Georg Wilhelm Steller

Die Entdeckung Alaskas mit Kapitän Bering


Скачать книгу

»Stellersche Seekuh«, ein riesiges, bis zu acht Meter langes Tier, das sich ausschließlich von Wasserpflanzen ernährte. Auf der Beringinsel bot sich Steller die einzigartige Gelegenheit, einen solchen Meeressäuger auf das Genaueste zu untersuchen und zu beschreiben; die Schwierigkeiten seiner damaligen »Feldforschung« hat er der Nachwelt allerdings nicht verhehlt: »Dass mir dabei nicht alles nach Wunsch geriet, ist auf das schlimme Wetter zur Zeit des Fanges dieser Tiere zurückzuführen. Fast ständig gab es Regen und Kälte, doch mussten die Untersuchungen unter freiem Himmel angestellt werden. Hinzu kamen noch die Gezeiten des Meeres sowie die räuberischen Seevögel, die alles benagten und mir auch unter den Händen wegstahlen. Während ich das Tier untersuchte, holten sie mir Papier, Bücher und Tinte weg. Wenn ich schrieb, plagten sie das Tier. Selbst die Größe des Tieres und das Gewicht seiner Teile waren schwer zu bestimmen, da ich doch alles allein untersuchen, zugleich aber auch alle Arbeit tun musste … Daher ersuche ich den Leser, wegen dieser verstümmelten Beschreibung nicht an meinem Willen und Forscherdrang zu zweifeln, sondern vielmehr die Umstände zu berücksichtigen, in denen ich mich befunden habe.« Bereits im Jahre 1768, also nur siebenundzwanzig Jahre nach ihrer Entdeckung durch Steller, galt die Seekuh infolge intensiver Bejagung als ausgerottet. In einigen Museen finden sich nur noch Skelette oder Skelettteile sowie Hautreste dieses urzeitlichen Meeressäugetiers.

image

       Auszug aus der »Beschreibung sonderbarer Meerthiere« in der Handschrift Georg Wilhelm Stellers

      Nach der Veröffentlichung wichtiger Schriften Stellers im 18. Jahrhundert war er nach der Jahrhundertwende so gut wie vergessen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Art »Steller-Renaissance« (Hünefeld); deutscherseits hob der Königsberger Anatom Ludwig Stieda in einem Artikel für die »Allgemeine Deutsche Biographie« (Bd. 36, 1893) die Bedeutung Stellers als Naturforscher hervor. Das Genie Stellers erkannte in moderner Zeit jedoch erst der Amerikaner Leonhard H. Stejneger, der im Jahre 1936 eine große und bahnbrechende Biographie über ihn veröffentlichte, die jedoch leider nicht ins Deutsche übertragen wurde. Als junger Naturforscher hatte Stejneger im Jahre 1882 die Beringinsel besucht: »Von diesem Tag an folgte ich achtzehn Monate lang buchstäblich Stellers Fußstapfen. Da ich von Anfang an die gewaltigen Schwierigkeiten erkannte, unter denen er gearbeitet hat, wuchsen mein Staunen und meine Bewunderung für seine Unerschrockenheit, seinen Fleiß, sein vielseitiges Wissen und seine Genauigkeit und Glaubwürdigkeit von Tag zu Tag.« Unvergessen blieb Georg Wilhelm Steller auch in seiner Heimatstadt Windsheim, die das Andenken an ihn auf vielerlei Weise wachhält und pflegt (Steller-Gasse, Georg-Wilhelm-Steller-Gymnasium, Steller-Gedenktafel am Platz seines Geburtshauses, Steller-Denkmal, Feierlichkeiten zu Geburtstagen Stellers).

image

       Das neue Steller-Denkmal in Bad Windsheim

      In der Geschichte des Reisens verkörpert Steller Hanno Beck zufolge den Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert, vom Barock zur frühen Aufklärung. Er war der naturwissenschaftlich führende Forschungsreisende des frühen 18. Jahrhunderts; als Zoologe gilt er in dieser Epoche als unübertroffener Meister. Deshalb verdient es Steller, der in der russischen und amerikanischen Wissenschaftsgeschichte bereits einen ehrenvollen Platz einnimmt, auch in der deutschen Wissenschaftsgeschichte nicht vergessen zu werden. Spätestens seit der von Dr. Wieland Hintzsche initiierten und viel beachteten Ausstellung der Frankeschen Stiftungen zu Halle im Jahr 1996: »Die Grosse Nordische Expedition. Georg Wilhelm Steller (1709–1746). Ein Lutheraner erforscht Sibirien und Alaska« sowie seit Gründung der »Internationalen Georg-Wilhelm-Steller-Gesellschaft« in Halle kommt Steller endlich auch in Deutschland die Aufmerksamkeit zu, die ihm schon lange gebührt.

       Volker Matthies

      Beschreibung der Seereise von Kamtschatka nach Amerika mit dem Kapitän-Kommandeur Bering

      Ende Mai 1741 war endlich alles Nötige für die Amerikanische Reise vorbereitet, und so legten sich die beiden Paketboote1 »St. Peter« und »St. Paul« am 29. Mai aus dem Hafen2 auf die Reede der Awatscha-Bucht, um dort vor Anker auf günstige Winde zum Auslaufen zu warten. Auf der »St. Peter«, auf der ich mich einschiffte, befanden sich der Herr Kapitän-Kommandeur Bering als Chef, der Leutnant Waxell, der Schiffsmeister Kitrow, der Steuermann Hesselberg, der Untersteuermann Juschin, der Unterchirurg Betge, der Unterkonstabler Roselius, der Seekadett Sind, der Bootsmann Nils Jansen, der Unterschiffer Charainzow, der Kommissar Lagunof und der Landmesser Plenisner; die übrige, sechsundsiebzig Köpfe zählende Mannschaft bestand aus Matrosen, Soldaten, kamtschatkischen Kosakensöhnen, Dolmetschern und ortskundigen Leuten – darunter ein Schütze in meinen Diensten – sowie dem Sohn des Leutnants. – Das andere Paketboot, »St. Paul«, hatte eine ebenfalls sechsundsiebzig Mann zählende, ähnlich zusammengesetzte Mannschaft unter dem Kapitän Tschirikow; ferner befand sich der Professor der Sternenkunde Delisle de la Croyère auf diesem Schiff.

      Am 4. Juni gegen neun Uhr liefen wir aus der Awatscha-Bucht in die See aus und traten bei günstigem Wind und Wetter endlich die eigentliche Reise an. Mit Südwestwinden segelten wir nach Ostsüdosten, sodass wir uns am achten Tag der Reise, am 11. Juni, einhundertfünfundfünfzig Meilen von Awatscha auf der Breite von 46 Grad und 47 Minuten befanden.

      Am 12. Juni nahm man erstmals Anzeichen eines im Süden oder Südosten liegenden Landes wahr. Man sah bei ruhiger See verschiedene Seegewächse, die nie sehr weit von den Küsten entfernt auftreten, auf einmal in Menge um unser Schiff treiben, auch Seemöwen und andere Vögel, die nie auf offener See beobachtet werden. So war zu vermuten, dass man bei fortgesetztem Kurs in Kürze auf Land stoßen müsste. Doch die Seeoffiziere hörten nicht auf meine vernünftigen Vorstellungen, lachten mich höhnisch aus und schlugen alles in den Wind, was von keinem Seemann ausgesprochen wurde. So wendete man sich mit einem Mal gegen Norden, auf welchem Kurs man zum ersten Mal einen kleinen Sturm auszustehen hatte. Hierbei trug sich das erste Unglück zu, dass nämlich das andere Boot, die »St. Paul«, uns infolge des nebligen und trüben Wetters verlor und auch später auf der ganzen Reise nicht wieder gesehen wurde.

      Da man den sich ständig in der Kajüte aufhaltenden Kapitän-Kommandeur nur so viel wissen ließ, wie man für ratsam hielt, gab man auch nicht viel auf die Angaben verschiedener Leute, im Norden Land gesehen zu haben. Die Stimmen der Reuigen ließen sich erst allzu spät hören, als man auf der Rückreise am 24. August auf dem 51. Grad unverhofft und zu aller Schrecken Land erblickte. Die angeblichen Beobachtungen von Land wurden deshalb so gering geachtet, weil es keiner der Seeoffiziere selbst bemerkt hatte und diese es damals auch für eine größere Ehre hielten, das Land weiter anzulaufen, um sich rühmen zu können, sehr weit gewesen zu sein.

image

       Faksimile der Unterschriften von Bering und seinen Offizieren

      Nachdem man einige Tage vergeblich das verlorene Schiff gesucht hatte, gab man die Hoffnung auf, es wiederzutreffen; man ging nun wieder vom 50. bis zum 46. Grad nach Süden, in der Hoffnung, entweder die »St. Paul« oder das »Kompanieland«3 zu finden. Da aber beides fehlschlug und sich das gesuchte Kompanieland nun zum zweiten Mal nicht auf der verlangten Stelle eingefunden hatte, hielt man es nunmehr für ein erdichtetes Land und eine Erfindung der Nürnberger Kartenmacher4.

      Denn wenn es vorhanden wäre, müssten entweder unser Schiff oder das des Kapitäns Spangberg5 darüber gesegelt sein. So schlug man also das Kompanieland gänzlich in den Wind und nahm am 18. Juni Kurs nach Osten, ging allmählich immer mehr nach Norden, sodass man auf zwei bis drei Längengrade einen Breitengrad veränderte.

      Nachdem wir einige Tage diesen Kurs beibehalten hatten, fanden sich auf der Breite von 52 Grad abermals viele Anzeichen eines in unserer Nähe im Norden gelegenen Landes ein, unter dem wir genau vier Wochen, bis zum 18. Juli, liefen, bis wir auf 59 Grad und einigen Minuten nördlicher Breite und 49 Grad in der Länge von Awatscha, also beinah fünfhundert Meilen entfernt, zum ersten Mal wirklich Land erblickten.