Arme sinken, und ich führte sie an ihren Platz. – Fritz und Charlotte, die ebenfalls abgetreten waren, saßen dicht daneben. In demselben Augenblick kam auch Frau Beauregard mit Tee und Kuchen; sie sprach nicht zu ihrer Tochter, sie warf nur einen lächelnden stolzen Blick auf sie, als sie nach der vornehmen Dame auch ihr präsentieren durfte. Die kleine Gnädige hatte schon eine Weile beide mit der ihr eigentümlichen Lässigkeit gemustert. »Ihre Tochter ist ja heute sehr schön, Frau Beauregard!« sagte sie, während sie den Zucker in die Tasse fallen ließ.
Die geschmeichelte Frau neigte sich verbindlich. »Gnädiges Fräulein, Frau Bürgermeisterin haben auch ausgeholfen.«
»Ach! – Darum auch! – Die Rosenbuketts!« – Und sie ließ einen langen Blick über Lenore hingleiten. Diese wollte ihn erwidern, aber ihre Augen verdunkelten sich; ich sah, wie ein paar Tränen ihr über die Wangen herabfielen.
Charlotte schien dies nicht zu bemerken; ihre Aufmerksamkeit hatte sich nach der offenstehenden Tür gerichtet, wo ich zu meinem Schrecken unter den Köpfen der zuschauenden Dienstboten das gelbe Gesicht des französischen Schneiders auftauchen sah. Er schien ganz á son aise, drehte die Porzellandose in der Hand und blickte mit seinen schwarzen Augen freudestrahlend in den Saal hinein.
»Ist das Ihr Vater, Mamsell Lore?« fragte Charlotte, indem sie mit dem Finger nach der Tür wies.
Lenore blickte hin und fuhr zusammen. »Mutter!« rief sie, und faßte wie unwillkürlich den Arm der noch vor uns beschäftigten Frau.
Frau Beauregard, als nun auch sie ihren lebhaft gestikulierenden Eheherrn bemerkte, schien von dessen Anwesenheit keineswegs erbaut; aber sie nahm sich zusammen. »Er kommt aus der Herberge«, sagte sie, »er will dich einmal tanzen sehen.«
Während Lore, der ich unwillkürlich folgte, sich der Tür genähert hatte, war schon der Bürgermeister zu ihrem Vater getreten und lud ihn ein, sich ein Glas Punsch im Saal gefallen zu lassen. Aber der Schneider war nicht zu bewegen. »Submissester Serviteur, Herr Bürgermeister!« sagte er, indem er mit einem Katzenbuckel noch einen Schritt weiter retirierte. »Wenn ich mein Großvater vom Hofe Ludwig des Sechzehnten wäre! – So aber kenne ich meine Stellung.«
Als der Bürgermeister weggegangen, brachte Fritz ihm ein Glas an die Tür. »Wohl bekomm’s, Meister!« sagte er gutmütig. »Jetzt werd ich mit der Lore tanzen! Die versteht’s.«
Aber in demselben Augenblick war auch der Schwarm der andern Knaben mit vollen Gläsern in der Hand herangekommen. Sie stießen mit ihm an, machten ihm seinen Katzenbuckel nach, den er ihnen jedesmal beim Anklingen zum besten gab, und ergingen sich in allerlei possenhaften Komplimenten.
Lore stand ohne sich zu rühren und ließ kein Auge von ihrem Vater; aber ich hörte, wie ihre kleinen Zähne aufeinander knirschten.
Als die Musikanten wieder zu stimmen begannen, liefen die übrigen Knaben in den Saal zurück. Ich stand noch mit Lore an der Tür.
»Ah, Monsieur Philipp«, rief der Schneider, während er mir die Hand reichte, »lauter liebe, scharmante junge Herren! Aber im Vertrauen – Sie und die Lore, Sie und die Lore, Monsieur Philipp!« Die kleinen schwarzen Augen richteten sich dabei mit bewundernder Zärtlichkeit auf das Antlitz seines Kindes; wie aus unwiderstehlichem Antriebe streckte er seinen langen Arm in den Saal hinein und zog sie an seine Brust. »Mein Kind, mon bijou!« flüsterte er. Und das Mädchen küßte ihn und warf ihre Arme mit leidenschaftlicher, schmerzlicher Zärtlichkeit um seinen Hals, während ihr feines Köpfchen an seiner Schulter ruhte. Dann aber machte sie sich los und faßte seine Hände, und sprach leise und eindringlich zu ihm. Ich verstand ihre Worte nicht; aber ich sah ihre Augen bittend auf die seinen gerichtet und ihre kleine Hand, die mitunter, als wolle sie ihm ein Leid vergüten, zitternd über seine hagern Wangen hinstrich. Zuerst schüttelte er lächelnd und wie ungläubig den Kopf; allmählich aber verschwand aus seinen Augen die freudestrahlende Sicherheit, womit er bisher seinen Platz behauptet hatte. »Ich weiß, ich weiß«, murmelte er, »du liebst deinen armen alten Vater!« Und als nun die Musik zum Contretanz begann, drückte er seine Tochter die Hand und ging stumm, ohne auch nur einen Blick noch in den Saal hineinzuwerfen, den langen Hausflur hinab.
In diesem Augenblick kam Fritz und holte seine Dame. – Sie tanzte mit der gewohnten Sicherheit; nur war es nicht die sonstige sorglose Träumerei, als vielmehr eine graziöse Feierlichkeit, womit sie die Touren dieses Tanzes ausführte. Mitunter in den Pausen blickte sie wie versteinert vor sich hin, während sie mit beiden Händen ihr glänzend schwarzes Haar an den Schläfen zurückstrich. Die Scherze ihres Tänzers schienen ungehört ihrem Ohr vorbeizugehn.
Mit dem Contretanz waren unsere einstudierten Tänze zu Ende; aber nicht unsere Tanzlust. Wir hatten noch Walzer, Schottisch und Galoppaden auf unserm Zettel; sogar einen Kotillon, wozu ich in Gedanken an Lore einen ausgesuchten Beitrag an Schleifen und frischen Blumensträußen geliefert hatte.
Aber Lore war nicht mehr im Saal. Die andern Mädchen standen bei ihren Müttern und ließen sich von ihnen die verschobenen Schärpen und Haarbänder zurechtzupfen. Frau Beauregard kam eben mit neuen Erfrischungen zur Tür herein; sie hatte ihre Tochter nicht gesehen. Nun suchte ich Fritz. Er stand in der Ecke am Musikantentisch und füllte die leeren Gläser wieder. »Wo ist Lore?« fragte ich.
»Ich weiß nicht«, erwiderte er verdrießlich; »sie war verdammt einsilbig, mir hat sie’s nicht verraten.«
Ich zog ihn mit auf den Flur hinaus. Als wir an die Kammer kamen, worin die Gesellschaft ihre Mäntel abgelegt hatte, trat sie uns entgegen; sie hatte ihr Mäntelchen umgetan und ihr schwarzes Seidenkäppchen auf dem Kopf. »Lore!« rief ich und suchte ihre Hand zu fassen; aber sie entzog sie mir und ging an uns vorbei.
»Laß!« sagte sie kurz. »Ich will nach Haus!«
Einen Augenblick später hatte sie die schwere, nach der Straße führende Tür aufgerissen und sprang draußen an dem Eisengeländer die Steintreppe hinab; und als auch Fritz neben mir draußen auf den Fliesen stand, war sie schon weit drunten in der Straße, daß wir in der Dunkelheit ihre leichte flüchtige Gestalt nur kaum noch zu erkennen vermochten.
»Laß sie!« sagte Fritz, »oder hast du Lust auf die Wilde-Gans-Jagd?«
Ich hatte zwar die Lust; ich wußte aber nicht recht, wie ich es mit Fug beginnen sollte. – So kehrten wir denn in den Saal zurück. Frau Beauregard ging nach ihrer Wohnung; aber sie kehrte unverrichteter Sache wieder. Der Lore sei unwohl geworden, sagte sie; sie liege schon im Bett, der Vater sitze bei ihr.
Mir war nun der Rest des Abends verdorben; und als der Kotillon beginnen sollte, den ich mit Lore zu tanzen gedachte, schlich ich mich still und trübselig nach Hause.
Auf dem Mühlenteich
Neujahr war vorüber. Schon längst hatte ich mit der glatten Stahlsohle meiner holländischen Schlittschuhe geliebäugelt, nicht ohne eine kleine Verachtung gegen meine Kameraden, welche sich noch der hergebrachten scharfkantigen Eisen zu bedienen pflegten. Aber erst jetzt war ein dauernder Frost eingetreten.
Es war an einem Sonntagnachmittag; über dem Mühlenteich, einem mittelgroßen Landsee unweit der Stadt, lag ein glänzender Eisspiegel. Die halbe Einwohnerschaft versammelte sich draußen in der frischen Winterluft; von alt und jung, auf zweien und auf einem Schlittschuh, sogar auf einem untergebundenen Kalbsknöchlein, wurde die edle Kunst des Eislaufs geübt. – In der Nähe des Ufers waren Zelte aufgeschlagen, daneben auf dem Lande über flackerndem Feuer dampften die Kessel, mit deren Hülfe allerlei wärmendes Getränk verabreicht wurde. Hie und da sah man einen Schiebschlitten, in dem eine eingehüllte Mädchengestalt saß, aus dem Gewühl auf die freie Fläche hinausschießen; aber alle hielten sich am Rande des Sees; die Mitte mochte noch nicht geheuer scheinen.
Ich schnallte meine Stahlschuhe unter und machte einen einsamen Lauf an dem Ufer entlang. – Als ich zurückkehrte, fand ich fast die ganze Gesellschaft unsrer Tanzstunde bei den Zelten versammelt; prüfend mit