Henryk Sienkiewicz

Historische Romane von Henryk Sienkiewicz


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kein Grund für Euch vorhanden, in die Ferne zu ziehen oder hier zu bleiben.«

      Jagienka gab keine Antwort, aber ihre Wangen flammten.

      Der Böhme aber hub wieder an: »Ich dachte immer und denke auch noch, daß wir sie nicht lebend den Klauen dieser Henker entreißen werden. Doch alles steht ja in Gottes Hand. Ich will von Anfang an erzählen. Wir begaben uns nach Szczytno. Ritter Macko zeigte dem Untervogt den Brief Lichtensteins, und der Untervogt, welcher als Jüngling der Schwertträger des Kreuzritters gewesen ist, küßte das Siegel vor unseren Augen, nahm uns gastfreundlich auf und hegte keinen Argwohn. Hätten wir etliche Mannen bei uns gehabt, so wären wir ohne große Schwierigkeit im stande gewesen, die Burg einzunehmen, so großes Vertrauen setzte er in uns. Den Kaplan zu sprechen, fiel uns leicht, wir schwatzten zwei Nächte hindurch mit einander, und da erfuhren wir gar seltsame Dinge, von denen er durch den Henker Kenntnis hatte.«

      »Der Henker ist stumm.«

      »Ja, er ist stumm, aber durch sein Mienenspiel kann er dem Kaplan alles ausdrücken, und dieser versteht ihn gerade so gut, wie wenn er in Worten zu ihm spräche. Seltsame Dinge sind geschehen, und der Finger Gottes ist überall zu erkennen. Jener Henker hieb Jurand die Hand ab, riß ihm die Zunge heraus und blendete ihn. Er ist so geartet, daß er vor nichts zurückschreckt, wenn es sich um einen Mann handelt, daß ihm keine Bestrafung zu hart erscheint, und bekäme er den Befehl, einen Mann mit den Zähnen zu zerfleischen, so würde er es auch thun. Aber gegen ein Mägdlein würde er um keinen Preis die Hand erheben, und die schwersten Folterqualen könnten ihn nicht dazu bewegen. So ist er geworden, weil er ein Mägdlein kannte, das er unendlich liebte, und welche die Kreuzritter …«

      Hier stockte Hlawa und wußte nicht, ob er weiter reden solle.

      Jagienka, welche dies wohl bemerkte, sagte daher: »Was kümmert mich der Henker?«

      »Es gehört zur Sache,« entgegnete der Böhme. »Als unser junger Herr den Ritter Rotgier erschlug, ward der alte Komtur Zygfryd beinahe rasend. In Szczytno hielt man Rotgier für dessen Sohn, allein der Kaplan bestreitet, daß es sich so verhält, obwohl er zugiebt, daß kein Vater seinen Sohn hätte mehr lieben können. Um Rache zu nehmen, verschrieb der Komtur seine Seele dem Teufel, davon ist der Henker Augenzeuge gewesen. Der Komtur sprach mit dem Erschlagenen, wie ich jetzt mit Euch spreche, und dieser lächelte ihm bald zu, bald knirschte er mit den Zähnen, bald leckte er sich mit der schwarzen Zunge den Mund vor Freude darüber, daß ihm der alte Zygfryd des Herrn Zbyszko Haupt versprach. Aber weil der Komtur den Herrn Zbyszko zu jener Zeit nicht in seine Gewalt bekommen konnte, gab er Befehl, Jurand zu martern, und legte dessen Zunge und dessen Hand in den Sarg Rotgiers, welcher sie hierauf verzehrte …«

      »O wie furchtbar ist dies anzuhören. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!« sagte Jagienka.

      Sie erhob sich und legte ein neues Scheit Holz auf das Feuer, denn der Abend war schon angebrochen.

      »So ist es in der That gewesen,« fuhr Hlawa fort. »Wie es nun beim jüngsten Gericht sein wird, weiß ich nicht, denn was Jurand gehörte, muß ihm auch wieder zurückgegeben werden. Aber wie dies auszuführen ist, das geht über Menschenverstand. Zu jener Zeit hat der Henker alles mitangesehen. Nachdem der alte Komtur den Vampyr mit Menschenfleisch gesättigt hatte, wollte er ihm auch die Tochter Jurands bringen, denn der Tote hatte ihm offenbar zugeflüstert, ihn verlange darnach, mit dem Blute der Unschuldigen das Essen hinunterzuspülen. Allein der Henker, der, wie ich schon gesagt habe, sich zu allem gebrauchen läßt, es jedoch nie zugiebt, daß einem Mägdlein ein Leid zugefügt wird, hatte sich auf der Treppe verborgen. Der Kaplan sagt, daß er nicht recht bei Verstand, daß er eine unvernünftige Bestie sei, aber in solchen Fällen ist er ganz klug, und wenn es not thut, legt er eine größere Schlauheit an den Tag, als alle andern. Er kauerte sich also auf den Stufen nieder und erwartete hier den Komtur. Dieser hörte die schweren Atemzüge des Henkers, sah dessen funkelnde Augen und erschrak, weil er glaubte, es sei der Teufel. Da gab der Henker dem Komtur einen Faustschlag ins Genick, in der Meinung, er könne ihm das Rückgrat zerschmettern, ohne daß eine Spur von Gewaltthätigkeit zurückbleibe. Gleichwohl lebte der Komtur noch. Er lag lange Zeit in tiefer Ohnmacht und erkrankte vor Angst, aber als er wieder gesund ward, fürchtete er sich, es noch einmal zu unternehmen, der Tochter Jurands ein Leid zuzufügen.«

      »Und er hat sie mit sich fortgeführt?«

      »Er hat sie mit sich fortgeführt und den Henker ebenfalls. Daß dieser es gewesen war, der Danusia beschützt hatte, wußte der alte Komtur nicht, sondern er glaubte, irgend eine unbekannte böse oder gute Macht habe es gethan. Und in Szczytno wollte er den Henker nicht zurücklassen. Er fürchtete wohl dessen Zeugnis. Denn der Henker ist zwar stumm, doch wenn er vor dem Richter stünde, könnte er durch den Mund des Kaplans alles aussagen, was er auszusagen hätte. Daher sprach der Kaplan schließlich folgendermaßen zu Ritter Macko: ›Der alte Zygfryd wird nun Jurands Tochter nicht aus dem Wege räumen, denn er fürchtet sich, und würde er auch einem anderen befehlen, das Verbrechen auszuführen, sicher ist jedenfalls, daß Diderich, solange er lebt, sie noch ferner schützen wird, wie er sie schon einmal aus Todesgefahr errettet hat‹.«

      »Wußte der Kaplan, wohin sie gebracht worden ist?«

      »Genau wußte er es nicht, aber er hatte gehört, daß von Ragneta, einer Burg, die Rede war, welche nicht fern von der litauischen oder samogitischen Grenze liegt.«

      »Und was sagte Macko dazu?«

      »Am Morgen, nachdem Herr Macko dies vernommen hatte, sagte er zu mir: ›Wenn dem so ist, werden wir sie vielleicht finden; doch ich muß unverzüglich zu Zbyszko eilen, damit sie ihn nicht in eine Falle locken, wie sie Jurand in eine Falle gelockt haben. Sofern sie sagen, sie wollten ihm Danusia ausliefern, falls er selbst komme, wird er es thun, und dann wird der alte Zygfryd um Rotgiers willen Rache an ihm nehmen, eine so furchtbare Rache, wie kein menschliches Auge sie noch erschaut hat.‹«

      »Das ist wahr! Das ist wahr!« rief Jagienka ängstlich aus. »Wenn er sich darum sputete, fortzukommen, so hat er wohl daran gethan.«

      Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Darin nur hat er einen Irrtum begangen, daß er Euch hierhergeschickt hat. Wozu brauchen wir hier in Spychow Schutz? Der alte Tolima wird uns schützen, und Ihr könntet Zbyszko von Nutzen sein, denn Ihr seid stark und klug.«

      »Und wer wird Euch nach Zgorzelic geleiten, wenn es nötig sein sollte, gnädige Herrin?«

      »Wenn es nötig sein sollte, mögt Ihr vor ihnen hierherkommen. Durch irgend jemand müssen sie Kunde schicken, laßt Euch dann schicken und geleitet uns nach Zgorzelic.«

      Der Böhme küßte ihr die Hand und fragte in bewegtem Tone: »Und während dieser Zeit werdet Ihr hier bleiben?«

      »Gott wacht über die Waisen! Wir bleiben hier.«

      »Und werdet Ihr Euch nicht allzusehr härmen? Was wollt Ihr thun?«

      »Unsern Herrn Jesus bitten, er möge Zbyszko wieder glücklich machen und Euch alle gesund erhalten!«

      Bei diesen Worten brach sie in lautes Weinen aus.

      Und der Knappe beugte abermals die Knie vor ihr: »Einem Engel im Himmel bist Du zu vergleichen,« sagte er.

      Siebentes Kapitel.

      Inhaltsverzeichnis

      Aber sie trocknete ihre Thränen und forderte den Böhmen auf, ihr zu Jurand zu folgen und ihm die neue Kunde mitzuteilen. Sie trafen ihn in einer großen Stube, wo er aufrecht dasaß; Pater Kaleb, Anielka und der alte Tolima befanden sich bei ihm, eine zahme Wölfin lagerte zu seinen Füßen. Der Meßmer des Ortes, welcher zugleich Psalmist war, spielte auf der Laute und trug ihnen Gesänge von den ehemaligen Kämpfen Jurands mit den Kreuzrittern vor, und, den Kopf in die Hand gestützt, lauschten alle, in tiefe Betrachtungen und Trauer versenkt. Das Gemach war hell vom Monde beleuchtet. Einem beinahe schwülen Tage war ein stiller, warmer Abend gefolgt, die Fenster standen offen und im Scheine des Mondes waren die in der Stube umherschwirrenden