dann fort: »Nun kommt auch meine Zeit heran. Ich hatte nur Dich allein, und jetzt habe ich niemand mehr. Aber wenn es mir bestimmt ist, noch länger zu leben, gelobe ich Dir, mein Sohn, daß ich auch jene Hand, welche Dich erschlug, auf Dein Grab legen oder selbst zu Grunde gehen will. Dein Mörder ist jetzt noch am Leben.«
Da mit einem Male erstarben die Worte auf seinen Lippen. Ein so heftiger Krampf erfaßte ihn, daß seine Zähne auf einander schlugen, und erst nach einer gewissen Zeit begann er wieder in abgerissenen Lauten: »Ja … Dein Mörder ist noch am Leben, aber ich werde ihn zu treffen wissen … und bevor wir uns gegenüber stehen, werde ich ihm eine Marter auferlegen, die noch schlimmer ist als der Tod selbst.«
Er verstummte.
Nach einer Weile erhob er sich und noch näher an den Sarg herantretend sagte er in ruhigem Tone: »Nun nehme ich Abschied von Dir. Ich blicke zum letztenmal in Dein Antlitz, vielleicht kann ich in Deinen Zügen lesen, ob mein Gelübde Dich freut. Zum letztenmal!«
Er enthüllte Rotgiers Gesicht, fuhr aber plötzlich zurück.
»Du lächelst,« sagte er, »aber Dein Lächeln ist furchtbar!«
Der durch die Ueberführung in der Winterkälte ganz erstarrte Leichnam war jetzt unter dem Mantel und vielleicht auch durch die Wärme der Kerzen mit ungewöhnlicher Schnelligkeit in Verwesung übergegangen und das Antlitz des jungen Komturs sah in der That entsetzlich aus. Seine großen, angeschwollenen, schwarz gewordenen Ohren glichen einer unförmigen Masse, und seine bläulichen, aufgeworfenen Lippen waren verzogen wie zu einem Lächeln.
Zygfryd verhüllte hastig wieder diese fürchterliche Larve.
Dann nahm er die Laterne und verließ die Kapelle. Wieder, zum drittenmale, mangelte ihm der Atem, er kehrte daher in sein Gelaß zurück, warf sich auf sein hartes Lager und verharrte einige Zeit regungslos. Er sehnte sich nach Schlaf, aber plötzlich überkam ihn ein seltsames Gefühl. Ihn dünkte, daß der Schlaf ihn für immer fliehe, und daß der Tod ihn sofort ereile, wenn er in diesem Gelaß bleibe.
Zygfryd fürchtete den Tod nicht. In seiner großen Erschöpfung und ohne Hoffnung, jemals wieder Schlaf zu finden, erschien er ihm wie die ersehnte unendliche Ruhe, aber in dieser Nacht wollte er ihm noch keine Gewalt über sich einräumen, daher richtete er sich auf seinem Lager auf und sagte: »Lasse mir Zeit bis morgen!«
Da hörte er deutlich, wie ihm eine Stimme ins Ohr flüsterte: »Weiche aus dieser Zelle. Morgen wird es zu spät sein und Du wirst nicht vollführen können, was Du gelobt hast. Weiche aus dieser Zelle!«
Der Komtur erhob sich mühsam und trat hinaus. Von den Zinnen ertönte der Ruf der Wache. Aus den Fenstern der Kapelle fiel ein goldener Schein auf den Schnee. In der Mitte des Hofes, an dem steinernen Ziehbrunnen, spielten zwei schwarze Hunde miteinander, indem sie einen Lappen hin und her zogen, sonst aber war es leer und still rings umher.
»So muß es denn sein – noch diese Nacht –« sagte Zygfryd. »Ich bin tief erschöpft, aber ich muß mich aufraffen. Alle schlafen. Auch Jurand schläft vielleicht, von seinen Qualen übermannt, nur ich schlafe nicht. Ja, ich will gehen, ich will gehen, denn in meiner Zelle ist der Tod, und ich habe es Dir ja versprochen. Mag der Tod dann kommen, da der Schlaf mich flieht. Du liegst lächelnd da, mir aber fehlt die Kraft. Du lächelst, Du freust Dich also darüber. Aber siehst Du, meine Finger sind steif geworden, ich fühle keine Kraft mehr in der Hand, ich kann das nicht allein vollbringen. Mag es die Dienerin thun, welche bei ihr schläft.«
So sprechend ging er mit schweren Schritten dem am Thore stehenden Turme zu. Die Hunde, welche am Ziehbrunnen gespielt hatten, sprangen ihm wedelnd entgegen. In einem von ihnen erkannte Zygfryd die englische Dogge, welche so unzertrennlich von Diderich war, daß die Leute in der Burg sagten, sie diene ihm des Nachts als Kopfkissen.
Nachdem der Hund den Komtur freudig begrüßt hatte, schlug er leise an, dann lief er dem Thore zu, wie wenn er Zygfryds Absicht errate.
Bald befand sich dieser vor der schmalen Pforte des Turmes, welche des Nachts von außen verriegelt war. Nachdem er den Riegel zurückgeschoben hatte, tastete er nach dem Geländer der Treppe, welche dicht hinter der Thüre begann und stieg empor. Von seinen Gedanken vollständig erfüllt, hatte er die Laterne vergessen, so mußte er nun im Finstern tappend weiter gehen, indem er vorsichtig auftrat und mit den Füßen die Stufen suchte.
Da plötzlich, nach einigen Schritten, blieb er stehen, denn weiter oben, aber dicht vor ihm, ließ sich etwas wie die Atemzüge eines Menschen oder Tieres vernehmen.
»Wer ist hier?«
Es kam keine Antwort, aber die Atemzüge wurden rascher.
Zygfryd war kein furchtsamer Mensch, ihm bangte nicht vor dem Tode, allein die entsetzlichen Ereignisse dieser Nacht hatten seine körperlichen und geistigen Kräfte bis aufs Aeußerste erschöpft. Der Gedanke flog ihm durch den Kopf, daß ihm Rotgier oder vielleicht der böse Geist den Weg vertrete, und die Haare standen ihm zu Berge, kalter Schweiß trat auf seine Stirne. Er wich zurück, fast bis zum Eingang.
»Wer ist hier?« fragte er mit halb erstickter Stimme.
Aber in demselben Augenblick erhielt er einen so furchtbaren Stoß gegen die Brust, daß er das Bewußtsein verlor und rücklings durch die offene Thüre fiel, ohne einen Laut von sich zu geben.
Eine tiefe Stille folgte. Dann schlich eine dunkle Gestalt aus dem Turme hervor und eilte in gebückter Haltung dem Stalle zu, der sich auf der linken Seite des Hofes neben der Rüstkammer befand. Diderichs Dogge sprang hinter ihr her, der andere Hund lief ihnen nach und verschwand in der Dunkelheit, zeigte sich aber bald wieder, den Kopf zur Erde gesenkt und ganz langsam laufend, wie wenn er eine Spur suche. So näherte er sich dem regungslos daliegenden Zygfryd, beschnüffelte ihn aufmerksam, setzte sich neben dessen Haupte nieder, richtete seine Schnauze empor und begann laut zu heulen.
Das Geheul währte lange Zeit, die Schrecknisse dieser grausigen Nacht durch neue Klagelaute noch erhöhend. Endlich öffnete sich knarrend eine in einer Vertiefung der Hauptthüre verborgene Pforte und mit einer Hellebarde in der Hand trat der Thorwart in den Hof.
»Die Pest über diesen Hund!« sagte er. »Ich werde Dich lehren, während der Nacht zu heulen.«
Und die Hellebarde ausstreckend, wollte er mit der Spitze das Tier durchbohren, aber in diesem Augenblick sah er, daß jemand am Eingang des Turmes lag.
»Herr Jesus! Was ist das?«
Sich herabbeugend schaute er in das Gesicht des Regungslosen und schrie: »Hierher! Hierher! Hilfe!«
Hierauf eilte er an das Thor und begann mit aller Kraft den Glockenstrang zu ziehen.
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Sechster Teil.
Erstes Kapitel.
Wenngleich Glowacz gerne sobald wie möglich nach Zgorzelic gelangt wäre, konnte er dennoch nicht so rasch vorwärts kommen wie er wollte, weil die Wege immer schwieriger wurden. Nach dem harten Winter, der strengen Kälte und dem starken Schneefall, durch den ganze Dörfer wie verschüttet waren, trat heftiges Tauwetter ein. Der Februar war, trotz seines Namens, durchaus nicht rauh. Zuerst erhoben sich dichte, undurchdringliche Nebel, dann kamen wahre Regengüsse, wobei die Schneehaufen zusehends schmolzen. Regnete es nicht, so tobten Stürme, wie sie sonst gewöhnlich im März toben; in Zwischenräumen, ganz plötzlich, wurden dann große Wolken am Himmel hingejagt, zuweilen auch auseinander getrieben, auf der Erde aber fuhr der Wind heulend über die Gesträuche und Bäume und trocknete den geschmolzenen Schnee, unter dem vor kurzem erst die Stämme und Zweige ihren Winterschlaf gehalten hatten.
Die Wälder sahen jetzt dunkel, fast schwarz aus. Auf den Wiesen standen große Wasserlachen, Flüsse und Bäche waren ausgetreten. Dies Ueberwiegen des feuchten Elementes freute nur die Fischer, während die andere, gleichsam in Fesseln geschlagene Bevölkerung sich in ihren Häusern und Hütten