aufmerksamkeit des Publikums erregte und von diesem des Studiums werth befunden würde; so müßte es ja in demselben Maaße die kathederfähige Philosophie um eben jene Aufmerksamkeit, ja, um ihren Kredit und, was noch schlimmer ist, um ihren Absatz bringen. Di meliora! Daher darf dergleichen nicht aufkommen, und müssen hiegegen Alle für Einen Mann stehn. Die Methode und Taktik hiezu giebt ein glücklicher Instinkt, wie er jedem Wesen zu seiner Selbsterhaltung verliehen ist, bald an die Hand. Nämlich das Bestreiten und Widerlegen einer, der norma conventionis zuwiderlaufenden Philosophie ist oft, zumal wo man wohl gar Verdienste und gewisse, nicht durch das Professordiplom ertheilbare Eigenschaften wittert, eine bedenkliche Sache, an die man, in letzterem Falle, sich gar nicht wagen darf, indem dadurch die Werke, deren Unterdrückung indicirt ist, Notorietät erhalten und die Neugierigen hinzulaufen würden, alsdann aber höchst unangenehme Vergleichungen angestellt werden könnten und der Ausgang mißlich seyn dürfte. Hingegen einhellig, als Brüder gleichen Sinnes, wie gleichen Vermögens, eine solche ungelegene Leistung als non avenue betrachten; mit der unbefangensten Miene das Bedeutendeste als ganz unbedeutend, das tief Durchdachte und für die Jahrhunderte Vorhandene als nicht der Rede werth aufnehmen, um so es zu ersticken; hämisch die Lippen zusammenbeißen und dazu schweigen, schweigen mit jenem schon vom alten Seneka denunzirten silentium, quod livor indixerit (ep. 79); und unterweilen nur desto lauter über die abortiven Geisteskinder und Mißgeburten der Genossenschaft krähen, in dem beruhigenden Bewußtseyn, daß ja Das, wovon Keiner weiß, so gut wie nicht vorhanden ist, und daß die Sachen in der Welt für Das gelten, was sie scheinen und heißen, nicht für Das, was sie sind; – Dies ist die sicherste und gefahrloseste Methode gegen Verdienste, welche ich demnach allen Flachköpfen, die ihren Unterhalt durch Dinge suchen, zu denen höhere Begabtheit gehört, bestens empfohlen haben wollte, ohne jedoch mich auch für die spätern Folgen derselben zu verbürgen.

      Jedoch sollen hier keineswegs, als über ein inauditum nefas, die Götter angerufen werden: ist doch dies Alles nur eine Scene des Schauspiels, welches wir zu allen Zeiten, in allen Künsten und Wissenschaften, vor Augen haben, nämlich den alten Kampf Derer, die für die Sache leben, mit Denen, die von ihr leben, oder Derer, die es sind, mit Denen, die es vorstellen. Den Einen ist sie der Zweck, zu welchem ihr Leben das bloße Mittel ist, den Andern das Mittel, ja die lästige Bedingung zum Leben, zum Wohlseyn, zum Genuß, zum Familienglück, als in welchen allein ihr wahrer Ernst liegt; weil hier die Gränze ihrer Wirkungssphäre von der Natur gezogen ist. Wer dies exemplificirt sehn und näher kennen lernen will, studire Litterargeschichte und lese die Biographien großer Meister in jeder Art und Kunst. Da wird er sehn, daß es zu allen Zeiten so gewesen ist, und begreifen, daß es auch so bleiben wird. In der Vergangenheit erkennt es Jeder; fast Keiner in der Gegenwart. Die glänzenden Blätter der Litterargeschichte sind, beinahe durchgängig, zugleich die tragischen. In allen Fächern bringen sie uns vor Augen, wie, in der Regel, das Verdienst hat warten müssen, bis die Narren ausgenarrt hatten, das Gelag zu Ende und Alles zu Bette gegangen war: dann erhob es sich, wie ein Gespenst aus tiefer Nacht, um seinen, ihm vorenthaltenen Ehrenplatz doch endlich noch als Schatten einzunehmen.

      Wir inzwischen haben es hier allein mit der Philosophie und ihren Vertretern zu thun. Da finden wir nun zunächst, daß von jeher sehr wenige Philosophen Professoren der Philosophie gewesen sind, und verhältnißmäßig noch wenigere Professoren der Philosophie Philosophen; daher man sagen könnte, daß, wie die idioelektrischen Körper keine Leiter der Elektricität sind, so die Philosophen keine Professoren der Philosophie. In der That steht dem Selbstdenker diese Bestellung beinahe mehr im Wege, als jede andere. Denn das philosophische Katheder ist gewissermaaßen ein öffentlicher Beichtstuhl, wo man coram populo sein Glaubensbekenntniß ablegt. Sodann ist der wirklichen Erlangung gründlicher, oder gar tiefer Einsichten, also dem wahren Weisewerden, fast nichts so hinderlich, wie der beständige Zwang, weise zu scheinen, das Auskramen vorgeblicher Erkenntnisse, vor den lernbegierigen Schülern, und das Antwortbereit-haben auf alle ersinnliche Fragen. Das Schlimmste aber ist, daß einen Mann in solcher Lage, bei jedem Gedanken, der etwan noch in ihm aufsteigt, schon die Sorge beschleicht, wie solcher zu den Absichten hoher Vorgesetzter passen würde: Dies paralysirt sein Denken so sehr, daß schon die Gedanken selbst nicht mehr aufzusteigen wagen. Der Wahrheit ist die Atmosphäre der Freiheit unentbehrlich. Ueber die exceptio, quae firmat regulam, daß Kant ein Professor gewesen, habe ich schon oben das Nöthige erwähnt, und füge nur hinzu, daß auch Kants Philosophie eine großartigere, entschiedenere, reinere und schönere geworden seyn würde, wenn er nicht jene Professur bekleidet hätte; obwohl er, sehr weise, den Philosophen möglichst vom Professor gesondert hielt, indem er seine eigene Lehre nicht auf dem Katheder vortrug. (Siehe Rosenkranz, Geschichte der Kantischen Philosophie, S. 148.)

      Sehe ich nun aber auf die, in dem halben Jahrhundert, welches seit Kants Wirksamkeit verstrichen ist, auftretenden, angeblichen Philosophen zurück; so erblicke ich leider keinen, dem ich nachrühmen könnte, sein wahrer und ganzer Ernst sei die Erforschung der Wahrheit gewesen: vielmehr finde ich sie alle, wenn auch nicht immer mit deutlichem Bewußtseyn, auf den bloßen Schein der Sache, auf Effektmachen, Imponiren, ja, Mystificiren bedacht und eifrig bemüht, den Beifall der Vorgesetzten und nächstdem der Studenten zu erlangen; wobei der letzte Zweck immer bleibt, den Ertrag der Sache, mit Weib und Kind, behaglich zu verschmausen. So ist es aber auch eigentlich der menschlichen Natur gemäß, welche, wie jede thierische Natur, als unmittelbare Zwecke nur Essen, Trinken und Pflege der Brut kennt, dazu aber, als ihre besondere Apanage, nur noch die Sucht zu glänzen und zu scheinen erhalten hat. Hingegen ist zu wirklichen und ächten Leistungen in der Philosophie, wie in der Poesie und den schönen Künsten, die erste Bedingung ein ganz abnormer Hang, der, gegen die Regel der menschlichen Natur, an die Stelle des subjektiven Strebens nach dem Wohl der eigenen Person, ein völlig objektives, auf eine der Person fremde Leistung gerichtetes Streben