Christine Strobl

Menschen, die Geschichte schrieben


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Als erstes fällt auf, dass Faustus sich hier mit einem Universitätsgrad vorstellt, allerdings nicht, wie uns geläufig, mit dem Doktortitel, sondern als Magister – diesen Titel führt er bis zum Erscheinen der Historia, die ihn zum ersten Mal in der Überlieferungsgeschichte promovierte, offenbar mit dem Ziel, durch den Doktorgrad die Fallhöhe zu vergrößern. Weiterhin fällt auf, dass Faustus sich mit einem dreiteiligen, latinisierten Namen vorstellt, was einer Mode der Humanisten entsprach. Eine solche Namensform galt als Programm, geradezu als Renaissance-Programm. Der Name „Faustus“ ist dabei für einen Astrologen und Wahrsager zudem besonders günstig gewählt, denn er bedeutet zu deutsch „glücklich“ oder „glücksverheißend“, war also gewissermaßen Aushängeschild seiner Kunst.

      Worin diese Kunst genau besteht, wird dann im Einzelnen aufgelistet. Nekromantie ist die Kunst, Tote ins Leben zurückzurufen, also genau das, was sich in der diskutierten Szene am Kaiserhof zuträgt, wenn der tote Alexander den Lebenden erscheint; Chiromantie ist die Handlesekunst, Hydromantie und Pyromantie die Vorhersage der Zukunft aus den Linien des Wassers bzw. aus der Gestalt des Feuers. Damit bietet die gesamte Liste einschlägige Hinweise auf die sogenannten mantischen Künste, d. h. die Techniken der Wahrsagerei, auf die Faustus sich, wie er hier ankündigt, verstand. Besonders interessant jedoch ist, dass dieser Magier sich auf seiner Karte als „Faustus iunior“ und „magus secundus“ ausweist. Was soll das heißen? Wer ist oder war dann Faustus senior, wer jener magus primus, in dessen Nachfolge er sich namentlich stellt?

      Darüber ist viel gerätselt worden. Frank Baron meint, es handele sich um Zoroaster, jenen Ersten Magier oder Ur-Magier aus dem Zweistromland, Kulturgründer und Zivilisationsstifter der Frühgeschichte, der auch als Zarathustra bekannt ist. Ein anderer Kandidat, der wohl um einiges plausibler wäre, ist Simon Magus, ein Zauberer aus Samaria, von dem die Apostelgeschichte der Bibel berichtet (Kapitel 8) und der in der Renaissance oftmals als Inbegriff magischer und gefährlicher Mächte angeführt wird. Aber auch diese Identifizierung muss spekulativ bleiben. Vielleicht ist daher die gesamte Frage, um wen genau es sich beim magus primus handelt, längst nicht so wichtig wie die schlichte Einsicht, dass der historische Faustus – wenn wir ihm denn diese Textspur zuordnen wollen – sich dezidiert als Nachfolger und Abkömmling darstellt, von wem auch immer. Dieser Faustus sagt von sich, dass er „magus secundus“, d. h. ein Wiedergänger oder auch Wiedergeborener sei. Er legitimiert sich und seine Autorität also dadurch, dass er die Autorität eines Vorgängers borgt. Das ist genau wieder jene schon beschriebene Grundfigur des Renaissance-Programms, der wir hier erneut begegnen: Das Aktuelle sucht Vergewisserung am Alten und schafft sich seine Genealogie, indem es sich einen Vorfahren erwählt.

      Wenn wir nun allerdings verstehen wollen, wie dieser „Faustus iunior“ zu einem so zentralen Mythos der Renaissance werden konnte, dass Luther und Melanchthon und viele andere große Geister jener Zeit sich ihrerseits auf ihn beziehen, müssen wir den Kontext des Briefes in Betracht ziehen, in dem Trithemius die Visitenkarte überliefert. Das Entscheidende ist nämlich, dass Johannes Trithemius diese Selbstdarstellung der mantischen Künste nur zitiert, um sie sogleich scharf zu verurteilen. Er führt in seinem Brief das bekannte Beispiel Faustus an, um sich kritisch davon abzugrenzen und zu zeigen, was man tunlichst lassen sollte. Der Brief stammt, wie gesagt, aus dem Jahr 1507 und damit aus den Lebzeiten der historischen Faustus-Figur, deren schreckliches Ende noch längst nicht bevorstand (als Todesjahr kann 1539 gelten), aber offenbar bereits erwartet wurde. 80 Jahre vor der Historia und ihrer Erzählung der invertierten Heiligenlegende dient Faustus dem Trithemius bereits klar als Negativexempel: An ihm wird ausgewiesen, was die Zeitgenossen von sich weisen.

      Das gilt durchweg. Wann immer in den historischen Quellen – Stadtchroniken, Briefen, Akten und Berichten – von Faustus die Rede ist, geht es in aller Regel um seine Ausweisung, Ablehnung, Verurteilung oder sonstige Kritik. Das kurze Patronat des Bischofs von Bamberg, das oben erwähnt wurde, bildet daher eine denkwürdige Ausnahme. Es überwiegen die Berichte darüber, wie der Wanderzauberer und fahrende Gelehrte jeweils aus der Stadt vertrieben und verschiedener Scharlatanereien und Verbrechen bezichtigt wird. Hierher gehören beispielsweise die Geschichten über Flugversuche, die er unternommen haben soll und die offenbar als betrügerischer Spuk gesehen wurden. Weiterhin und schlimmer aber wird er vielfach der Sodomie bezichtigt, worunter man jede Form der sexuellen Ausschweifung verstand. Man fand ihn, wie es in den Quellen heißt, in Gesellschaft von diversen Tieren (der schwarze Hund) oder Frauen (die schöne Helena) oder auch sonstigen Anhängern (die losen Studenten), mit denen er womöglich allerhand Undurchsichtiges und Unzüchtiges trieb, so dass man ihn durchweg außerhalb der regulären Gesellschaft sah und mit niemand anderem im Bunde als dem Teufel selbst, der, wie es hieß, die diversen Gestalten wie Hund, Helena und so weiter annehmen konnte.

      Dass Faustus einen regelrechten Teufelspakt geschlossen habe, kommt in den verstreuten Quellen als Behauptung zwar erst relativ spät auf, geht dann aber umso wirkungsvoller in die Überlieferungsgeschichte ein. Durchweg handelt es sich bei solcher Mythenbildung ja um volkstümliche und das heißt mündliche Tradierung, bei der mit jeder Weitergabe der Geschichte durch Nacherzählung Weiteres hinzugefügt wird. Dabei stammt der Leibhaftige als Faustens zeitweiliger Diener und eigentlicher Herr, dem er sich und seine Seele mutwillig verschrieben habe, wohl aus Wittenberg. Denn dieses zentrale und für uns entscheidende Motiv des Faustus-Mythos, das wir heutzutage mit ihm gleichsetzen, gelangt erst mit den Faustus-Erzählungen der Reformatoren zu Prominenz und Relevanz.

      REFORMATOREN UND TEUFEL

      Das ist eine interessante Passage. Beiläufig fällt bei Tisch der Name Faustus, was offenbar den Reformator motiviert, sogleich von seinen eigenen Auseinandersetzungen mit dem Leibhaftigen zu erzählen. Magister Faustus bietet Doktor Luther anscheinend willkommenen Anlass, seinen Tischgenossen zu erklären, wie er selbst mit dem Teufel fertig geworden ist: Gerungen und gekämpft habe er mit ihm, auf Leben und Tod, „[a]ber mit Gottes Wort“ sich letztlich seiner erwehret – gerade anders als Faustus, der sich von Gottes Wort abgewandt und dem Teufel ganz verschrieben habe. Luther siegt, wo Faustus versagt: So wird mit der Erzählung eine klare Grenze gezogen. Gleichzeitig allerdings wird durch derartige Geschichten die Faustus-Figur in den frühen, umkämpften Jahrzehnten der Reformation zunehmend enger mit dem Wirken der Reformatoren assoziiert, als Gegenfigur und erklärtes Gegenbeispiel zwar, aber dadurch zugleich als Referenzfigur, deren heilloses Leben eine dunkle und dämonische Parallele zum heilsgewissen Leben eines Doktor Luther darstellt.

      Diese Assoziierung geht so weit, dass im weiteren Verlauf der Überlieferung, wie die Historia dann deutlich zeigt, sogar der Studien- und Wirkungsort von Faustus selbst in Wittenberg gesehen wird und nicht mehr, wie zuvor meist, in Württemberg. Die geographische Verschiebung aus dem süddeutschen in den mitteldeutschen Raum und damit in das Kernland des deutschen