Джозеф Конрад

Gesammelte Werke von Joseph Conrad


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Schuljunge aussah, nahm die Bitte des Kommissars mit zweifelhaftem Blick auf und sprach mit angehaltenem Atem.

      »Wird er Sie empfangen wollen? Das weiß ich nun gar nicht. Er ist vor einer Stunde vom Parlament herübergekommen, um mit dem ständigen Untersekretär zu reden, und ist nun im Begriff, wieder zurückzugehen. Er hätte ihn auch kommen lassen können; aber er tut es, um sich ein wenig Bewegung zu machen, vermute ich. Mehr freie Zeit hat er ja nicht, während diese Session anhält. Ich beklage mich nicht; die kurzen Gänge machen mir Freude. Er stützt sich auf meinen Arm und öffnet die Lippen nicht. Aber er ist sehr übermüdet und – nun – nicht eben in bester Laune.«

      »Es ist wegen der Greenwich-Sache.«

      »Oh! Das auch noch! Er hat euch sehr auf dem Strich. Aber wenn Sie darauf bestehen, so will ich nachsehen gehen.«

      »Recht so. Sie sind ein braver Junge«, sagte der Kommissar.

      Der unbesoldete Sekretär bewunderte diese Kühnheit. Er machte sich ein harmloses Gesicht zurecht, öffnete die Tür und ging mit der Sicherheit eines hübschen und verwöhnten Kindes hinein. Er kam gleich wieder und nickte dem Kommissar zu, der nun durch die offengehaltene Türe eintrat und sich in einem weiten Räume der großen Persönlichkeit gegenüber sah.

      Mächtig gebaut, mit einem langen weißen Gesicht, das sich nach unten zu in ein wuchtiges Doppelkinn verbreiterte und eiförmig im Rahmen des grauen Backenbarts lag, schien die große Persönlichkeit sozusagen in Ausdehnung begriffen. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die vom Schneiderstandpunkt aus unerfreulichen Querfalten in dem zugeknöpften schwarzen Rock, die äußerste Beanspruchung des Kleidungsstückes verrieten. Das Haupt ruhte auf dickem Halse, und zu beiden Seiten der Hakennase, die kühn aus der Fläche des weißen Gesichtes sprang, blickten die Augen hochmütig über die sackartigen unteren Lider hinweg. Ein glänzender Zylinder und ein Paar abgetragene Handschuhe, die am Ende eines langen Tisches bereitlagen, erweckten in ihrer Ungeheuerlichkeit gleichfalls den Gedanken an Ausdehnung.

      Er stand am Kamin, in großen, geräumigen Schuhen, und äußerte kein Wort der Begrüßung.

      »Ich möchte wissen, ob das der Beginn eines neuen Dynamitfeldzugs ist«, sagte er unvermittelt, mit tiefer, merkwürdig sanfter Stimme. »Keine Einzelheiten, bitte. Dafür habe ich keine Zeit.«

      Vor der bäuerlich massigen Erscheinung des Gewaltigen wirkte der Kommissar klein und schmächtig, wie eine Binse, die zu einer Eiche spricht. Tatsächlich reichte die ununterbrochene Ahnenreihe jenes Mannes über Jahrhunderte zurück, deren Zahl das Alter der ältesten Eiche im Lande weit überstieg.

      »Nein, ich versichere, daß es das nicht ist – soweit man irgendeiner Sache sicher sein kann.«

      »Schon recht, aber ihr da drüben –,« dies mit einer verächtlichen Handbewegung nach einem der großen Fenster, das auf die Hauptstraße hinausging, »ihr da drüben scheint mit euren Versicherungen hauptsächlich bezwecken zu wollen, daß der Staatssekretär wie ein Affe dasteht. Hier in diesem Zimmer wurde mir vor weniger als einem Monat versichert, daß nichts der Art auch nur möglich sei.«

      Der Kommissar blickte in der Richtung des Fensters.

      »Wollen Sie mir die Bemerkung gestatten, Sir Ethelred, daß ich persönlich noch nie Gelegenheit hatte, Ihnen irgendwelche Versicherungen zu geben.«

      Der Blick der hochmütigen Augen sammelte sich auf dem Kommissar.

      »Richtig«, gab die tiefe, sanfte Stimme zu. »Ich habe nach Heat geschickt. Sie sind ja noch ein Neuling auf dem Posten. Wie kommen Sie überhaupt zurecht?«

      »Ich glaube, daß ich täglich etwas dazulerne.«

      »Natürlich, natürlich. Ich hoffe, daß Sie es vorwärts bringen.«

      »Besten Dank, Sir Ethelred. Ich habe heute etwas gelernt, sogar während der letzten Stunde. Die Angelegenheit hat manches an sich, was selbst bei tieferem Einblick nicht nach einem gewöhnlichen anarchistischen Anschlag aussieht. Darum bin ich hier.«

      Der große Mann stemmte die Handrücken gegen die Hüften, daß die Ellenbogen seitab standen.

      »Ist recht. Fahren Sie fort. Aber keine Einzelheiten, bitte. Ersparen Sie mir die Einzelheiten.«

      »Sie sollen damit nicht behelligt werden, Sir Ethelred«, hob der Kommissar mit ruhiger Zuversicht an. Hinter dem Rücken des großen Mannes stand eine Uhr, ein schweres, prächtiges Ding mit wuchtigen Schnecken, aus demselben dunklen Marmor wie die Kamineinfassung und mit einem geisterhaften, dumpfen Ticken. Während der Kommissar sprach, rückten die Zeiger dieser Uhr um sieben Minuten vor. Er sprach wohlüberlegt und streute kleine Zwischenbemerkungen ein, die haarscharf ineinander griffen. Kein Ton, nicht einmal eine Bewegung deuteten den Wunsch nach einer Unterbrechung an. Der große Mann konnte gut das Standbild eines seiner fürstlichen Vorfahren sein, dem man den Kreuzfahrerharnisch abgenommen und einen schlechtsitzenden Gehrock angezogen hatte. Der Kommissar hatte das Gefühl, als dürfte er eine Stunde lang reden. Aber er behielt sich in der Hand und brach nach Ablauf der oben genannten Zeit mit einer plötzlichen Folgerung ab, die eine Wiederholung der ersten Behauptung darstellte und durch ihre offenbare Kraft und Schnelligkeit Sir Ethelred angenehm überraschte.

      »Die Sachlage, die wir unter dieser im Grunde harmlosen Angelegenheit vorfinden, ist – zum mindesten in dieser Schärfe – ungewöhnlich und erfordert besondere Behandlung.«

      Sir Ethelreds Stimme klang noch tiefer, voll Überzeugung.

      »Das sollte ich wohl meinen, – da es den Gesandten einer fremden Macht angeht!«

      »Oh, den Gesandten!« wehrte der Kommissar, schlank und schmächtig, und gestattete sich ein halbes Lächeln. »Es wäre töricht von mir, irgend etwas der Art behaupten zu wollen, und auch ganz unnötig; denn wenn meine Voraussetzungen stimmen, dann ist es eine unwichtige Einzelheit, ob es sich um den Gesandten oder den Pförtner handelt.«

      Sir Ethelred tat einen Mund auf, weit wie eine Höhle, in die die Hakennase hineinspähen zu wollen schien. Daraus hervor klang ein gedämpftes Rollen, wie der Ton einer fernen Orgel.

      »Die Leute sind tatsächlich unmöglich. Was sie sich nur dabei denken – ihre tatarischen Methoden hier anwenden zu wollen! Ein Türke hätte mehr Lebensart.«

      »Sie vergessen, Sir Ethelred, daß wir, genau genommen, nichts wissen – noch nichts.«

      »Nein! Aber wie erklären Sie es? Kurz?«

      »Unverschämtheit, die sich bis zu einer eigenen Art von Kinderei steigert.«

      »Wir können uns nicht mit der Unschuld schlimmer kleiner Kinder befassen«, sagte die große und ausgedehnte Persönlichkeit und schien sich noch ein wenig mehr auszudehnen. Der hochmütige Blick fiel zermalmend auf den Teppich zu des Kommissars Füßen. »Diesmal wird man ihnen richtig auf die Finger klopfen müssen. Dazu müssen wir in der Lage sein – –. Was ist Ihr allgemeiner Eindruck, kurz? Ich brauche keine Einzelheiten.«

      »Sehr wohl, Sir Ethelred. Grundsätzlich möchte ich festhalten, daß die Einrichtung von Geheimagenten nicht geduldet werden dürfte, da sie geeignet erscheint, die Übel, die sie bekämpfen soll, zu vermehren. Daß ein Spion seine Meldungen gerne erfindet, ist allgemein bekannt. Sobald es sich aber um politische und revolutionäre Tätigkeit handelt, die zum Teil mit Gewalt einhergeht, hat der Berufsspion jede Möglichkeit, die Tatsachen selbst zurecht zu machen und damit das doppelte Übel, einerseits der Nacheiferung, andererseits der Panik, überstürzter Gesetzgebung und sinnlosen Hasses zu erzeugen. Nun ist ja diese Welt nicht vollkommen –«

      Die tiefe Stimme des Gewaltigen, der bewegungslos, die mächtigen Ellenbogen gespreizt, am Kamin stand, fiel hastig ein:

      »Drücken Sie sich deutlich aus, bitte.«

      »Jawohl, Sir Ethelred, – keine vollkommene Welt. Sobald mir also die eigene Art dieses Falles klar geworden war, dachte ich, daß er ganz geheim behandelt werden müßte und erlaubte mir, hierher zu kommen.«

      »Das war recht«, stimmte der Gewaltige zu, mit einem wohlwollenden Blick über sein Doppelkinn