mehrmals Bilderkarten vorgelegt, die sie zu einer Geschichte ordnen sollte.«
»Und? Hat es geklappt?«
»Das erste Mal schon, das zweite Mal nicht«, antwortete Schwester Annabel.
Matthias nickte nachdenklich dazu.
»Genauso verhält es sich mit ihrer Sprachfertigkeit. Seit dem Anfall schwankt sie extrem.«
Daniel hatte aufmerksam zugehört. Sein Kopf arbeitete auf Hochtouren.
»Das klingt aber nicht nach einer zerebralen Störung infolge von Sauerstoffmangel.«
»Das klingt danach, als ob sich in ihrem Gehirn etwas verändert«, bestätigte Dr. Weigand. »Wenn Nicole einen Tumor hätte, würde ich sagen, dass er weiter in den Hirnstamm hinein wächst.«
»So plötzlich?« Daniel griff nach einem weiteren Keks. Seine Augen waren schmal, und er schien angestrengt nachzudenken.
»Offenbar haben die Medikamente eine Entwicklung angestoßen. Leider nicht zum Guten.« Matthias hielt inne. »Was ist? Warum schaust du mich so an?« Der stechende Blick des Kollegen irritierte ihn.
»Hältst du es für möglich, dass sich Nicole Rosenholz mit Würmern infiziert hat?«, stellte Daniel schließlich die Frage, die ihm seit dem Gespräch mit Danny am vergangenen Tag nicht mehr aus dem Sinn ging. Ihr hatten auch seine nächtlichen Recherchen gegolten.
Matthias Weigand lachte ungläubig. Diese Idee war so abwegig, dass er nicht anders konnte. Als Dr. Norden nicht mit einstimmte, hielt er inne.
»Du denkst, sie hat einen Wurm im Gehirn?«, fragte er vorsichtshalber noch einmal nach.
»Ich denke eher an eine Larve. Und wenn du dir mal Gedanken über das machst, was du in grauer Vorzeit im Studium mal gelernt hast, wirst du mir zustimmen.« Daniel stellte die Tasse in die Spüle. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und begann, im Zimmer auf und ab zu wandern. »Ich habe die halbe Nacht recherchiert, und das, was du sagst, bestärkt mich nur in meiner Annahme«, fuhr er fort. Als Matthias etwas einwenden wollte, hob er die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Wo Nicole sich die Wurminfektion eingefangen hat, können wir nicht sagen. Aber wir wissen, dass sich diese Larve mit winzigen Werkzeugen im Darm festbeißt. Sie wächst zu einem Wurm heran, der zwanzig bis dreißigtausend Eier am Tag produziert.« Er blieb vor Schwester Annabel stehen und sah sie an. »Wohin wandern die Eier? Was denken Sie?«
»Sie werden ausgeschieden?«, fragte sie schüchtern zurück.
»Das auch. Aber nicht alle.« Daniel Norden setzte seine Wanderung fort. »Da die Eier winzig klein sind, können sie direkt in den Blutstrom gelangen. Er bringt sie überall hin.«
»Wenn es dumm läuft, auch ins Gehirn«, setzte Matthias Weigand den Gedankengang seines Kollegen fort. Gespannt wie ein Flitzebogen saß er am Tisch. Sein Blick ruhte auf dem Kollegen, doch er sah ihn nicht.
»Auffallend richtig«, stimmte Dr. Norden zu.
»Aber warum hat der Körper so lange nicht auf den Eindringling reagiert?«, stellte Schwester Annabel eine berechtigte Frage.
»Sehr guter Gedanke!« Daniel nickte ihr anerkennend zu. »Das liegt daran, dass sich der Angreifer vor dem Immunsystem quasi verstecken kann. Erst wenn er krank wird oder Gefahr läuft zu sterben, verliert er diese Tarnkappe. Das Immunsystem stürzt sich mit Feuereifer auf ihn und versucht, ihn zu vernichten.«
»Daher rührt also die Entzündung der Blutgefäße in Nicoles Gehirn«, rief Matthias aufgeregt.
»Das nehme ich zumindest an.« Für den Bruchteil einer Sekunde zuckte ein zufriedenes Lächeln um Daniels Mundwinkel. »Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, ob wir recht haben.« Das war der Knackpunkt an der Geschichte.
»Und wie machen wir das?«, stellte Matthias Weigand die alles entscheidende Frage, die auch Daniel die halbe Nacht umgetrieben hatte.
»Wir müssen ein weiteres Medikament ausprobieren und beten und hoffen, dass wir mit unserer Vermutung richtig liegen«, gestand er seufzend. »Darüber wird Frau Rosenholz nicht gerade glücklich sein.«
»Dann müssen wir sie davon überzeugen.« Matthias sprang vom Stuhl auf. »Sonst stirbt sie.«
*
Als Danny Norden an diesem Morgen vor der Sprechstunde in die Klinik kam, spielte ein zufriedenes Lächeln um seine Lippen, und seine Augen leuchteten, dass sogar Moritz Baumann es bemerkte.
Er hatte auf den Arzt gewartet, um sich gemeinsam mit ihm in die Höhle des Löwen zu wagen.
»Nanu, Doc, Sie sehen ja so zufrieden aus.«
»Das ist der beste Beweis dafür, wie positiv die Wirkung intensiven Trainings sein kann«, gab der junge Arzt zurück, während er den Flur hinabging.
Wohlweislich verschwieg er, von welcher Art der körperlichen Ertüchtigung er sprach, und Moritz fragte vorsichtshalber nicht nach.
Im Augenblick hatte er ohnehin andere Sorgen. Seine Gedanken waren schon weitergeeilt.
»Hoffentlich flippt Stella nicht total aus«, murmelte er, als sie vor ihrem Krankenzimmer Halt machten.
»Das werden wir gleich wissen.« Nachdem er geklopft hatte, drückte Danny beherzt die Klinke herunter.
Erschöpft von dem schweren Eingriff, lag Stella flach im Bett. Aber sie war wach und blinzelte ihre Besucher an. Nach ein paar Begrüßungsfloskeln kam Danny auf die Diagnose zu sprechen.
»Laut Laborbefund ist eine Wurminfektion verantwortlich für die Oberflächenveränderung Ihrer Leber«, erklärte er anhand der Bilder aus der Radiologie, die er extra ausgedruckt und mitgebracht hatte. »Eine oder mehrere Larven müssen sich in Ihre Leber eingenistet haben. Sie sind für die Zystenbildung verantwortlich.«
Ungläubig starrte Stella zuerst auf das Bild und dann dem Arzt in die Augen.
»Würmer?« Der Ekel stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Wo sollte ich die herhaben?«
»So was passiert schon mal bei Reisen in exotische Länder.« Dr. Norden junior wandte sich an Moritz. »Sie sollten sich auf jeden Fall auch untersuchen lassen.«
»Später. Im Augenblick geht es um meine Schwester.« Nervös rieb Moritz die Handflächen an der Tuchhose. Der schwierigere Teil des Gesprächs stand ihnen noch bevor.
»Natürlich.« Daniel nickte lächelnd und konzentrierte sich wieder auf seine Patientin.
Inzwischen hatte Stella Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen.
»Aber man kann diese Tiere doch bestimmt irgendwie abtöten.« Ihr hoffnungsvoller Blick ruhte auf Danny Norden.
»Schon. Aber das ist leider nicht das Problem. Wir konnten bei der Operation nur einen Teil des zystischen Gewebes entfernen.«
»Warum haben Sie nicht weitergemacht?« Stella versuchte, sich im Bett aufzusetzen.
Moritz eilte ihr zu Hilfe. Er griff nach der Fernbedienung und stellte das Rückenteil ein wenig hoch.
»Besser so?«
Doch sie beachtete ihn nicht. Sie fixierte den jungen Arzt. Der hielt ihrem Blick tapfer stand.
»Wir waren nicht auf so einen großen Eingriff vorbereitet«, erklärte Danny sachlich. »Zudem wussten wir nicht, mit welchem Gegner wir es zu tun haben. Diese Dinge sind nun geklärt.«
»Geklärt! Geklärt!«, äffte Stella ihn nach. »Gar nichts ist geklärt. Sagen Sie mir endlich, wie es weitergeht. Muss ich noch einmal operiert werden?«
Nur mit Mühe konnte Danny ein Seufzen unterdrücken. Die Reaktion seiner Patientin entsprach in etwa dem, was Moritz vorher gesagt hatte. Eines musste man ihm lassen: Er kannte seine Schwester wirklich gut.
»Das stimmt«, bestätigte er Stellas Annahme. »Und zwar so schnell wie möglich. Es besteht die Gefahr eines dauerhaften Leberschadens. Daran, was passiert, wenn eine weitere Zyste