Sie hatte ein zweites Leben geschenkt bekommen, das wollte sie so gestalten, wie es ihr richtig erschien.
Als sie die Behnisch-Klinik verließen, standen die Schwestern Spalier. Manch eine hatte Tränen in den Augen, denn Janine und Beate, diese beiden tapferen Mädchen, waren ihnen ans Herz gewachsen.
»Die größte Freude würdet ihr uns machen, wenn ihr in nicht zu ferner Zeit fröhlich angesprungen kämet«, sagte Jenny Behnisch. »Unsere guten Wünsche begleiten euch.« Und auch Inge wurde jetzt mit einem festen Händedruck bedacht.
Vorsichtig wurde Janine auf den Beifahrersitz gesetzt und angeschnallt. Alles war so für sie vorbereitet worden, daß sie es ganz bequem hatte.
Auf dem Rücksitz hatten Inge und Beate Platz genommen. Beate hatte noch einen Stützverband am gebrochenen Bein, das aber recht gut verheilt war. Der Arm machte ihr gar nicht mehr zu schaffen. Sie hätte sehr gute Knochen und Gelenke, hatte ihr Dr. Behnisch bestätigt.
Weit war die Fahrt nicht. Nach knapp zwei Stunden erreichten sie Gut Neuenwied, einen wunderschönen Bau inmitten einer Parklandschaft. Der erste Laut, den Beate vernahm, war das Wiehern eines Pferdes. Ein freudiges Lächeln glitt gleich über ihr Gesicht.
Helmut war ausgestiegen, um ihr Kommen anzumelden, aber schon erschien ein hochgewachsener weißhaariger Mann mit elastischen Schritten und stellte sich als Dr. Albrecht vor. Er wirkte jung und sportlich, trotz der weißen Haare. Gleich wurde auch ein Rollstuhl für Janine gebracht.
Die Begrüßung war herzlich, Dr. Albrechts warme dunkle Stimme gab ihnen gleich das Gefühl der Geborgenheit. Es war eine familiäre Atmosphäre in dem schönen Haus, das gar nichts von einem Sanatorium oder gar einer Klinik an sich hatte. Ein großes helles Zimmer mit Naturholz war für Beate und Janine hergerichtet.
Die übrigen Räume des Hauses, Eßsaal und Aufenthaltsraum, der Wintergarten und die überdachte Terrasse, ein Lesezimmer und ein Fernsehraum extra, so daß jeder seine eigene Freizeit gestalten konnte. Es gab auch Fitnessräume, und die Schwimmhalle, von der Andy schon gesprochen hatte, war lichtdurchflutet mit einem weiten Blick in den herrlichen Park. Einzig die Therapieräume verrieten, daß hier Kranke behandelt wurden. Janine konnte gleich sehen, daß sie nicht die einzige war, die im Rollstuhl gefahren wurde.
Beate brannte darauf, die Pferde zu sehen. Das konnte sie wenigstens aus der Entfernung, denn es war gerade Reiten als Therapie angesagt. Fünf Patienten saßen auf den Pferden, die langsam geführt wurden. Da durfte nicht gestört werden. Dr. Albrecht erklärte, daß es für diese Patienten nicht einfach sei, ruhig auf den Pferden zu sitzen, aber sie lernten dadurch, Angst zu überwinden und Sicherheit zu erlangen.
»Ich freue mich schon darauf, reiten zu dürfen«, sagte Beate mit strahlenden Augen. Ich würde mich auch gern mit ihnen beschäftigen.«
»Wir werden sehen, alles hübsch der Reihe nach«, sagte Dr. Albrecht nachsichtig.
Helmut war beruhigt, einem so sympathischen Mann seinen Liebling anvertrauen zu können, Inge war geradezu begeistert von ihm.
»Wenn es dir so gut gefällt, kannst du ja auch eine Zeit hierbleiben«, schlug Helmut vor.
»Willst du mich schon wieder loswerden?« schmollte sie.
»Ich wollte nur herausfinden, ob du mich wieder allein lassen willst«, scherzte er.
»Ich bin froh, daß du mich erträgst, aber es ist auch beruhigend, die beiden so gut aufgehoben zu wissen.«
Zwei Dutzend Patienten waren im Haus. Mehr nahm Dr. Albrecht auch nicht auf, denn er wollte für jeden genügend Zeit haben. Bei der gemeinsamen Teestunde, zu der auch Inge und Helmut noch blieben, erzählte er, daß er sich zehn Jahre in China aufgehalten hatte, um dort die chinesische Heilkunst zu studieren.
»Es war so faszinierend, daß ich gar nicht merkte, wie die Jahre vergingen. Allerdings hatte ich inzwischen auch meine Frau kennengelernt, die auch als Ärztin tätig war. Ich konnte sie aber leider nicht dazu bewegen, mit mir nach Deutschland zu kommen. So mußte ich es leider auch in Kauf nehmen, daß mein Sohn erst zu mir kam, als seine Mutter gestorben war. Aber ich war immer entschlossen gewesen, Gut Neuenwied, das Familienbesitz ist, zu einem Sanatorium zu machen. Das ist mir anscheinend recht gut gelungen.«
»Es ist wunderschön«, sagten sie alle fast gleichzeitig. Dr. Albrecht bot ein Bild völliger Ausgeglichenheit und innerer Zufriedenheit. Er wirkte sehr jugendlich, wenn er so locker plauderte, aber alles, was er sagte, hatte Sinn und regte zum Nachdenken an.
Er war ein Mann, der tat, was er für richtig empfand, der wohl auch zu Kompromissen bereit war, aber seinen Weg doch gehen wollte mit einem ganz bestimmten Ziel vor Augen. Sein Blick hatte hypnotische Kraft, und seine Ruhe teilte sich allen mit, die ihm zuhörten.
»Bei mir kribbelt es richtig, wenn er mich anschaut«, sagte Janine später leise zu Beate.
Beate nickte geistesabwesend. Sie war noch völlig fasziniert von allem, was sie schon in den ersten Stunden erlebt hatte. Sie würde hier sehr viel lernen können, was sie später auch für ihren Beruf als Tierärztin auswerten konnte.
Nun hatten sich ihre Eltern wieder verabschiedet. Sie hatten noch allein mit Dr. Albrecht gesprochen und den beiden Mädchen dann gesagt, daß sie hier in den besten Händen wären.
»Ich werde Tagebuch führen, damit ich alles genau in Erinnerung behalte«, sagte Beate. »Ich denke, daß es eine bedeutungsvolle Zeit für uns sein kann.«
Sie ist schon eine richtige Philosophin geworden, unsere Kleine«, sagte Helmut auf der Heimfahrt zu Inge. »Nachdenklich war sie ja schon immer, aber durch den Unfall scheint ihr der tiefe Sinn des Lebens richtig bewußt zu werden.«
»Mir aber auch«, gab Inge zu. »Meine Fehler werden mir jetzt auch erst so richtig bewußt, und ich würde gern manches ungeschehen machen, Helmut.«
»Es genügt schon, daß du so einsichtig geworden bist. Fehlerfrei bin ich auch nicht. Aber wie die beiden Mädchen mit allem fertig werden, ist schon bewundernswert.«
So ähnlich sagte es Daniel Norden auch zu Fee. »Jenny und Dieter sind des Lobes voll über beide«, sagte er. »Kein Jammern, keine Klagen, keine Beschwerden, das erleben sie auch selten, vor allem nicht bei so schweren Fällen. Nicht mal gegen Klaus Ziegler hat es böse Worte gegeben.«
»Hoffen wir also, daß sie ganz genesen und in eine glückliche Zukunft gehen können«, meinte Fee.
Beim Abendessen lernten Beate und Janine die anderen Patienten kennen. Sie wurden einander mit den Vornamen vorgestellt. Auch die schon älteren Damen und Herren schienen nichts dagegen zu haben, gleich mit Du angesprochen zu werden. Dr. Albrecht meinte, daß die Verständigung so einfacher sei. Die Voraussetzung für ein harmonisches Miteinander sei das gegenseitige Verstehen. Er wurde von allen Doc genannt, und das war Beate und Janine auch recht.
Jonas Albrecht schien allgegenwärtig zu sein. Seine Aura wirkte, wenn man auch nicht direkt mit ihm zu tun hatte. Beate schlief in dieser Nacht so gut wie schon lange nicht mehr, und so schöne Träume hatte sie noch nie gehabt.
Der Doc geisterte darin herum, aber er schien viel jünger zu sein. Sie tanzte mit ihm ausgelassen, wie nur junge Menschen miteinander tanzten. Aber diesen Traum wollte sie lieber für sich behalten, obgleich sie und Janine sich ihre Träume sonst immer erzählten.
Janine erzählte ihren. Sie hätte wundervoll geschlafen, sagte sie, und sie hätte ganz leicht und schnell laufen können.
»Und wir sind beide geritten, du auf einem braunen Pferd und ich auf einem weißen, und es hat mir gar nichts ausgemacht, selbst aufzusteigen. Wenn das in Erfüllung gehen würde…«, sagte sie sehnsüchtig.
»Es wird in Erfüllung gehen«, sagte Beate.
Janine sollte am Vormittag ihre erste Behandlung bekommen. »Du kannst dich ja inzwischen draußen umschauen«, sagte der Doc zu Beate. »Du interessierst dich doch am meisten für die Pferde. Wenn dir eines besonders zusagt, sag es mir, damit ich euch miteinander vertraut machen kann.«
Beate sah ihn verwundert