ragen. Steil hinan zu ihnen zog sich das Eisengestänge der Schrägaufzüge, an denen die kleinen Wagen emporkletterten, die mit ihrem Inhalt an Erz, Koks und Kalksteinen unaufhörlich die Öfen beschickten, das heißt in ihren Rachen das Material schütteten. Und schwarz, in den Formen von Riesenzylindern, hielten neben ihnen in Reih und Glied die aufrechten Eisenungeheuer Wache, in denen der Wind erhitzt wurde, der ihrem Feuer als Gebläse diente. Helle Schornsteine, gleich gelblichen, schlanken Säulen erhoben sich frei und leicht, scheinbar ganz ohne Zusammenhang mit den verschiedenen langgestreckten Dächern und den aufgetürmten Bauten, in denen man Maschinen oder Wasserreservoire oder Koksöfen vermuten konnte. Ein Gasometer, rund und klobig, in der Gestalt an das Grabmal der Cäcilia Metella fern drunten in der Sonnenglut der Appischen Straße erinnernd, stand etwas einsamer. Die dunkeln Linien der Drahtseilbahnen und Ausladebrücken durchschnitten die Luft. Sie waren wie Körper, die nur ein Skelett haben und gar keine Muskulatur. Zwischen ihrem Gerippe bewegten sich die Förderwagen, emsig und doch gelassen, die von den Schiffen das Erz und die Kohlen holten und mit dumpfem Prasseln an den rechten Lagerplätzen ausschütteten. All diese Dinge ragten gleich Gipfeln hoch aus dem Arbeitsfeld heraus. Und ein Dunst, bläulich, oft von steigendem weißen oder schwarzgrauen Gewölk durchzogen, umhüllte all diese phantastischen Formen, die bedrohlich und bizarr wirkten, weil sie andere waren, als die Natur sie schafft.
Das Gelände selbst, auf dem die Betriebe der Eisenhütte »Severin Lohmann« angesiedelt worden waren, verbarg sich vom Erker aus dem Blick. Eine große gärtnerische Anlage lag dem Hause gegenüber, von ihm durch die vorbeiziehende Landstraße geschieden. Diese Anlage nahm links, wo sie breit war, den Palisadenzaun des Werkes als Grenze; sie zog sich zum Fluß hinab, wurde nach rechts schmäler und schmäler und verlor sich im Uferstreifen, der flußauf endlich an einer Hochbrücke endete, auf welche die dem Fluß sich immer mehr nähernde Landstraße dort traf.
Diese Silberpappeln und Kastanien, die so rasch emporgewachsen waren und dichte Kronen bekommen hatten; diese Rasen und Gebüschpartien; diese Blumenrabatten, die doch bei östlichem Winde immer grauschwarz bestäubt wurden; diese Sandsteintreppe, die durch die Anlagen dem Hause gerade gegenüber schnitt und zum Flußufer hinabführte, wo früher an einer Brücke eine Lustjacht lag, jetzt aber eine Fähre ihren Platz hatte – das alles war die »Anlage der gnädigen Frau«.
Die gnädige Frau sah einst nicht gern auf die Welt der Kohlen, Erze und Schlacken ...
Drüben am andern Ufer erhob sich über weißsandigem, schroff abfallendem Abhang eine kleine Stadt. Rote Dächer drängten sich um den Kirchturm, dessen spitzes Dach, frisch gedeckt, dunkel vor dem lichten Himmel stand. Der Hahn und die Kugel oben auf der scharfen Spitze flimmerten lustig und neu im Morgenglanze. Aber auch drüben kam zwischen den Dächern heraus Rauch. Aus merkwürdigen breiten, kurzhalsigen kleinen Essen blies er hinauf, stetig quellend. Man räucherte Fische in Schlutup, und einst lebte das ganze Städtchen von Ackerbau und Fischhandel. Nun aber hallte nicht nur der Arbeitslärm über den Fluß hinüber in die Straßen hinein – auch das Geld, das »Severin Lohmann« in Bewegung setzte, rollte hindurch, und neue Werte waren geschaffen, stärkeres Leben pulsierte.
Der alte Herr sah gern hinüber – es tat ihm wohl, zu sehen, wie das da wuchs – wie sich mehr und mehr Industrien ansiedelten, die durch sein Werk und dessen Nebenprodukte hier vorteilhafte Bedingungen fanden.
Und im Grunde genommen durfte er sich wie der ungekrönte König auch des andern Ufers fühlen.
Unten auf dem Fluß, unterhalb der hoch über ihnen sich in die Luft hineinstreckenden Eisengerippe der Ausladebrücken, ankerten ein paar Dampfer. Aus den Tiefen ihres Bauches herauf tauchten die Förderwagen wieder empor, die sich, schwebend an Drahtseilen, voll koketter Grazie leer hinabgelassen hatten – Dampfer aus Schweden – aus Griechenland – Spanien. Erhebend und quälend zugleich war das, den Blick auf seine Welt zu haben und nicht mehr in ihr herumregieren zu können.
Nun saß er hier in seinem palastartigen Haus, das durch ein kunstvolles, hohes Schmiedeisengitter von der Landstraße geschieden war und, inmitten von Vorgärten und anschließendem Park, wie ein fürstlicher Ruhesitz anzusehen war.
Er dankte für Ruhe ...
Die qualvolle Ungeduld, die in ihm kochte, suchte er nun schon seit Monaten zu bezwingen. Er hielt wortlose Monologe über die Größe, die im Entsagenkönnen liegt ... Er forderte von sich Haltung. Daß er sie andern Menschen gegenüber aufzubringen vermochte, gewährte ihm eine kleine Genugtuung. Aber allein mit der Qual, knirschte er mit den Zähnen gegen sie.
Alles wäre wahrscheinlich würdevoll und gefaßt zu ertragen, ohne dieses Elend mit Wynfried ...
Er dachte plötzlich: »Ich verstehe die Prometheussage – ja, weiß Gott, ich weiß, was das ist ... wie’s gemeint ist mit dem Adler, der kommt, dem Gefesselten die Leber auszufressen ... Der Kopf ist klar, der Wille ist stark, aber die Kraft, die man nicht betätigen kann, frißt an einem ...«
Nun merkte er auf – ein heller, schneidender, von dumpfen Untertönen getragener Klang schien heranzukommen. Das riß ihn aus seinen Gedanken. Ja richtig – was für ein bezwingender Rhythmus in dem Volkslied lag, das die Querpfeifen bliesen und die Trommeln schlugen.
Das war das halbe Bataillon Infanterie, das drüben im Städtchen lag. Im Schritt und Tritt marschierte es heran durch die Morgenfrische; voran mit seinem Adjutanten der Major im Stabe, der den beiden Kompanien zur Führung beigegeben war – der eine auf einem hellen Fuchs, der andere auf einem Rappen. Die Soldaten sangen das Lied mit, das ihnen vorgepfiffen und getrommelt ward. Über die Hochbrücke waren sie gekommen und zogen zu einer Gefechtsübung aus – vielleicht um am Meeresstrand anderthalb Stunden ostwärts die Landung eines markierten Feindes zu verhindern.
Nun kamen sie am Hause vorbei, das Gitterwerk überschnitt die marschierenden Gestalten.
Die Offiziere grüßten fast alle hinauf. Sie waren in diesem Hause oft gastlich aufgenommen worden. Jeden Gruß beantwortete mit freundlichem Nicken das weißhaarige, bedeutende Haupt. Die Augen blitzten. Nichts von Krankheit und Alter war in ihnen –
Der Geheimrat redete in seinen Gedanken zu den grüßenden Herren.
»Ja, lieber Schönstedten – bin schon auf – kein Schlaf des Nachts – Was, Likowski? Einen neuen Gaul? Den Rappen natürlich mit Vorteil verkauft – famos zugeritten, wie er war ...«
Und zwei neue Erscheinungen? Das war wohl Leutnant Hornmarck – Herrgott wie klein und zart und jung, und sollte Kerls kommandieren und imponieren, die vielleicht schon mehr vom Leben wußten als er – und der da, der schlanke mit der stolzen Haltung, das mußte der Oberleutnant Stephan Freiherr von Marning sein. Vor ein paar Tagen hatte Leupold seine Karte hereingebracht.
Der Sohn alter Freunde, was man so »Freunde« nennt. Angenehme Bekannte, mit denen er manchen Herbst bei den Neuhofer Marnings zur Jagd als Gast gewesen war. Er entsann sich wohl: der junge Stephan hatte ihm immer gut gefallen, in seine besondere Unterhaltung hatte er ihn oft gezogen, er, der alternde Großindustrielle den jungen Leutnant, die scheinbar keine Interessen zusammen haben konnten. Aber der Geheimrat wußte, mit welcher schmalen Zulage Stephan sich ohne Schulden vornehm behauptete, denn dieser Zweig der Marnings war fast arm. Und wenn er so die schlichte, ernste Haltung des jungen Leutnants beobachtete, die voll Charakter war, dachte er an seinen Sohn ...
Seine Gedanken sagten dem gleichfalls heraufgrüßenden Freiherrn von Marning: »Wie gern, lieber Marning, antwortete ich sofort auf Ihren Besuch mit einer Einladung, bei mir zu essen – bin ja kein menschenfeindlicher Querkopf – aber da sitz’ ich nun – vorbei ist’s mit dem Gastlichsein ...«
Und es tat ihm seltsam dringlich leid, daß er dem jungen Marning keine Freundlichkeit erweisen konnte.
Nun war die Truppe vorbei. Er konnte ihr ein paar Minuten nachsehen – da zog sie hin, Mann wie Offizier, um in zäher, täglich neu aufgenommener Arbeit, mit einer moralischen Geduldskraft ohnegleichen, die unerhört opfervolle Mühe des Kriegshandwerks im Frieden zu üben – dazu gehört Mannhaftigkeit, die nicht an Ruhm und Heldenrausch, sondern nur an Pflicht denkt.
Auch stille Helden – wie die Tausend und Tausend, die arbeiten und sich bezwingen,