fuhr er fort. »Ich bin dazu gezwungen, die Hexe – die Frau, meine ich – zu vernehmen, und auch allen Zeugen, die für und gegen sie aussagen.«
»Niemand sagt für sie aus!«, entgegnete Winston lautstark. Er spürte den Einfluss des Rums. »Außer einem, und ich bezweifle, dass Ihr den Besuch eines solchen Zeugen willkommen heißen würdet!«
»Nicht nur das«, meinte Paine, der einen kleinen braunen zylindrischen Gegenstand aus seinem Beutel gezogen hatte. »Viele unserer Einwohner, die gesehen haben, wie sie mit ihrem Meister verkehrt hat, sind bereits geflüchtet.« Er steckte sich das kleine braune Röhrchen zwischen die Lippen und lehnte sich zur Kerze vor, bis es die Flamme berührte. Blauer Rauch stieg von seinen Lippen auf. »Zwei oder drei Zeugen sind wohl noch übrig, aber mehr nicht.«
»Sie ist eine Hexe, verdammt noch mal, und ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen!«, empörte sich Garrick. »Nicholas war es, der die Strohpuppen gefunden hat! Ich war mit James Reed und Kelvin Bonnard dabei gewesen, und wir haben gesehen, wie er die Dinger unter dem Bodenbrett hervorgeholt hat! Sie kann das Vaterunser nicht aufsagen und sie hat die Teufelsmale auf der Haut! Was braucht Ihr denn noch, um sie zu hängen?«
»Ja, wirklich – was noch?« Schnupftabak klebte an Shields Nasenflügeln und lag auf seinem Jackenrevers wie Staub. »Mein Gott! Je früher sie am Ende des Seils baumelt, desto besser für …«
Iiiaaauuu kreischte etwas auf, als habe jemand einer Katze auf den Schwanz getreten. Der Klang war so laut und grässlich, dass alle in ihren Sitzen zusammenzuckten und eins der Sklavenmädchen die Teller fallenließ. Dann folgte eine Stille, die nur vom Regengetrommel auf dem Dach unterbrochen wurde.
»Verzeihung«, sagte Goode und starrte zu Boden. Sein Bogen schwebte über den zitternden Saiten. »Eine schiefe Note.« Ohne auf einen Kommentar zu warten, senkte er den Bogen und begann zu spielen – diesmal leise und auch melodischer. Süß wie Karamellbonbons perlten die Töne durch das verräucherte Zimmer, und Goode versenkte sich mit geschlossenen Augen beim Spielen in die Musik.
Johnstone räusperte sich und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Robert, der Richter hat recht. Wenn die Frau hängen soll, dann muss es genau nach dem Gesetz geschehen. Sollen die Zeugen doch hervortreten und sprechen. Lassen wir den Richter doch Madam Howarth befragen und sich selbst ein Urteil darüber bilden, ob sie eine Hexe ist oder nicht.«
»Unsinn!« Garrick blickte finster drein. »Das verschafft ihr nur noch mehr Zeit, Böses zu tun!«
»Elias, wir sind keine unzivilisierten Männer.« Die Stimme des Schulmeisters wurde sanft. »Wir sind dabei, hier eine wichtige Stadt zu bauen – und gerade deshalb gibt es umso mehr Grund, unsere Zukunft nicht durch unsere Handlungen von heute zu beschmutzen.« Er steckte sich wieder die Pfeife in den Mund und sog daran, während Goode weiterhin sein Gefühl für Takt und Harmonie zur Schau stellte. »Ich würde sagen, dass wir den Richter so mit der Situation umgehen lassen, wie er es für richtig hält«, sagte Johnstone. »Wie lange kann das dauern? Eine Woche vielleicht? Liege ich damit richtig?« Er sah Woodward an und wartete auf Antwort.
»Das tut Ihr«, sagte Woodward. Er nickte Johnstone für seinen diplomatischen Einsatz dankbar zu.
Bidwell, dessen Gesicht vor Ärger und Insektenstichen geradezu entstellt war, wollte etwas sagen, überlegte es sich dann anders und hielt den Mund geschlossen. Er holte wieder seine Tabakdose hervor und nahm erneut eine Prise. »Verdammt«, sagte er leise. »Ihr habt recht.« Er klappte die Dose zu. »Wir wollen uns schließlich nicht in einen Lynchmob verwandeln. Dann würde der schwarzschwänzige Bastard am Ende doch gewonnen haben.«
Die Geigenmelodie kam nicht ins Stolpern. Goodes Augen waren noch immer geschlossen.
»Nun gut.« Bidwell klatschte mit der flachen Hand auf die Tischkante, um seine Entscheidung auf die gleiche Art zu bekräftigen, wie Woodward es im Gericht mit dem Hammer tat. »Ich gebe Euch eine Woche, um die Hexe und die Zeugen zu vernehmen.«
»Ich bedanke mich«, sagte Woodward sarkastisch, weil er zu einer ihm verhassten Aufgabe getrieben wurde.
Während sich dieser kleine Machtkampf abspielte, hatte Matthew Nicholas Paine beobachtet – besonders die Art, auf die Paine seinen Tabak durch das Anzünden eines eng gerollten Blattes rauchte. Matthew hatte es erst zweimal vorher gesehen, denn im englischen Königreich der Tabakschnupfer und Pfeifenraucher war es äußerst ungewöhnlich. Spanisch rauchen wurde es genannt.
Paine sog an seinem Tabak, stieß den blauen Rauch in die dicke Luft aus und wandte sich plötzlich um, sodass er Matthew direkt ins Gesicht sah. »Eure Augen sind groß geworden, junger Mann. Darf ich fragen, warum Ihr so starrt?«
»Äh …« Matthew widerstand der Versuchung, seinen Blick abzuwenden. Dann beschloss er, kein Drama daraus zu machen – obwohl sein Verstand etwas Wichtiges daran bemerkt zu haben schien. »Nichts, Sir«, sagte er. »Entschuldigt bitte.«
Paine senkte seine Tabakrolle – Matthew meinte sich zu erinnern, dass man Zigarre dazu sagte – und wandte seine Aufmerksamkeit ihrem Gastgeber zu. »Wenn ich im Morgengrauen den Feldzug befehligen soll, suche ich mir jetzt besser noch ein paar Männer, die daran teilnehmen.« Er erhob sich. »Danke vielmals für das Abendessen und die angenehme Gesellschaft. Herr Richter, wir treffen uns am Pferdestall – der befindet sich hinter der Schmiede in der Fleißstraße. Ich wünsche noch einen guten Abend, Gentlemen.« Er nickte, als die anderen Männer – außer Bidwell und Dr. Shields – aus Höflichkeit aufstanden, und verließ mit der Zigarre zwischen den Zähnen schnellen Schrittes das Esszimmer.
»Nicholas wirkte etwas ungeduldig«, sagte Johnstone, nachdem Paine gegangen war. Als er wieder zurück auf die Bank sank, stützte er sich auf sein deformiertes Knie. »Die aktuelle Situation hat uns alle durcheinandergebracht.«
»Ja, aber nun ist unser Licht am Ende des Tunnels aufgetaucht.« Bidwell warf einen Blick über die Schulter. »Goode!« Der schwarze Mann hörte sofort auf zu spielen und senkte die Geige. »Sind im Quellsee noch Schildkröten?«, fragte Bidwell.
»Jessa. Große.« Seine Stimme klang ebenso so sanft und melodisch wie seine Musik.
»Fang uns morgen eine. Wir werden zum Abendessen Schildkrötensuppe haben, Herr Richter. Würde Euch das munden?«
»Oh ja, sehr«, sagte Woodward und kratzte sich an einem neuen großen Mückenstich auf der Stirn. »Ich hoffe inständig, dass unser kleiner Jagdausflug morgen erfolgreich ist. Wenn Ihr jemanden hängen möchtet, wäre ich geneigt, Shawcombe gleich nach unserer Rückkehr zu verurteilen.«
»Das wäre was!« Bidwells Augen leuchteten. »Ja! So können wir unseren Bürgern zeigen, dass unser Justizsystem funktioniert! Und es wäre eine gute Vorspeise vor dem Hauptgericht! Goode, spiel uns ein fröhliches Lied!«
Der Sklave hob die Geige wieder ans Kinn und begann ein neues Lied. Es war schneller und lebhafter als das vorherige, aber Matthew kam es vor, als klänge es trotzdem mehr nach Melancholie als Fröhlichkeit. Goodes Augen gingen wieder zu, verschlossen sich vor seinen Lebensumständen.
Der Vanillekuchen kam, und dazu noch ein Krug Rum. Rachel Howarth versiegte als Gesprächsthema und Bidwell erzählte mehr über seine Pläne für Fount Royal. Matthew wurde schläfrig. Mückenstiche machten ihm an einem Dutzend Stellen zu schaffen, und er sehnte sich nach dem Bett in seinem Zimmer. Die Kerzen im Leuchter über dem Tisch waren fast heruntergebrannt. Garrick entschuldigte sich und ging nach Hause, gefolgt vom Schulmeister. Dr. Shields, der sich am Rumkrug gütlich getan hatte, legte den Kopf auf den Tisch und zog sich auf diese Weise von der Gesellschaft zurück. Bidwell schickte Goode fort, der seine Geige sorgsam mit dem Leinensack umwickelte, bevor er sich ins Unwetter hinauswagte. Winston begann auf seinem Stuhl einzunicken; sein Kopf war ins Genick gefallen und sein Mund stand offen. Woodward fielen immer wieder die Augen zu. Sein Kinn sackte herunter. Endlich stand ihr Gastgeber auf, gähnte und streckte sich.
»Ich werde mich für heute Abend zurückziehen«, verkündete Bidwell. »Ich hoffe, Ihr habt einen angenehmen Schlaf.«
»Mit Sicherheit, danke vielmals.«
»Falls Ihr noch irgendetwas