weiß ich zu wenig über diese Methode«, erwiderte die Klinikchefin. »Können Sie mir Genaueres darüber sagen und Ihre Meinung begründen?«
Mit dieser Frage erwischte sie Lammers auf dem falschen Fuß.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und spielte mit dem Kugelschreiber, der vor ihm auf dem Tisch lag. Er war sich der Blicke bewusst, die auf ihm ruhten, und wusste auch, dass er Gefahr lief, das Gesicht zu verlieren. Für gewöhnlich nie um eine Ausrede verlegen, fiel ihm ausgerechnet in diesem Moment keine passende Antwort ein.
»Das weiß doch jedes Kind, dass Eingriffe im Mutterleib ein hohes Risiko bedeuten. Das wird bei Frau Brandt nicht anders sein. Außerdem hatte ich keine Zeit für genauere Recherchen. Ich musste mich um den Hirnabszess kümmern«, versuchte er, sich herauszureden.
»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich mich auch mit Lukas Claas beschäftigt.« Fees Stimme war schnippisch. »Trotzdem habe ich mir die Zeit genommen, mich über diese Art der Operation zu informieren.« Sie schickte ihrem Kollegen ein scheinheiliges Lächeln und wandte sich dann an Jenny. »Vor ein paar Jahren stellten diese Operationen im Mutterleib tatsächlich noch ein großes Risiko für Mutter und Kind dar. Inzwischen wurde die Technik aber erheblich verfeinert. Und Professor Engelmann aus dem Herzzentrum hat einige beachtliche Erfolge vorzuweisen.«
»Hast du persönlich mit dem Kollegen gesprochen?«, wollte Jenny wissen.
Felicitas bejahte und berichtete von der Besprechung, die sie am Abend zuvor mit Mann, Sohn und dem Professor abgehalten hatte, der sich per Internet zugeschaltet hatte.
»Ich habe ihm sämtliche Untersuchungsergebnisse zukommen lassen, und wir haben ausführlich darüber gesprochen. Auch er befürwortet diesen Eingriff.«
»Das widerspricht meinen Erfahrungen«, war Volker Lammers nicht gewillt, klein beizugeben. »Meines Wissens sind die Ergebnisse nach wie vor unbefriedigend.«
Händeringend suchte Felicitas nach einem Argument, um diesen Skeptiker zu überzeugen.
»Die Gefahr, dass Fynn in Marlas Bauch stirbt, nimmt von Tag zu Tag zu. Wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie sie ihr Kind verliert.«
Ihre emotionale Reaktion entlockte Volker Lammers ein spöttisches Lächeln.
»Emotionen waren noch nie ein guter Ratgeber. Finden Sie nicht?«
Fees Augen wurden schmal vor Ärger.
»Es ist mir schon klar, dass Sie von Gefühlsdingen wenig bis keine Ahnung haben. Aber lassen Sie sich gesagt sein: Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Kind zu verlieren.« Die beiden saßen sich am Tisch gegenüber und funkelten sich an, während Jenny und Mario abwägten.
»Warum müssen Sie immer persönlich werden, liebe Kollegin?«, fragte Lammers zuckersüß und erkennbar von sich überzeugt. »Eine unserer Aufgaben ist es, professionelle Distanz zu wahren. Mal abgesehen davon, dass mit so einem Eingriff nicht schlagartig alle Probleme gelöst sind.« Diesen Moment hielt er für gut gewählt, um sich aus der Runde zu verabschieden. Er hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen? Ich muss mich noch über einen schwierigen Fall informieren«, betonte er sehr zu Marios Missfallen. Der Chef der Pädiatrie sah dem Kollegen nach, wie er zur Tür ging. Ehe er sie erreicht hatte, wandte sich Mario Cornelius demonstrativ an Fee.
»Wenn Jenny einverstanden ist, bin ich dafür, dass du die Eltern über die Risiken aufklärst«, teilte er ihr das Ergebnis seiner Überlegungen mit. »Es bleibt ihre Entscheidung, ob sie das Risiko für Mutter und Kind eingehen wollen.«
Fee lächelte Mario zu, Dankbarkeit im Blick.
»Falls sie sich dafür entscheiden, hat sich Professor Engelmann bereit erklärt, hier in der Klinik zu operieren.«
»Sehr gut«, erwiderte Jenny Behnisch und schielte auf Volker Lammers, den die Neugier an der Tür festgehalten hatte. Als sich die Chefin gegen ihn stellte, hielt ihn nichts mehr auf. Er polterte aus dem Zimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloss, dass es nur so krachte.
Die drei verbliebenen Ärzte schickten sich vielsagende Blicke, ehe auch sie an ihre Arbeit zurückkehrten und Fee sich auf den Weg zu Marla machte, um ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten.
*
»Hier, ich hab dir Gebäck mitgebracht. Mit den besten Grüßen von Tatjana. Sie schaut heute Nachmittag mal bei dir vorbei.« Nichtahnend, welche Gespräche andernorts in der Klinik geführt wurden, trat Pascal Lüders ans Bett seiner Freundin und beugte sich über sie, um ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn zu geben.
»Danke«, erwiderte Marla sichtlich irritiert. Die offensichtliche Zurückhaltung ihres Freundes alarmierte sie. »Wo warst du denn gestern Nachmittag? Ich dachte, du kommst mich nochmal besuchen. Auf dem Handy warst du auch nicht erreichbar.«
»Oh, ich hatte noch ein Gespräch mit Dr. Lammers und war dann bei Danny und Tatjana eingeladen«, redete sich Pascal heraus. »Wie geht es dir heute?«
Marla wollte eben nachfragen, was Volker Lammers gesagt hatte, das ihn so verstörte, als es klopfte und Dr. Felicitas Norden hereinkam.
»Hallo, ihr beiden«, begrüßte sie das Paar lächelnd. »Entschuldigt die Störung, aber ich muss mit euch reden. Gut, dass du hier bist«, nickte sie Pascal zu und trat ans Bett.
Als sie die Ärztin sah, schluckte Marla. Wie versprochen hatte sich Fee am Abend zuvor noch bei ihr gemeldet, sie aber auf den nächsten Morgen vertröstet. Vor Aufregung begann ihr Herz schneller zu schlagen.
»Fee! Kannst du mir jetzt sagen, was ihr vorhabt?« Wie um ihr Kind zu beschützen, legte Marla die Hände auf den Bauch und sah die Ärztin mit großen Augen an.
Diesen Wunsch konnte Felicitas erfüllen, und sie berichtete ausführlich über Chancen und Risiken des geplanten Eingriffs.
»Ich muss dazusagen, dass wir die Ballondilatation nur anwenden, weil es eurem Kind sehr schlecht geht. Und dass ihr euch gut überlegen müsst, welche Entscheidung ihr trefft. Seht her.« Sie zog einen Stift aus der Kitteltasche und nahm das Klemmbrett zur Hand, das sie mitgebracht hatte. Auf ein leeres Blatt Papier skizzierte sie einen Fötus samt Herzen im Leib der Mutter. »Professor Engelmann wird einen Katheter durch die Bauchdecke in die Gebärmutter führen …« Weiter kam sie nicht, denn Pascal schnappte hörbar nach Luft.
»Durch den Bauch?«, fragte er. »Ist das nicht extrem gefährlich für Marla?«
Mit dieser Frage hatte Fee gerechnet. Trotzdem fiel ihr die Antwort schwer. Ihr Blick wanderte hinüber zu der werdenden Mutter.
»So ein Eingriff ist immer mit einem Risiko für Mutter UND Kind verbunden«, gestand sie. Entgegen ihrer Erwartung erschrak Marla nicht. Ganz im Gegenteil schien sie erleichtert, dass es überhaupt eine Möglichkeit gab, Fynn zu helfen.
»Wenn wir unserem Kind eine Chance geben wollen, müssen wir das Risiko eingehen«, erwiderte sie ohne Zögern.
»Aber du hast es doch gehört!«, fuhr Pascal dazwischen. »Es ist noch nicht mal sicher, ob der Eingriff Erfolg hat. Das ist unverantwortlich, seine eigene Gesundheit, vielleicht sogar das ganze Leben aufs Spiel zu setzen.« Seine Wangen glühten vor Empörung und Sorge.
Doch auch davon ließ sich Marla nicht beeindrucken.
»Ich bin verantwortlich für Fynns Schicksal. Und ich will, dass er ein glückliches, gesundes Leben führen kann.« Ihre Stimme war voller Entschiedenheit.
Pascal griff nach ihren Händen und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
»Und ich bin froh, dass ich dich gefunden habe. Marla, ich liebe dich über alles und ich ertrage den Gedanken nicht, dass ich dich wieder verlieren könnte.« Er zog ihre Hände an seine Lippen und übersäte sie mit Küssen.
»Vielleicht gelingt es ja!«, versuchte sie, ihrem Freund Mut zu machen.
»Vielleicht, vielleicht«, brauste Pascal auf. »Ich will, dass du am Leben bleibst. Das ist das Wichtigste