sei Dank, dann ist sie ja fürs Erste sicher. Ich habe mir große Sorgen um sie gemacht. Behalte sie noch eine Weile bei dir, bis wir wissen, was Lancaster als Nächstes tun wird.«
»Vielleicht verschwindet er ja. Ihm muss doch klar sein, dass er irgendwann auffliegen wird.«
»Er durchwühlt die Sachen des seligen Herrn. Ich fürchte, er hat sein Ziel noch nicht erreicht. Und vorher wird er nicht aufgeben. Du weißt ja, was er sich schon auf sein Gewissen geladen hat. Ihm ist einfach alles zuzutrauen.«
Elsa senkte den Blick. »Ja, ich weiß«, murmelte sie traurig.
»Jetzt geh heim und pass auf Sarah auf. Ich komme vorbei, sobald es auf ›Ivy-House‹ wieder sicher ist.« Er wirkte grimmig entschlossen. »Und dann werde ich ein langes, offenes Gespräch mit Sarah führen müssen.«
»Sie weiß nicht, dass du sie liebst.« Elsa kicherte. »Sie hat mich gefragt, ob du mein Freund wärst.«
»Sie weiß es nicht besser. Aber das ist jetzt auch unwichtig.« Er schaute sie ernst an. »Sag ihr nichts, Elsa, bitte. Ich will nicht, dass sie weiß, wie ich zu ihr stehe. Das passt nicht.«
»Du bist ein Dummkopf, Dick Jones, weißt du das? Heutzutage ist es doch egal, was man ist. Es kommt nur darauf an, was man fühlt. Und du hast ein Herz aus Gold.«
»Ich fürchte, bei mir versagt dein zweites Gesicht«, scherzte er ironisch, dann wandte er sich zum Gehen.
Als Dick wenig später nach ›Ivy-House‹ zurückkehrte, war das Licht im Arbeitszimmer gelöscht worden. Stille lag über dem Haus. Offenbar hatte Dr. Lancaster sein übles Treiben für diesen Abend beendet. Dick ging hinüber ins Verwalterhaus, ohne zu ahnen, welches Drama sich derweil im Haupthaus abspielte …
*
Sarah hatte ››Ivy-House‹‹ in der Zwischenzeit erreicht. Es war reiner Zufall, dass sie Dick Jones nicht über den Weg gelaufen war. Als sie das Haus betrat, wollte sie gleich nach oben gehen und sich hinlegen. Ihr war schwindlig, ihr Kopf summte und brummte wie ein Hornissenschwarm und eine zähe Übelkeit ballte sich in ihrem Magen zusammen. Als Ärztin kannte sie diese Symptome genau und wusste, dass sie von einer leichten Gehirnerschütterung herrührten. Die Beule an ihrer Stirn war dafür der sichtbare Beweis. Sie brauchte nun Ruhe, damit die Beschwerden abklingen konnten.
Sarah hatte die Freitreppe gerade betreten, als sie seltsame Geräusche aus dem Arbeitszimmer vernahm. Ein lautes Rumoren, so als stelle dort jemand die Möbel um. Sie stutzte. Was hatte denn das zu bedeuten? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Niles oder Annabell zu dieser nächtlichen Stunde einen solchen Krach veranstalteten. Warum auch?
Oder war dies eine jener seltsamen Erscheinungen, mit denen sie zu kämpfen hatte, seit sie Harper-Island wieder betreten hatte? Nach allem, was hinter ihr lag, empfand Sarah da einen heiligen Zorn. Sie hatte nun endgültig die Nase voll von Spuk und Übersinnlichem! Sie wollte wissen, was sich im Arbeitszimmer abspielte und dem endlich ein Ende setzen, denn sie war nicht länger gewillt, ihr Leben in einen solchen Strudel des Irrsinns ziehen zu lassen!
Entschlossen steuerte sie die Tür zum Arbeitszimmer an und drückte die Klinke herunter. Drinnen herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Es sah aus, als habe tatsächlich ein Poltergeist gehaust. Sarah stand einen Moment lang fassungslos in der offenen Tür und starrte auf all die verstreuten Aktenordner, Mappen und losen Blätter, die den Boden, die Sitzgruppe und auch den Schreibtisch bedeckten. Was um Himmels willen war hier drinnen bloß geschehen? Sollte es sich denn tatsächlich um einen Spuk handeln?
Die junge Ärztin wollte zurückweichen, als sie sich plötzlich von hinten gepackt fühlte. Sie erstarrte für einen Augenblick, dann versuchte sie, sich zu wehren. Doch es gelang ihr nicht. Ihr Kopf summte und brummte, der Schwindel wurde übermächtig und sie fühlte sich vollkommen schwach und ausgeliefert.
»Hallo, Sarah«, flüsterte eine Stimme, die sie kannte, in ihr Ohr. »Ich glaube, wir haben etwas zu besprechen …«
»Dr. Lancaster, was …« Sie schrie auf, als er sie mit Schwung zu Boden warf. Einen Moment lang wurde ihr schwarz vor Augen, ein stechender Schmerz nahm ihr fast das Bewusstsein. Sie hörte Schritte, dann flammte das Licht an der Decke auf und blendete sie. Wieder fühlte sie sich gepackt. Grob drückte der Mediziner sie in einen Sessel, beugte sich über sie und starrte sie an.
Sarah erschrak zutiefst. In diesem schrecklichen Moment war sie bereit, alles, was Elsa ihr über diesen Mann erzählt hatte, zu glauben. Von dem gepflegten, charmanten Kollegen war nun nicht mehr übrig.
Wirr hing ihm das Haar in die Stirn, sein Blick irrte umher, als suche er verzweifelt nach etwas. Er atmete schwer und schwitzte stark. So machte er auf Sarah den Eindruck eines Süchtigen, der unter Entzugserscheinungen litt. Oder eines geistig Verwirrten …
»Nun, mein Täubchen, wo hast du das Geld versteckt?«, fragte er lauernd. »Ich weiß, dass du alles, was noch übrig ist, vor mir in Sicherheit hast bringen wollen. Aber das lasse ich nicht zu. Mir gehört alles, es steht mir zu, ich brauche es. Und du wirst es mir beschaffen, verstanden?«
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, Dr. Lancaster«, erwiderte Sarah verschreckt. »Ich habe kein Geld, ich …«
»Lüg mich nicht an!« Er versetzte ihr eine Ohrfeige. »Ich will wissen, wo das Geld ist!«
Sarah wusste nicht, was sie sagen sollte, und schwieg. Offenbar hatte James Lancaster tatsächlich den Verstand verloren. Sein seltsames Verhalten ließ sich nicht anders erklären. Wenn sie halbwegs heil aus dieser schrecklichen Situation herauskommen wollte, musste sie versuchen, Zeit zu gewinnen und im passenden Moment Hilfe zu holen. Sie wusste, dass Dick ganz in der Nähe im Verwalterhaus war. Momentan unerreichbar, aber wenn sie es geschickt anstellte …
Als habe James Lancaster ihre Gedanken gelesen, lachte er nun und warnte sie: »Denk nur nicht daran, Tricks zu versuchen. Ich warne dich, Sarah. Du würdest es bitter bereuen.«
»Ich habe nicht vor, Sie auszutricksen«, versicherte sie treuherzig. »Aber Sie müssen mir auch sagen, worum es geht. Ich habe ja keine Ahnung, was …«
»Stell dich nicht dumm, das kann ich nicht leiden«, fauchte er. »Du hast den Nachlass der alten Nebelkrähe geordnet. Und du hast das restliche Vermögen auf ein Konto überwiesen. Ich will wissen, wo das Geld ist!«
»Ich habe nichts dergleichen getan. Ich …« Sarah stöhnte auf, als er sie wieder schlug. »Sehen Sie sich die Unterlagen doch selbst an, dann werden Sie feststellen, dass ich die Wahrheit sage! Ich habe nur den Nachlass geordnet, aber nichts verändert.«
Lancaster verzog wütend den Mund. »Das Geld kann nicht weg sein, da muss noch etwas sein, die Treuhandfonds, die Wertpapiere??…« Er kniff die Augen zusammen. »Oder sollte David mich belogen haben? Dieser kleine Mistkerl …«
»Reden Sie von meinem Bruder? Was hat das zu bedeuten? Ich verlange eine Antwort, Dr. Lancaster!«
»Den Doktor kannst du dir guten Gewissens schenken, mein Täubchen, der ist längst passé.« Er lachte hässlich. »Meine Zulassung habe ich schon vor Jahren verloren.«
»Aber wie ist denn das möglich? Wie konnten Sie weiterhin praktizieren und …«
»Habe ich ja nicht.« Seine Miene nahm einen verschlagenen Ausdruck an. »Deine Großtante war sozusagen meine einzige Patientin. Ich habe gut leben können von diesem Job. Und die Alte war ja so dumm, sie hat es nicht mal gemerkt …«
»Soll das heißen, Sie haben Tante Alice bestohlen?«, rief Sarah empört.
»Bestohlen? Ich habe sie ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Leider sind mir einige Geldquellen verschlossen geblieben. Da kam dann dein Bruder ins Spiel. Der dumme, kleine Faulenzer, er war gerne bereit, mit mir gemeinsame Sache zu machen.«
Sarah starrte ihr Gegenüber ungläubig an, während dieser fortfuhr: »David hat Unterschriften gefälscht und sich auch selbst eine Vollmacht ausgestellt. Es lief gut. Bis er zu gierig wurde, das konnte ich nicht hinnehmen.«
»Aber wofür