Джозеф Конрад

Gesammelte Werke von Joseph Conrad


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er sich und schritt ins Zimmer hinein, mit solcher Entschlossenheit, daß die Enden seines gesucht altmodischen Maschenbinders voll unaussprechlicher Drohungen zu zittern schienen. Die Bewegung war so schnell und grimmig, daß Herr Verloc, der sie aus den Augenwinkeln beobachtete, zu innerst erbebte.

      »Aha! Sie wagen es, frech zu werden«, begann Herr Vladimir in erstaunlich singendem Kehltone, der sich nicht nur ganz unenglisch, sondern ganz uneuropäisch anhörte und sogar Herrn Verloc, trotz seiner Kenntnis der Winkelkneipen in aller Welt, überraschte. »Sie wagen es! Nun gut, ich will auch gut englisch mit Ihnen reden! – Die Stimme macht’s nicht, wir brauchen Ihre Stimme nicht, wir brauchen keine Stimme. Wir wollen Taten, die Aufsehen machen, – verflucht!« fügte er hinzu, mit wütender Höflichkeit, grade in Herrn Verlocs Gesicht.

      »Kommen Sie mir nicht mit Ihren hyperboreischen Umgangsformen«, wehrte Herr Verloc heiser ab, den Blick auf den Teppich gesenkt. Daraufhin schaltete sein Gegenüber, spöttisch über den breiten Maschenbinder weglächelnd, ins Französische um.

      »Sie geben sich als Agent provocateur aus; der wahre Zweck eines Agent provocateur ist: zu provozieren. Soweit ich aus Ihren hier aufbewahrten Meldungen ersehen kann, haben Sie während der letzten drei Jahre nichts getan, um Ihr Geld zu verdienen.«

      »Nichts!« rief Verloc aus, ohne ein Glied zu rühren oder die Augen zu heben, doch mit dem Zittern echten Gefühls in der Stimme. »Ich habe mehrmals zu verhindern gewußt, was vielleicht – –«

      »Es gibt ein Sprichwort hierzulande, das sagt, Vorbeugen sei besser als Heilen«, unterbrach Herr Vladimir und warf sich in den Armstuhl. »Das ist durchaus töricht. Das Vorbeugen nimmt kein Ende. Aber es ist kennzeichnend. Man liebt hierzulande das Endgültige nicht. Seien Sie mir nicht zu englisch, und, in unserem besonderen Fall: machen Sie sich nicht lächerlich! Das Übel ist schon da, wir wollen nicht vorbeugen – wir wollen heilen!« Er unterbrach sich, wandte sich zum Tisch und fuhr, während er einige herumliegende Papiere durchstöberte, in verändertem, rein geschäftlichem Ton fort, ohne Herrn Verloc anzusehen:

      »Sie wissen natürlich von der internationalen Konferenz, die in Mailand tagt.«

      Herr Verloc gab krächzend zu verstehen, daß er gewöhnt sei, die Tageszeitungen zu lesen. Seine Antwort auf eine weitere Frage ging dahin, daß er das Gelesene auch begreife. Daraufhin murmelte Herr Vladimir und lächelte schwach in die Papiere hinein, die er immer noch durchstöberte: »Solange es nicht lateinisch geschrieben ist, vermute ich!«

      »Oder chinesisch«, fügte Herr Verloc bockig hinzu.

      »Hm, manche Auslassungen Ihrer revolutionären Freunde sind in einem Kauderwelsch geschrieben, das mindestens so unverständlich ist wie Chinesisch –« Herr Vladimir ließ verächtlich einen grau bedruckten Aktenbogen fallen. »Was sollen alle die Flugzettel, die am Kopfe Z. P. tragen und einen Hammer, eine Feder und eine Fackel, durchkreuzt. Was heißt dieses Z. P.?« Herr Verloc näherte sich dem gewaltigen Schreibtisch.

      »Die Zukunft des Proletariats. Das ist eine Gesellschaft«, erklärte er und blieb wuchtig neben dem Armstuhl stehen. »Nicht grundsätzlich anarchistisch, aber für alle revolutionären Abstufungen geöffnet!«

      »Sind Sie dabei?«

      »Einer der Vizepräsidenten«, flüsterte Herr Verloc mit Nachdruck, und der Erste Sekretär der Gesandtschaft hob den Kopf, um ihn anzusehen.

      »Dann sollten Sie sich vor sich selbst schämen!« sagte er scharf. »Bringt Ihre Gesellschaft nichts weiter fertig, als diesen prophetischen Unsinn in schlechten Lettern auf schmieriges Papier zu drucken? Warum tun Sie nichts? Sehen Sie, ich habe diese Sache jetzt in der Hand und sage Ihnen offen, daß Sie Ihr Geld zu verdienen haben werden! Die Zeiten des guten alten Stott-Wartenheim sind vorüber! Keine Arbeit, kein Geld!«

      Herr Verloc hatte ein merkwürdiges Gefühl von Schwäche in seinen dicken Beinen. Er trat einen Schritt zurück und schnaubte laut durch die Nase.

      Er war tatsächlich peinlich überrascht. Der rostige Londoner Sonnenschein arbeitete sich durch den Londoner Nebel und warf gedämpftes Licht in das Bureau des Ersten Sekretärs; und durch die Stille hörte Herr Verloc eine Fliege leise gegen eine Scheibe summen, – seine erste Fliege in diesem Jahre, – die besser als alle Schwalben das Nahen des Frühlings verkündete. Die nutzlose Rührigkeit dieses winzigen; kraftbewußten Lebewesens weckte in dem großen Mann, der sich in seiner Untätigkeit bedroht sah, peinliche Gedanken. In der Pause machte Herr Vladimir ganz für sich eine Reihe häßlicher Bemerkungen über Herrn Verlocs Gesicht und Figur. Der Bursche war über jedes Maß gewöhnlich, schwer, und schamlos dumm. Er sah ganz lächerlich einem Spenglermeister gleich, der seine Rechnung einkassieren kommt. Der Erste Sekretär der Gesandtschaft hatte von gelegentlichen Ausflügen in das Reich amerikanischen Humors eine besondere Art von Vorstellung von jener Art von Handwerkern mitgebracht, die ihm als das Sinnbild betrügerischer Faulheit und Nichtigkeit erschienen.

      Das also war der berühmte und vertrauenswürdige Geheimagent, so geheim, daß er niemals anders als mit dem Buchstaben A in dem amtlichen, halbamtlichen und vertraulichen Briefwechsel des seligen Barons Stott-Wartenheim bezeichnet worden war. Der gefeierte Agent A, dessen Warnungen die Reisepläne königlicher, kaiserlicher und großfürstlicher Herrschaften ändern und manchmal ganz zunichte machen konnten. Dieser Bursche! Und Herr Vladimir gab sich innerlich einer ungeheuren, spöttischen Heiterkeit hin, teils über sein eigenes Erstaunen, das ihm kindlich vorkam, hauptsächlich aber auf Kosten des allgemein betrauerten Barons Stott-Wartenheim. Der verblichene Exzellenzherr, den die erhabene Gunst seines kaiserlichen Herrn als Gesandten über mehrere widerstrebende Außenminister gestellt hatte, war zu Lebzeiten bekannt gewesen für seine eulenhafte, leichtgläubige Schwarzseherei. Für Seine Exzellenz war die soziale Revolution zur fixen Idee geworden. Er hielt sich selbst für einen Diplomaten, der aus besonderer Gnade ausersehen war, das Ende der Diplomatie und fast auch das Ende der Welt in einem schauerlichen Volksaufruhr mit anzusehen. Über seine prophetischen und schmerzgebeugten Depeschen hatte man in mehr als einem auswärtigen Amt jahrelang gelacht. Man erzählte sich, daß er auf seinem Totenbette (wo er von seinem kaiserlichen Freund und Meister besucht worden war), ausgerufen hatte: »Unseliges Europa! Du sollst untergehn an dem Wahnwitz deiner Kinder!« Es war sein Schicksal, das Opfer des ersten besten hergelaufenen, aufschneiderischen Schurken zu werden, dachte Herr Vladimir, mit einem verlorenen Lächeln zu Herrn Verloc hin.

      »Sie haben allen Grund, das Andenken des Barons Stott-Wartenheim in Ehren zu halten«, rief er plötzlich aus.

      Herrn Verlocs schlaffe Züge trugen das Gepräge eines düsteren, müden Kummers.

      »Gestatten Sie die Bemerkung,« sagte er, »daß ich hierher kam, weil ich durch brieflichen Befehl dazu aufgefordert war. Ich bin während der letzten elf Jahre nur zweimal sonst hier gewesen, und sicher nie um elf Uhr morgens. Es scheint mir nicht sehr weise, mich so herkommen zu lassen. Wie leicht könnte ich gesehen werden, und das wäre kein Spaß für mich.«

      Herr Vladimir zuckte die Schultern.

      »Es würde meine Brauchbarkeit zerstören«, fuhr der andere hitzig fort.

      »Das ist Ihre Sache«, murmelte Herr Vladimir mit gedämpfter Roheit. »Sobald Sie aufhören, brauchbar zu sein, wird man aufhören, Sie zu verwenden. Jawohl. Ab! Schluß! Sie werden – –« Herr Vladimir unterbrach sich, schien mit gerunzelten Brauen nach einem genügend mundartlichen Ausdruck zu suchen und entblößte dann in plötzlichem Grinsen ein blendend weißes Gebiß. »Sie werden gespritzt«, stieß er hervor.

      Wiederum hatte Herr Verloc mit aller Willenskraft gegen ein Schwächegefühl zu kämpfen, das ihm die Beine hinunterlief und das seinerzeit einmal einen armen Teufel zu dem Wortbild begeistert hatte: »Mein Herz fiel mir in die Schuhe!« Herr Verloc überwand das Gefühl und hob tapfer den Kopf.

      Herr Vladimir hielt den eindringlich prüfenden Blick mit größter Gemütsruhe aus.

      »Wir wollen der Konferenz in Mailand ein kleines Stimulans eingeben«, sagte er leichthin. »Ihre Erwägungen über internationale Maßnahmen zur Unterdrückung politischer Verbrechen scheinen zu keinem Ende zu führen; England läßt aus. Dieses Land ist ganz