Russell Blake

DAS GOLD DER INKA (Drake Ramsey)


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fertig war, und starrte die Akten dann noch eine Weile an, als wären sie radioaktiver Giftmüll. Immer ein sicheres Zeichen dafür, dass die Zeit für den Feierabend gekommen war. Das Nötigste hatte er für heute geschafft, die Lebensversicherung hatte Drakes Kontodaten bekommen und damit war Patricias letzter Wille geschehen.

      Er war Drake gegenüber nicht gerade offen gewesen, was die gemeinsame Vergangenheit der beiden anging, aber er hatte keine Veranlassung gesehen, so eine simple Transaktion mit irrelevanten Privatgeschichten zu verkomplizieren. In Wahrheit waren Patricia und er ein Paar gewesen – vor zwanzig Jahren. Das war schon verdammt lange her.

      Und es schien ihm, als hätte er sie ewig nicht gesehen. Er hatte ihr geholfen, ihren Namen zu ändern, als sie nach dem Tode ihres Bruders in dieses Kaff in Idaho gezogen war. Aber die Fernbeziehung aufrecht zu erhalten war im Verlauf der Jahre immer schwieriger geworden, nicht zuletzt, weil Patricia wusste, dass Lynch niemals seine Frau und seine Kinder für sie verlassen würde. Es hatte ihn überrascht, dass sie ihn trotzdem mit ihrem Testament betraut hatte, aber irgendwie machte es auch Sinn. Schließlich war er sehr gewissenhaft in seinem Job, deutlich zuverlässiger als im Privaten.

      Seine Sekretärin steckte den Kopf durch die Tür, um sich zu verabschieden, und als sie sich umdrehte, bewunderte Lynch die enge Passform ihres Rockes. Immer ein beunruhigendes Anzeichen, wie er aus der Vergangenheit gelernt hatte. Aber egal, wie groß die Versuchung werden würde, keine Techtelmechtel mehr mit Angestellten einzugehen, stand ganz oben auf seiner Prioritätenliste.

      Lynch brachte seine abschweifenden Gedanken wieder unter Kontrolle und stand auf. Die restliche Arbeit konnte warten. Er war müde, und seine leidende Ehefrau wartete sicher schon lange Zuhause mit einem leckern Essen im Ofen und einem brauchbaren Bordeaux auf dem Tisch. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, dankbar, dass er im Gegensatz zu seinem Vater noch das meiste davon besaß, und begab sich dann zur Tür, wo seine maßgeschneiderte Anzugjacke an der Garderobe hing.

      Die Büroräume waren alle verlassen, als er auf seinem Kontrollgang die letzten Lichter löschte. Als er die Lobby erreichte, ging die Tür auf und zwei Männer traten ein. Lynch betrachtete sie, seinen Aktenkoffer schon in der Hand. Er bemerkte ihre billigen Anzüge und kantigen Gesichtszüge.

      »Es tut mir leid, aber wir haben bereits geschlossen«, sagte er.

      Der größere der beiden Männer, von der Anzahl grauer Haare auf dem Kopf vielleicht in einem ähnlichen Alter wie Lynch, schenkte ihm ein Lächeln, das die menschliche Wärme einer Tiefkühltruhe ausstrahlte.

      »Michael Lynch?«, fragte er, und selbst diese wenigen Silben verströmten einen starken, osteuropäischen Akzent. Russisch, ging es Lynch durch den Kopf, bevor er antwortete.

      »Das ist korrekt. Aber ich fürchte, Sie müssen trotzdem morgen wiederkommen.«

      Der kleinere Mann bewegte sich unerwartet schnell und überwand den Abstand zwischen ihnen innerhalb eines Augenzwinkerns. Bevor Lynch Zeit hatte, den Faustschlag in seine Magengrube auch nur zu registrieren, wurde ihm bereits übel und der ganze Raum begann sich zu drehen. Dann brach er zusammen.

      Als er wieder zu sich kam, war es dunkel. Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass er sich im Konferenzraum befand. Sein Magen schmerzte, als hätte ihn eine Lokomotive gerammt. Er versuchte, sich zu bewegen, musste jedoch feststellen, dass er gefesselt war. Links von sich hörte er ein Geräusch, und als er den Kopf drehte, sah er einen der Eindringlinge dort sitzen. Der Mann lehnte sich nach vorne und räusperte sich.

      »Mister Lynch. Dies ist kein Raubüberfall. Ich bin hier, um Informationen von Ihnen zu erhalten. Wie Sie sich inzwischen denken können, bin ich bereit, alles zu tun, um diese zu bekommen.«

      Der Akzent war definitiv russisch, die Sprechweise des Mannes war sehr kultiviert, aber trotzdem bedrohlich. Während Lynch unauffällig die Stärke seiner Fesseln prüfte, rechnete er im Kopf: Gegen 19:30 Uhr hatte er sich auf den Weg machen wollen, um 21:00 Uhr kamen normalerweise die Reinigungskräfte. Je nachdem, wie lange er ohnmächtig gewesen war, würde er sie also einfach hinhalten müssen …

      Er schaute sein Gegenüber unsicher an. »Ich bin ein Anwalt. Wir haben kein Bargeld hier, abgesehen von einer Kasse mit ein bisschen Wechselgeld. Aber keine Aktien, keine Wertpapiere«, stotterte er.

      »Vielleicht ist mein Englisch doch nicht so gut, wie ich gehofft hatte. Dies ist kein Raubüberfall.«

      Lynch bemerkte die Narben auf seinem Gesicht, auch die Nase musste mehrmals gebrochen gewesen sein. Die Augen standen weit auseinander, die Wangenknochen waren hoch. Typisch slawische Gesichtszüge. »Dann verstehe ich das Ganze nicht.«

      Der Mann verzog das Gesicht und schüttelte langsam den Kopf. »Dann muss ich Ihre Verwirrung der Tatsache zuschreiben, dass Sie das Bewusstsein verloren hatten. Für dieses Mal lasse ich es Ihnen durchgehen. Aber ich muss Sie warnen: Mein Partner hier ist weitaus weniger geduldig. Also, noch einmal. Ich möchte Sie nicht ausrauben, ich brauche Informationen.«

      Erneut durchbohrte Lynch ein Gefühl von Angst. Diese Männer waren eindeutig hochgefährlich. Doch abgesehen von seiner Verzögerungstaktik sah er keine anderen Optionen.

      »Informationen?«

      »Genau. Sie betreuen eine Klientin namens Patricia Marshall. Oder sollte ich sagen, Patricia Ramsey?«

      Lynch versuchte, seine Überraschung zu verbergen, aber es gelang ihm kaum.

      Der Russe nickte. »Ich sehe, dieser Name bedeutet Ihnen etwas. Lassen Sie uns also auf weitere Spielchen verzichten, Mister Lynch. Ich weiß, dass Sie ihren Nachlass regeln. Ich brauche Informationen über sie. Alles was Sie wissen. Was sie vererbt hat, und an wen.«

      »Ich … Patricia Marshall? Ich weiß nicht … an diesem Fall ist überhaupt nichts dran … eine ganz einfache Erbschaft … ich habe nur ihr Geschäft abgewickelt, ihre Wohnung und ihren Laden … was soll ich Ihnen da erzählen?«

      Die Tür öffnete sich und der kürzere Mann kam mit einem Papierschneider und einer großen Schere herein, die Klingen glänzten im Licht des Flures. Er stellte die beiden Werkzeuge auf den Tisch.

      »Mister Lynch, erlauben Sie, dass ich uns vorstelle. Ich bin Vadim, und das ist Sasha, den Sie bereits kennengelernt haben, wenn auch nicht unter den angenehmsten Umständen. Sasha ist ein Experte für Verhörtechniken. Nach zwanzig Jahren im sibirischen Strafvollzug ist er vielleicht sogar der Beste auf unserem Planeten. Sasha und ich haben schon Dinge erlebt, mit denen ich Ihre Seele nicht belasten wollen würde.« Er machte eine dramaturgische Pause, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Ich erwähne das nur, damit unsere Unterhaltung nicht unnötig unangenehm verläuft. Sie werden uns sagen, was wir wissen wollen, und zwar alles. Sie werden sogar darum betteln, uns Dinge zu beichten, die wir gar nicht wissen wollen. Ihre tiefsten Geheimnisse. Die Ihrer Klienten. Passwörter, Kontodaten, Verbrechen. Am Ende wird es vor uns keine Lügen mehr geben.«

      Lynch verkniff sich jeglichen Kommentar, das Blut wich ihm aus dem Gesicht.

      »Da, Sie werden reden«, fügte Sasha nachdrücklich hinzu.

      »Das ist Ihre Chance, das Ganze für Sie einfach zu machen. Sagen Sie uns alles über das Testament. Fangen Sie damit an, wo sich die Akten befinden. Nachdem ich diese gelesen haben, werde ich genau wissen, was ich noch fragen muss.«

      »Was wollen Sie denn wissen? Sagen Sie mir das, dann kann ich Ihnen vielleicht helfen«, versuchte Lynch sein Glück mit dem Ziel, das Gespräch in die Länge zu ziehen.

      »Das habe ich Ihnen doch gerade genauestens erklärt. Das Testament. Wo ist es?«

      »Es … es ist in einem Schließfach in der Bank!«

      Der Russe seufzte mit der Schwere eines sibirischen Windes, der die Sorgen der gesamten Menschheit in sich zu tragen schien. »Es ist ganz offensichtlich, dass Sie die Brisanz der Lage nicht begreifen. Sasha? Fang mit Mister Lynchs linker Hand an. Wenn er die Finger los ist, dann wird er vielleicht kooperieren.«

      »Nein, ernsthaft. Ich sage die Wahrheit«, bekräftigte Lynch, inzwischen mit reiner Panik in der Stimme.

      »Das