sich zurück und dachte nach.
»Ich war schon immer gern unterwegs. Mein Rucksack war mein Zuhause. Heute hier, morgen dort … wie Hannes Wader damals gesungen hat. Deshalb ist mir ein normaler Bürojob gar nicht in den Sinn gekommen.« Wenn er daran zurückdachte, musste er lachen. »Ich habe mir meinen Traum verwirklicht. Wenn es uns an einem Ort zu langweilig wird, ziehen Stella und ich einfach weiter ins nächste Hotel, in ein anderes Land.« Versonnen nippte er an seinem Shake.
»Klingt, als wären Sie eine Art moderner Nomade.«
Dieser Begriff gefiel Moritz.
»Stimmt. Und wenn ich mir meine Freunde ansehe, die allesamt seßhaft geworden sind, mit Kind und Kegel deprimiert in einem Reihenhaus am Stadtrand … das einzige Abenteuer die jährliche Pauschalreise nach Italien oder Spanien … nein, danke. Ich würde niemals tauschen.«
Diese harmlose Bemerkung erschreckte Tatjana. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie auf dem besten Weg war, genau dort zu enden. Das war der Grund, warum ihr Dannys Wunsch nach einer eigenen Familie so viel Angst machte.
»Mir ist es auch geglückt, mein Hobby zum Beruf zu machen.« Nach seinem Bericht empfand sie ihr geordnetes Leben als richtiggehend langweilig und musste sich selbst Mut zusprechen. »Ich esse leidenschaftlich gern Süßes. Deshalb bin ich Bäckerin geworden.«
Sofort war Moritz‘ Interesse geweckt.
»Sie haben eine eigene Bäckerei?«
»Und ein kleines Café«, ergänzte Tatjana nicht ohne Stolz. »Auch das Backen ist jeden Tag wieder ein Abenteuer. Man weiß nie, was dabei herauskommt. Und mit der Einrichtung meines Cafés ist es mir gelungen, ein bisschen verzauberten Orient ins nüchterne München zu holen.«
Moritz lachte.
»Dann weiß ich ja, wo ich mir das Fernweh vertreiben kann, falls das mit dem Hotel nicht klappt.« Er schickte ihr einen tiefen Blick, der sie in Verlegenheit brachte. »Ich kann es kaum erwarten, dein Café kennenzulernen.«
Tatjana erschrak. Moritz war ein interessanter Mann und ein noch spannenderer Gesprächspartner. Der kleine Flirt, das anregende Gespräch hatten ihr gut getan und die Wut auf Danny gedämpft. Mehr wollte sie nicht.
»Du?«
»Oh, habe ich Sie geduzt? Das ist so eine Marotte von mir«, entschuldigte er sich schnell. »Es fällt mir schwer, Menschen zu siezen, die mir sympathisch sind.« Sein Lächeln war entwaffnend.
»Meinetwegen können wir dabei bleiben.« Tatjana brachte es nicht übers Herz, ihm einen Korb zu geben. »Im Übrigen sollten wir in Ruhe abwarten, was Dr. Norden herausfindet«, griff sie seine Bemerkung auf. »Bestimmt ist alles halb so wild, und du kannst wie geplant mit deiner Schwester nach Dubai gehen.«
Moritz bedankte sich lächelnd für den Trost.
»Auf der anderen Seite hätte ich gar kein Problem, noch ein bisschen länger in München zu bleiben«, erklärte er und legte wie zufällig seine Hand auf die ihre.
»Störe ich?« Eine erboste Stimme ließ die beiden herumfahren.
Bebend vor Eifersucht stand Danny Norden in der Bar des Fitness-Studios. Schnell zog Tatjana ihre Hand weg.
»Ich habe versucht, dich anzurufen.«
»Mein Handy ist in der Umkleide«, rechtfertigte sie sich.
»Das habe ich gemerkt. Nachdem du zu Hause auch nicht dran gegangen bist, dachte ich mir, dass du noch hier bist.« Sein Ton war scharf, und sofort flammte der Zorn wieder in Tatjana auf. Immerhin hatte er zuerst mit seiner Patientin geshakert.
»Das hab ich doch gesagt.« Sie sah ihn aufreizend an. »Was kann ich für dich tun? Willst du doch noch trainieren?«
Um die Beherrschung nicht zu verlieren, ballte Danny die Hände zu Fäusten. Das war definitiv die falsche Zeit und der falsche Ort für einen Streit. Er wandte sich an Moritz Baumann.
»Stella muss in die Klinik«, teilte er ihm mit. »Im Ultraschall sind unspezifische Veränderungen des Lebergewebes sichtbar. Für eine genauere Diagnose brauchen wir aber ein CT. Ihre Schwester sitzt im Wagen. Ich bringe sie jetzt in die Klinik. Wollen Sie mitkommen?«
Sofort rutschte Moritz vom Barhocker.
»Natürlich.« Er wollte an Danny vorbei Richtung Ausgang gehen, als er noch einmal stehenblieb. »Was ist mit dir? Begleitest du uns?«, wandte er sich an Tatjana, nicht ahnend, welcher Art ihre Beziehung zu dem Arzt war.
Tatjana dachte einen Moment nach. Im Grunde genommen wollte sie keinen Streit mit Danny. In der Hoffnung, ihn damit versöhnlich zu stimmen, lehnte sie ab.
»Nein, danke. Ich muss morgen früh raus. Höchste Zeit für mich, ins Bett zu gehen.«
*
Ernüchtert blickte Nicole Rosenholz auf das Mobiltelefon in ihrer Hand. Sie versuchte noch zu verstehen, ob das nun das Ende ihrer Romanze war, die so vielversprechend begonnen hatte, als ein Arzt zu ihr trat.
»Frau Rosenholz?«
Aus ihren Gedanken gerissen, zuckte sie zusammen.
»Das bin ich.«
»Eigentlich eine blöde Frage. Ist ja niemand mehr hier um diese Uhrzeit.« Dr. Matthias Weigand lächelte. »Es tut mir wahnsinnig leid, dass wir die Bitte des Kollegen Norden nicht erfüllen und die Aufnahmen schon am Nachmittag machen konnten. Aber wie Sie bestimmt mitbekommen haben, gab es kurz vor ihrem Eintreffen eine Massenkarambolage mit vielen Verletzten.«
»Und die brauchten das CT natürlich dringender als ich. Das verstehe ich schon«, versicherte Nicole.
Sie versuchte ein Lächeln, das gründlich misslang.
Matthias bemerkte es.
»Sie müssen nicht traurig sein. Jetzt habe ich alle Zeit der Welt für Sie. In diesen Genuss kommt beileibe nicht jeder Patient«, versuchte er, sie aufzumuntern.
»Und ich habe jetzt alle Zeit der Welt, noch länger zu warten.« Wie immer trug sie ihr Herz auf der Zunge. Sie hob das Handy hoch und zeigte es dem Arzt. »Meine Verabredung ist gerade geplatzt. Und wenn ich den Herrn richtig verstanden habe, will er mich nicht wiedersehen.«
»Wie bitte? Sie sitzen in der Klinik, und er sägt Sie einfach so ab?« Matthias Weigand konnte es nicht fassen.
Nicole schnitt eine Grimasse.
»Na ja, ich habe erzählt, dass mich meine Mutter überraschend braucht. Dabei hab ich vergessen, dass ich ihm beim ersten Treffen schon gesagt hab, dass meine Eltern in Australien leben.«
Matthias lachte.
»Bitte seien Sie mir nicht böse, aber diese Geschichte ist schon lustig«, entschuldigte er sich, als er ihre betroffene Miene bemerkte. »Warum haben Sie nicht einfach die Wahrheit gesagt?«
Nervös betastete Nicole die Wunde an ihrer Lippe.
»Dann wäre es zu Ende gewesen, bevor es überhaupt angefangen hat«, entfuhr es ihr. »Oder wollen Sie ein Mädchen kennenlernen, das sich mit Schaum vor dem Mund auf dem Boden windet?«
»Ich bin gerade dabei und finde es ganz spannend«, gestand Matthias Weigand ohne Zögern.
Seine Offenheit trieb Nicole die Röte auf die Wangen. Schüchtern blickte sie zu ihm auf.
»Sie meinen, ich hätte ihm eine Chance geben sollen, statt ihn zu belügen?«
»Richtig. Aber wenn ihm wirklich etwas an Ihnen liegt, wird er Ihnen verzeihen«,versprach er und winkte sie mit sich.
Es wurde Zeit, sich auf den Weg in die Radiologie zu machen.
»Ihr Wort in Gottes Ohr. Wenn ich weiß, was mir fehlt, werde ich noch einmal mit ihm reden.«
»Tun Sie das!« Dr. Weigand hielt ihr die Tür auf. »Nach Ihnen, schöne Frau.«
Nicole lachte geschmeichelt und betrat