Theodor Storm

Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band)


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an ihrem Halse wehte in der Luft und in immer rascherem Kreisen wurde die leichte Gestalt an mir vorübergetragen; kaum fühlte ich den Blitz ihres Auges in den meinen, so war sie schon fort, und nur der Schimmer ihres hellen Kleides tauchte in der trüben Lampenbeleuchtung noch ein paarmal flüchtig aus den immer tiefer fallenden Schatten auf. – Plötzlich krachte etwas; die in den Stühlen sitzenden Mädchen kreischten, und das Karussel stand.

      »Bleiben Sie sitzen, meine Herrschaften«, rief der Eigentümer; indem er mit seinem Gehülfen über die Querbalken stieg, um den Schaden zu untersuchen. Eine Laterne wurde heruntergenommen, es wurde geklopft und gehämmert; aber es schien sich so bald nicht wieder fügen zu wollen. Mir wurde die Zeit lang; meine Augen versuchten vergebens nach der kleinen Reiterin. Ich drängte mich aus der Menschenmasse heraus, in die ich eingekeilt war, und ging von außen nach der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Als ich mich hier mit Bitten und Gewalt bis an die Barriere durchgearbeitet hatte, stand ich dicht neben ihr. Sie war von dem Holzgaul herabgestiegen und blickte wie suchend um sich her.

      Nach einer Weile steckte sie das Florett, das sie spielend in der Hand gehalten, wieder in den Sattelknopf und machte Miene, herabzuspringen. Aber während sie ihre Kleider zusammennahm, war ich in den Kreis geschlüpft.

      »Guten Abend, Lore!«

      »Guten Abend!« sagte sie leise.

      Dann, während die Bauerburschen immer lauter ihr Eintrittsgeld zurückforderten, faßte ich ihre Hand und zog sie mit mir hinaus ins Freie. Aber hier war meine Verwegenheit zu Ende. Lore hatte mir ihre Hand entzogen, und wir gingen wortlos und befangen nebeneinander der Straße zu, an deren äußerstem Ende sich das Haus ihrer Eltern befand. – Als wir den zur Seite liegenden Eingang des Schloßgartens erreicht hatten, kam uns von der Straße her ein Trupp von Menschen entgegen, an deren lauten Stimmen ich einzelne meiner ausgelassensten Kommilitonen erkannte. Unwillkürlich blieben wir stehen.

      »Wir wollen durch den Schloßgarten!« sagte ich.

      »Es ist so weit!«

      »O, es ist nicht so viel weiter!«

      Und wir gingen durch das Portal in den breiten Steig hinab, welcher zwischen niedrigen Dornhecken zu einem Laubgang von dicht verwachsenen Hagebuchen führte. Da hier vorne auch hinter den Zäunen nur bebautes baumloses Gartenland lag, so verhinderte mich die einbrechende Dunkelheit nicht, die neben mir wandelnde Mädchengestalt zu betrachten. Mich schauerte, daß sie jetzt wirklich in solcher Einsamkeit mir nahe war.

      Kein Mensch außer uns schien in dem alten Park zu sein; es war so still, daß wir jeden unserer Tritte auf dem Sande hörten.

      »Willst du mich nicht anfassen?« fragte ich.

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Warum nicht?«

      »Nein – wenn jemand käme!«

      Wir hatten den gewölbten Buchengang erreicht. Es war sehr dunkel hier; denn in geringer Entfernung zu beiden Seiten waren ähnliche Laubgänge, und auf den dazwischen befindlichen Rasenflecken lagerten undurchdringliche Schatten. Ich wußte nur noch, daß Lore neben mir ging; denn ich hörte ihren Atem und ihren leichten Schritt; zu sehen vermochte ich sie nicht. Wie neckend schoß es mir durch den Kopf, daß ich am Nachmittage auf einen Sommervogel ausgegangen war. »Nun bist du doch gefangen!« sagte ich, und durch die Dunkelheit ermutigt, ergriff ich ihre herabhängende Hand und hielt sie fest. Sie duldete es; aber ich fühlte, wie sie zitterte, und auch mir schlug mein Knabenherz bis in den Hals hinauf.

      So gingen wir langsam weiter. Von der Stadt her kam der gedämpfte Ton der Drehorgeln und das noch immer fortdauernde Getöse des Jahrmarkttreibens; vor uns am Ende der Allee in unerreichbarer Ferne stand noch ein Stückchen goldenen Abendhimmels. Ich legte ihre Hand in meinen Arm und faßte sie dann wieder. In diesem Augenblick trollte vor uns etwas über den Weg; es mag ein Igel gewesen sein, der auf die Mäusejagd ging. – Sie schrak ein wenig zusammen und drängte sich zu mir hin; und als ich, unabsichtlich fast, den Arm um sie legte, fühlte ich, wie ihr Köpfchen auf meine Schulter glitt.

      Als aber dann, nur eine flüchtige Sekunde lang, ein junger Mund den andern berührt hatte, da trieb es uns wie töricht aus den schützenden Baumschatten ins Freie. So hatten wir bald, während ich nur noch ihre Hand gefaßt hielt, das Ende der Allee erreicht und traten durch eine Pforte auf einen Feldweg hinaus, der seitwärts auf die letzten Häuser der Stadt zuführte. Wir gingen eilig nebeneinander her, als könnten wir das Ende unseres Beisammenseins nicht rasch genug herbeiführen.

      »Mein Vater wird mich suchen; es ist gewiß schon spät!« sagte Lore ohne aufzusehen.

      »Ich glaube wohl!« erwiderte ich. Und wir gingen noch eiliger, als zuvor.

      Schon standen wir am Ausgang des Weges, den letzten Häusern der Straße gegenüber. In dem Lichtschein, der unter der Linde aus dem Fenster des Schneiderhäuschens fiel, sah ich unweit davon ein Mädchen an einem Brunnen stehen. Ich durfte nicht weiter mit. Als aber Lore den Fuß auf das Straßenpflaster hinaussetzte, war mir, als dürfe ich sie so nicht von mir gehen lassen.

      »Lore«, sagte ich beklommen, »ich wollte dir noch etwas sagen.«

      Sie trat einen Schritt zurück. »Was denn?« fragte sie.

      »Warte noch eine Weile!«

      Sie wandte sich um und blieb ruhig vor mir stehen. Ich hörte, wie sie mit den Händen über ihr Haar strich, wie sie ihr Tüchelchen fester um den Hals knüpfte; aber ich suchte lange vergebens des Gedankens habhaft zu werden, der wie ein dunkler Nebel vor meinen Augen schwamm. »Lore«, sagte ich endlich, »bist du noch bös mit mir?«

      Sie blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.

      »Willst du morgen wieder hier sein?«

      Sie zögerte einen Augenblick. »Ich darf des Abends sonst nicht ausgehen«, sagte sie dann.

      »Lore, du lügst; das ist es nicht, sag mir die Wahrheit!«

      Ich hatte ihre Hand gefaßt; aber sie entzog sie mir wieder.

      »So sprich doch, Lore! – Willst du nicht sprechen?«

      Noch eine Weile stand sie schweigend vor mir; dann schlug sie die Augen auf und sah mich an. »Ich weiß es wohl«, sagte sie leise, »du heiratest doch einmal nur eine von den feinen Damen.«

      Ich verstummte. Auf diesen Einwurf war ich nicht gefaßt; an so ungeheuere Dinge hatte ich nie gedacht und wußte nichts darauf zu antworten.

      Und ehe ich mich dessen versah, hörte ich ein leises »Gute Nacht« des Mädchens; und bald sah ich sie drüben in dem Schatten der Häuser verschwinden. Ich vernahm noch das vorsichtige Aufdrücken einer Haustür, das leise Anschlagen der Türschelle; dann wandte ich mich und ging langsam durch den Schloßgarten zurück.

      Ohne erst zum Abendessen in die Wohnstube meiner Eltern zu gehen, schlich ich die Treppe hinauf in meine Kammer. Wie trunken warf ich mich in die Kissen. Nach einer Viertelstunde hörte ich die Stubentür gehen, und durch die halb geöffneten Augenlider sah ich meine Mutter mit einer Lampe an mein Bett treten. Sie beugte sich über mich; aber ich schloß die Augen und träumte weiter. Trotz des wenig verheißenden Abschiedes war mir doch, als hätte meine Hand eine volle Rosengirlande gefaßt, an welcher nun in alle Zukunft hinein der Lebensweg entlang gehen müsse.

      So sehr ich aber an diesem Abend den Drang allein zu sein, empfunden, ebensosehr trieb es mich am andern Morgen unter Menschen. Ich hatte ein neues Gefühl der Freiheit und Überlegenheit in mir, das ich nun auch andern gegenüber empfinden wollte. Sobald ich gefrühstückt, und den etwas unbequemen Fragen meiner Mutter notdürftig genug getan hatte, ging ich in die Werkstatt meines Freundes Christoph. Er war eifrig beschäftigt, kleine Mahagonifurniere auszuwählen und zu schneiden. »Was machst denn du da für Schönes?« fragte ich.

      »Ein Nähkästchen«, sagte er ohne aufzublicken.

      »Ein Nähkästchen? Für wen denn?«

      »Für Lenore Beauregard; meine Schwester will’s