Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1)


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sagte Mrs. Nettles und verließ mit dem Dreispitz des Doktors das Zimmer.

      Shields ging an den Kamin und wärmte sich die Hände. »Eine Schande ist das mit Madam Chester«, sagte er, bevor jemand das Thema wechseln konnte. »Sie war eine großartige Frau. Herr Richter, habt Ihr schon Zeit gefunden, Euch unsere Stadt anzusehen?«

      »Nein, noch nicht.«

      »Am besten beeilt Ihr Euch. Bei unserer Sterberate wird Fount Royal bald in Massengrab umbenannt werden müssen.«

      »Ben!«, rief Bidwell mit mehr Vehemenz, als er vorgehabt hatte. »Ich glaube nicht, dass uns solche Reden weiterbringen, meint Ihr nicht?«

      »Vermutlich nicht.« Shields rieb sich die Hände, um die Todeskälte von Dorcas Chesters Fleisch daraus zu vertreiben. »Aber leider steckt viel Wahrheit darin. Und der Richter wird das schon bald selbst herausfinden; wir können das ruhig etwas beschleunigen.« Er sah den Lehrer an, der in seiner Nähe stand. »Alan, habt Ihr ausgetrunken?« Ohne auf eine Antwort zu warten, schnappte er sich das halb volle Weinglas aus Johnstones Hand und trank einen herzhaften Schluck. Dann richtete er seinen Blick auf Isaac Woodward. »Ich bin nicht Arzt geworden, um meine Patienten zu beerdigen, aber allmählich kann ich mich Leichenbestatter nennen. Allein letzte Woche sind zwei gestorben. Das kleine Kind der Richardsons, Gott segne seine Seele, gehörte dazu. Und jetzt Dorcas Chester. Wen ich wohl nächste Woche dem Jenseits überantworten werde?«

      »Solche Worte helfen nicht«, sagte Bidwell bestimmt. »Ich bitte Euch, beherrscht Euch.«

      »Mich beherrschen?« Der Arzt nickte und senkte seinen Blick auf die rote Pfütze Wein im Glas. »Robert, ich habe mich schon viel zu lange beherrscht. Ich bin es müde, mich zu beherrschen.«

      »Das Wetter ist schuld«, mischte sich Winston ein. »Dieser Regen wird doch bestimmt bald ein Ende nehmen, und dann werden wir …«

      »Es liegt nicht nur am Wetter!«, unterbrach Shields mit einem aufmüpfigen Hervorschieben seines Kinns. »Inzwischen ist es die ganze Atmosphäre dieses Ortes. Es liegt an dunkleren Dingen.« Er trank erneut, und das Glas war leer. »An etwas, das mittags ebenso finster wie um Mitternacht ist«, sagte er mit nassen Lippen. »Diese Krankheitsfälle breiten sich aus: ein krankes Gemüt, ein kranker Körper. Denn es besteht eine Verbindung zwischen beidem, meine Herren. Das eine reguliert das andere. Ich habe gesehen, wie Madam Chesters Gemütskrankheit ihrem Körper die Gesundheit raubte. Ich habe es gesehen, und es gab rein gar nichts, was ich dagegen tun konnte. Und nun ist Timothys Seele von dieser Pest angegriffen worden. Wie lange noch, bis ich an seinem Sterbebett stehen werde?«

      »Verzeihung, Sir«, warf Garrick ein, bevor Bidwell den Arzt zurechtweisen konnte. »Wenn Ihr sagt, dass die Krankheit sich ausbreitet … meint Ihr …« Er zögerte, während er nach den Worten suchte, die seine Frage ausdrückten. »Meint Ihr, dass wir es mit der Beulenpest zu tun haben?«

      »Vorsicht, Benjamin«, warnte der Schulmeister leise.

      »Nein, das meint er ganz und gar nicht!«, sagte Bidwell hitzig. »Der Doktor ist wegen Madam Chesters Tod etwas außer sich, das ist alles! Sagt ihm, dass Ihr nicht von der Pest redet, Ben.«

      Der Arzt wartete, und Matthew dachte, dass er tatsächlich den Einzug der Beulenpest in Fount Royal verkünden würde. Doch stattdessen atmete Shields mit einem langen, müden Seufzen aus und sagte: »Nein, ich rede nicht von der Pest. Zumindest nicht von der durch natürliche Umstände verursachten Pest.«

      »Ich glaube, was unser guter Arzt meint«, sagte Johnstone zu Garrick, »ist, dass sich die momentane … äh … seelische Anfälligkeit unserer Bürger auf die körperliche Gesundheit von uns allen auswirkt.«

      »Ihr wollt sagen, dass die Hexe uns krank macht«, brachte Garrick hervor.

      Bidwell beschloss, dass es höchste Zeit war, diesem Gespräch ein Ende zu bereiten, ehe Garrick, der zwar ein erfolgreicher Farmer war, dessen Intellekt in Bezug auf weniger bodenständige Dinge aber zu wünschen übrig ließ, diese Überlegungen unter der Bevölkerung verbreitete. »Gentlemen, lasst uns auf die Zukunft und nicht die Vergangenheit schauen! Elias, der Richter wird uns bald erlösen. Wir sollten Gott und unserer Gesetzgebung vertrauen, und uns solche schädlichen Gedankengänge untersagen.«

      Garrick sah den Lehrer in der Hoffnung einer verständlichen Übersetzung an. »Er meint, dass wir uns keine Sorgen machen sollen«, erklärte der Lehrer. »Und das ist auch meine Meinung. Der Richter wird uns aus unseren Schwierigkeiten erlösen.«

      »Ihr setzt großes Vertrauen in mich, meine Herren.« Woodward fühlte sich sowohl geschmeichelt als auch belastet. »Ich hoffe, ich kann Eure Erwartungen erfüllen.«

      »Das tut Ihr besser.« Shields hatte das leere Glas weggestellt. »Das Schicksal dieser Siedlung liegt in Euren Händen.«

      »Gentlemen?« Mrs. Nettles stand in der Tür. »Das Essen ist aufgetischt.«

      Das Speisezimmer neben der Küche am Ende des Hauses war ein Wunderwerk aus dunklen, mit Webteppichen behängten Wänden und einem offenen Kamin, der so breit wie eine Kutsche war. Ein ausgestopfter Hirschkopf und eine Kollektion von Musketen und Pistolen hingen darüber. Weder Woodward noch Matthew hatten erwartet, in den Sümpfen an der Küste ein Herrenhaus zu finden, und das Zimmer, welches sich ebenso gut in einem britischen Schloss hätte befinden können, machte sie sprachlos. Über einem riesigen rechteckigen Tisch hing ein ebenso riesiger Kronleuchter voller Kerzen an einer massiven Schiffskette von der Decke, und der Fußboden war mit einem ochsenblutroten Teppich bedeckt. Der Tisch bog sich unter gefüllten Serviertellern, auf denen die Brathähnchen noch in ihrem eigenen Saft brutzelten.

      »Herr Richter, Ihr nehmt neben mir Platz«, wies Bidwell ihn an. Für Matthew war offensichtlich, dass Bidwell seine Machtposition genoss und dass er ein überaus wohlhabender Mann war. Bidwell hatte die Tischordnung bereits entschieden, und Matthew sah sich auf einem kirchenbankähnlichen Sitz zwischen Garrick und Dr. Shields platziert. Eine weitere junge Sklavin kam aus der Tür zur Küche und brachte hölzerne Krüge mit kaltem Quellwasser, wie Woodward feststellte, nachdem er vorsichtig daran genippt hatte. Nur zu gut erinnerte er sich noch an die Nachwirkungen des Indianerbiers.

      »Wollen wir beten?«, fragte Bidwell, bevor die erste Messerklinge in das gebratene, mit Pfeffer gewürzte Hühnerfleisch stechen konnte. »Master Johnstone, würdet Ihr diese Ehre übernehmen?«

      »Gern.«

      Alle senkten die Köpfe. Johnstones Gebet dankte für die reichen Gaben der Tafel, pries Gott für die heile Ankunft des Richters in Fount Royal, und bat darum, dass der Regen nachließ, sofern das in Gottes Plan passte. Allerdings kündigte dumpfer Donner noch während Johnstones Gebet das Herannahen des nächsten Unwetters an. Des Schulmeisters »Amen« klang in Matthews Ohren, als habe Johnstone es zwischen zusammengebissenen Zähnen herausgestoßen.

      »Lasst uns speisen«, verkündete Bidwell.

      Das Kerzenlicht ließ die Messer aufblitzen, die ins Hühnerfleisch schnitten. Nachdem Bidwells Gäste einen Moment lang energisch ins Fleisch gestochen hatten, kamen die Zähne und Finger zum Einsatz, um das Fleisch von den Knochen zu reißen. Große Stücke des schweren, grobkörnigen Brots, das nach verbranntem Mais schmeckte und wie ein Stein im Magen lag, fanden beim Auftunken der fettigen Soße Verwendung. Dampfende Teller voller Bohnen und gekochter Kartoffeln standen griffbereit auf dem Tisch, und eine Sklavin brachte einen schön verzierten silbernen Krug mit gewürztem Rum, an dem sich alle bedienen und das Mahl die Kehle hinunterwaschen konnten.

      Der Regen begann stetig aufs Dach zu klopfen. Schon bald merkte Matthew, dass der Festschmaus eine ganze Anzahl ungeladener Gäste anzog: Große brummende Bremsen und Mücken summten ihnen um die Ohren und hinterließen juckende Schwellungen. Als das oft von Schlägen nach besonders angriffslustigen Insekten unterbrochene Gespräch einen Augenblick lang verebbte, trank Bidwell einen Schluck Rum und reichte den Krug an den Richter weiter. Dann räusperte sich Bidwell, und Woodward erkannte, dass die Zeit gekommen war, sich mit dem Grund ihres Kommens auseinanderzusetzen.

      »Ich sollte wohl fragen, was Ihr von den Vorkommnissen hier wisst, Sir«, sagte Bidwell, auf dessen Kinn