Russell Blake

DAS GOLD DER INKA (Drake Ramsey)


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liegen, oder schon an der Westgrenze des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien. Er hatte den Einschlagsort eines Meteoriten um das Jahr 1700 herum ausgemacht, der möglicherweise das Wasser in der Region verseucht haben könnte.

      In den Notizen ließen sich alle Details finden, die den Vater zu seinen Schlüssen gebracht hatten. Dazu gehörte seine Überzeugung, dass die Inkas einige Außenposten auf dem Weg nach Paititi errichtet hatten, um Nachzüglern den Weg zu weisen. Wenn man diese Orte aufspüren könnte, würden sie den Weg nach Paititi weisen. Drakes Vater hatte eine Ahnung, wo er nach den letzten Gliedern dieser Kette suchen musste, und war deswegen auf eine schicksalhafte Reise nach Peru aufgebrochen, die seine letzte sein sollte.

      Als Drake das letzte Kapitel erreichte, nahm die Geschichte allerdings noch eine ominöse Wendung. In völlig leidenschaftsloser Sprache schilderte sein Vater, dass er von einem amerikanischen Geheimdienst mit einem Angebot konfrontiert worden war, das er nicht ausschlagen konnte. Die Sache unterlag offensichtlich höchster Geheimhaltung und wurde entsprechend nicht weiter ausgeführt.

      Das war der letzte Eintrag seiner Aufzeichnungen.

      Drake lehnte sich zurück und betrachtete das kleine Büchlein nachdenklich. Sein Instinkt als investigativer Journalist war vollends geweckt und die letzten Seiten hatten ihm ganz deutlich gemacht, warum sein Vater auf die Suche nach der verlorenen Stadt aufgebrochen war. Es ging nicht nur darum, dass Paititi ein historischer Fund wäre, sondern ganz offensichtlich ging es auch um Belange der nationalen Sicherheit – wobei die Zusammenhänge zwischen einer Inka-Stadt und amerikanischen Geheimdiensten vielleicht sogar ein noch größeres Mysterium waren als Paititi selbst.

      Drake schaute seine Notizen durch und stellte sich dem Ansturm von Gefühlen in seinem Kopf. Er hatte gerade einen Einblick in die Gedankenwelt seines Vaters bekommen, und durch sein offenbar erbliches Talent, die gleichen Muster zu erkennen und dieselben Schlüsse zu ziehen, wurde er regelrecht in diese Welt hineingesogen. Nachdem er einige der notierten Namen umkringelt hatte, holte er sein iPad hervor und startete Suchen nach Paititi und diversen anderen Begriffen. Er las die Legende des verlorenen Schatzes und schnell wurde ihm klar, dass dessen Verlockung ihn bereits voll erfasst hatte.

      Natürlich plante er nicht wirklich, sich selbst auf die Suche nach einem Inka-Schatz zu machen. Das wäre Wahnsinn. Aber es sprach nichts dagegen, den alten Freund seines Vaters ausfindig zu machen, um zu erfahren, was in den letzten Tagen von Ford Ramseys Leben geschehen war. Diesem Unterfangen stand rein gar nichts im Wege, denn er hatte keinen Job mehr aber die Taschen voller Geld.

      Seine erste Aufgabe würde es sein, diesen Mann ausfindig zu machen. Drake besuchte eine Webseite, die er zur Suche von Kriminellen benutzte und fing an zu tippen. Das Interface flackerte und blinkte, Zahlen und Buchstaben liefen hypnotisch über den Bildschirm, bis ein Fenster aufploppte und Drake weitere Informationen hinzufügte. Es wurde ihm allerdings schnell klar, dass diese Suche nicht einfach werden würde. Es gab Hunderte von Treffern und Drake hatte keine anderen Suchkriterien als den Namen, und der war so nichtssagend, wie es nur irgend ging.

      Jack Brody.

      Mehr hatte er nicht.

      Aber mit genügend Beharrlichkeit würde es reichen.

      Kapitel 6

      Als Drake auf dem Flughafen von San Jose landete, ging die Sonne bereits unter, da sich sein Abflug in Seattle um zwei Stunden verspätet hatte. Er beeilte sich, in das Parkhaus und dort zu seinem Wagen zu kommen, denn er fieberte schon seiner kommenden Computersession entgegen. An seinem Rechner würde es ihm sicherlich gelingen, den richtigen Jack Brody zu finden, die Möglichkeiten auf dem Tablet waren hingegen einfach zu beschränkt – ein Umstand, der seine Wartezeit in Seattle noch frustrierender gemacht hatte.

      Rosa- und orangefarbene Wolkenbänder marmorierten den zwielichtigen Himmel, als er aus dem Parkhaus kam. Als er das Fenster herunterkurbelte, um den Parkwächter zu bezahlen, fühlte sich die Luft schwer und feucht an – ein Frühjahrsregen war im Anmarsch.

      Die Fahrt nach Hause war erwartungsgemäß zäh, denn die Freeways waren vom Feierabendverkehr verstopft. Die nicht enden wollenden und immer gleich aussehenden Einkaufszentren und Autoläden, an denen er vorbei rollte, wirkten wie Altare des Kommerzes auf ihn und versetzten ihn in eine melancholische Stimmung.

      Als er es endlich nach Hause geschafft hatte, lagen auf seiner Türschwelle die Zeitungen der vergangenen beiden Tage, doch er kickte sie achtlos beiseite. Und als er sich in seiner Wohnung umschaute, wurde ihm einmal mehr klar, dass er eine viel zu hohe Miete für dieses schäbige Zimmer zahlte. In Menlo Park waren die Preise durch den nicht enden wollenden Boom Silicon Valleys immer mehr in die Höhe geschossen, und dadurch war eigentlich die gesamte südliche Halbinsel für Menschen, die nicht gerade im Softwarebusiness waren oder High-Tech-Elektronik entwickelten, kaum noch zu bezahlen. Grimmig knipste er das Licht an und begab sich in die lächerlich kleine Küchenecke.

      Dort zog Drake die drei dicken Bündel von Hundert-Dollar-Noten aus seinen Taschen und legte sie nebeneinander auf den Tisch. Er war überrascht, wie wenig Platz dreißigtausend Dollar einnahmen. Das wirkte schon fast wie Betrug. Bei seiner normalen Arbeit hätte es sechs bis acht Monate gebraucht, in denen er sein Leben auf der Jagd nach Kriminellen riskiert hätte, um diese Summe zusammen zu bekommen – und es waren einfach nur drei kleine Stapel Papier.

      Er ließ das Geld liegen und ging zu seinem Lebensmittelregal, das sich als komplett leer entpuppte. Also machte er den Kühlschrank auf, doch auch dort bot sich kein viel besserer Anblick. Ein Klumpen eingefallenen Weißbrotes, vier Energydrinks, Reste vom Italiener von vor vier Tagen sowie sieben Flaschen Bier. Er schnappte sich die weiße Styroporbox und beäugte skeptisch die halbe Lasagne darin. Nachdem er ein paar Mal vorsichtig geschnuppert hatte, zuckte er mit den Schultern und schob das Gericht in die Mikrowelle. Dann machte er sich ein Bier auf.

      Das verdammte Notizbuch hatte ihn in eine griesgrämige Stimmung versetzt, die er einfach nicht los wurde. Im Vergleich zum Leben seines Vaters war sein Alltag einfach nur erbärmlich öde. Sein Dad hatte jede Nacht nach der Arbeit eine Reise in den Amazonas-Dschungel geplant und vorbereitet, und was machte er? Steckte in seiner miesen Laufbahn als Kopfgeldjäger bereits in einer Sackgasse, fuhr eine alte Rostlaube, und sein Liebesleben war nichtexistent. Wirklich toll für einen Top-Studenten, der als Bester seines Jahrgangs abgeschlossen hatte. »Ein begnadeter Autor mit einem scharfen, analytischen Verstand« war die Zusammenfassung eines begeisterten Professors gewesen. All das hatte ihm im echten Leben überhaupt nicht weitergeholfen. Er hatte es nicht mal geschafft, einen Job als Juniortexter in einer kleinen Werbeagentur zu bekommen, und sein Nischentalent, in wirren Daten Muster zu erkennen, hatte beruflich gesehen überhaupt keinen Wert – auch wenn er die mathematischen und naturwissenschaftlichen Studiengänge damit locker hinter sich gebracht hatte.

      Das Ping der Mikrowelle holte ihn aus seinen Tagträumen zurück und der Geruch einer fragwürdigen sizilianischen Überraschung waberte durch die Wohnung. Achtlos schob er das Geld beiseite und setzte sich mit seinem Festmahl an den Esstisch. Er aß direkt mit dem beiliegenden Plastikbesteck und fragte sich, warum dieses libanesische Ehepaar um die Ecke eigentlich ausgerechnet italienisches Essen verkaufte.

      Mit mechanischer Entschlossenheit kaute er sich durch die zähen Pastaschichten, während seine Gedanken ganz woanders waren. Nachdem er den letzten Bissen heruntergewürgt hatte, schaute er auf die Uhr und wog seine Optionen für den weiteren Abend ab. Es gab die Möglichkeit, irgendeine Bar aufzusuchen und mit seinem neugewonnen Reichtum um sich zu schmeißen, oder eine lange Nacht vor dem Rechner zu verbringen und den Freund seines Vaters ausfindig zu machen. Sofort kam ihm ein Bild in den Sinn, wie er in einer dunklen Bar stand, den nackten Körper nur mit aufgeklebten Hundert-Dollar-Noten bedeckt. Vielleicht könnte er aus den Scheinen auch eine Art Fächer konstruieren, mit dem er dann wie ein Pfau herumstolzieren würde, um willigen Hennen seine Paarungsbereitschaft zu signalisieren …

      Diese Vorstellung überzeugte ihn sofort, sich der Recherche zu widmen. Immerhin belohnte er sich für seine Vernunft mit einem weiteren Bier – diese grüne Flasche würde sein einziger Freund und Begleiter in einer langen Nacht der Einsamkeit vor einem flackernden Bildschirm sein.

      ***