war, und daß alle Kräfte dieses tüchtigen Kopfes darauf hinarbeiteten, sein Leben mit dem ihren zu vereinigen.
Bald darauf ging ich in die Wohnung meiner Hauswirte hinab, bei denen ich damals meinen Mittagstisch hatte. Es mochte etwas frühzeitig sein; denn von den Hausgenossen hatte sich noch niemand eingestellt; aber in der Nebenstube traf ich die kleine Nähterin, die »lahme Marie«, welche stumm und einsam inmitten einer Wolke weißer Stoffe mit der Nadel hantierte. – Da ich sie oft in Gesellschaft der beiden Menschen gesehen hatte, deren Geschick mich jetzt beschäftigte, so erzählte ich ihr den gestrigen Vorfall, in der Hoffnung, über die Ursache desselben Näheres zu erfahren.
»Ich hab das kommen sehen!« sagte sie, die dünnen Lippen zusammenkneifend; »der Tischler ist wohl sonst ein ganzer Kerl; aber gegen das Mädchen ist er zu gutwillig; – was wollt er mit ihr auf dem Ballhaus!«
Ich fragte näher nach.
Sie räumte eine Partie Zeuge von einem Stuhl, damit ich mich setzen könne. – »Sie kennen vielleicht das kleine Haus in der Pfaffengasse«, begann sie dann, als ich ihrem Wink gefolgt war; »die alte Schmieden, die Tante von der Lore, hat es vor Jahren von dem Pferdeverleiher nebenan gekauft; aber den Hof dahinter, weil er zu seinem Geschäft doch großen Raum gebraucht, hat der Verkäufer sich vorbehalten, so daß er mit seinem nun in eins zusammengeht; nur in der Mitte auf einem Stückchen Rasen darf die Alte ihre Waschsachen trocknen und bleichen, soweit es damit reichen will. Sie ist Geschwisterkind mit meiner seligen Mutter, und seit ich konfirmiert war, bin ich oft mit ihr zum Nähen ausgegangen.
Ich denk, es war kurz vor Martini vorigen Jahrs; ich machte mich gleich nach Mittag zu der Schmieden; denn wir hatten eine große Seidenwäsche zusammen. Unterwegs begegn ich dem Tischler, der damals schon mit der Lore ging. Wir sprechen ein Wort zusammen, und im Weggehen ruft er mir noch lachend zu: ,Bei Feierabend komm ich und helf euch die Klammern aufsetzen!’ Ich sagt’s auch der Lore; aber sie schien nicht groß darauf zu achten.
Spät nachmittags, da wir drinnen fertig waren, gingen wir hinaus, um die Leine zwischen den Pfählen aufzuscheren, die draußen auf dem Grasrondell stehen. Lore, das Kleid über ihren Halbstiefeln aufgeschürzt, die schwarzen Haare hinter die Ohren gestrichen, ging mit dem kleinen hölzernen Tritt von einem zum andern. Die Alte hatte sich drinnen in ihren Lehnstuhl schlafen gesetzt; ich – ich bin die Größte nicht und konnte ihr eben nicht viel dabei helfen.«
Und die Erzählerin suchte, ihren dürftigen Körper möglichst gradezurichten.
»Ich hatte mich neben dem Waschkorb auf einen Prellstein gesetzt und sah mir’s an, wie vor dem Stall der Knecht des Nachbars einen Goldfuchs striegelte. – Ich hab die Pferde gern, wissen Sie, denn mein Vater ist auch ein Fuhrmann gewesen. – Es war gar ein schönes Tier; und wenn es so den Kopf aus dem Schatten in die Sonne hinauswarf, glänzten die Haare wie Metall; aber an dem feinen Beinwerk merkte ich wohl, daß es keines von des Nachbars Mietgäulen sei. – ,Wem gehört das Pferd?’ fragte ich Lore, die eben ihr Holztreppchen hart neben mir an den letzten Pfahl gerückt hatte. – ,Das Pferd?’ sagte sie, indem sie sich auf die Fußspitzen hebt und die Leine um das Querholz schlingt; ,das gehört dem fremden Studenten; ich weiß nicht, wie er heißt.’ – Ich sah zu ihr hinauf; aber sie wandte nicht den Kopf und wickelte noch immer fort mit der Leine. Als ich eben ungeduldig werden wollte, sagt hinter mir eine Stimme: ,Es ist genug, Fräulein Lorchen!’
Ich seh noch, wie sie die Arme sinken läßt und hastig das aufgeschürzte Kleid herunterzupft; und da ich den Kopf wende, steht der blasse vornehme Student vor mir; und Lore, ohne ein Wort zu sagen, springt von ihrem Tritt herunter und stellt sich neben mich. – Der junge Herr steht auch nur und macht scharfe Augen auf die Lore, als wenn er das Anschauen ganz umsonst hätte. ,Daß dich!’ dacht ich und fing aufs Geratewohl einen lauten Diskurs über den Goldfuchs an; und red’te so lang, bis ich Antwort hatte; und ehe ich mich’s versehen, waren wir alle drei auf den Hof hinübergetreten. Das Pferd scharrte mit den Hufen und sah seinen Herrn mit den klugen Augen an; Lore stand daneben, und recht als trüge sie Verlangen nach dem Tier, ließ sie ihre flache Hand an dem spiegelblanken Hals herabgleiten. ,Es ist lammfromm’, sagte der junge Herr; ,was meinen Sie, Fräulein Lore, drinnen im Stall hängt noch ein Damensattel!’ – Sie schüttelte den Kopf; aber ich hörte, wie ihr der Atem versetzte, und ihre Augen blitzten ordentlich vor Lust. Der Herr Graf hatte das auch wohl verstanden ; denn auf seinen Wink wurde der Sattel aufgeschnallt und ein leichter Zaum angelegt. Lore sah daraufhin, als wenn ihr die Augen verhext wären. Als aber der Knecht ihr das Holztreppchen zum Aufsteigen hinstellte, warf es der junge Herr beiseite. ,Pfui doch, Johann!’ rief er; und als wenn sich’s nur von selbst verstände, faßt er das Mädchen unterm Arm. ,Treten Sie fest!’ sagte er und hielt die andere Hand vor sich hin, indem er mit seinen durchdringenden Augen zu ihr aufsah. Und Lore, als müsse sie nur immer tun, wie der es wollte, setzt ihr Füßchen in seine Hand. Ich merkte wohl, er zögerte; aber es war nur ein Augenblick; dann hob er sie mit einem raschen Schwung hinauf.
Sie sah ganz verwirrt aus und schlug die Augen nieder, als sie droben saß, und ließ sich geduldig den Zaum zwischen den Fingern von ihm zurechtlegen. Der Fuchs schüttelte den Kopf und stieß ein lautes Wiehern aus. Sein Herr strich ihm ein paarmal liebkosend über das seidene Fell; dann legte er die Hand hinter Lore auf den Sattel; mit der andern faßte er den Zaum und führte das Pferd langsam um das Rondell herum.
Ich muß es selbst sagen, sie machten ein stolzes Paar zusammen; und es hätte wohl keiner gedacht, der sie so gesehen, daß die feine Person nur eine arme Nähterin und eines Schneiders Tochter sei.
Bald ging es ihr schon nicht rasch genug. Sie warf die Hand empor, das Pferd fing an zu traben, und der junge Herr trat auf das Rondell zurück. Aber er ließ kein Auge von ihr; wie das Pferd lief, so ging er, die Reitpeitsche in der Hand, im Kreise mit umher; als sei es ihm angetan, so flogen seine Blicke an dem Mädchen hin und wider, von ihren schwarzen wehenden Haaren bis zu dem Füßchen, das oben an dem Sattel unter dem Kleide hervorsah. Bald rief er ihr, bald seinem Fuchs ein kurzes Wort hinüber. Das Tier lief immer schneller; es schnob und peitschte mit dem Schweife in die Luft. Lenore sah gar nicht darauf hin. Sie saß nur wie angeflogen und lächelte und sah auf den jungen Herrn, grad als wären’s seine Augen, die sie auf dem Sattel festhielten.
So ging es eine Weile. ,Wenn die Alte herauskäme!’ dachte ich. ,Es gäb’ ein böses Wetter!’ Aber sie kam nicht. Da plötzlich schwenkt eine Flucht Tauben mit großem Geklapper über den Hof; und der Fuchs stutzt und macht einen Satz. Ich denk, die Lore stürzt herunter; aber nein, sie hing noch an dem Hals des Pferdes; nur blaß war sie geworden wie der Tod. ,Oho, Virginie!’ ruft der Herr, und gleich ist er auch drüben, hat die Lore auf seinen Armen, sieht sie einen Augenblick mit den scharfen Augen an und läßt sie dann sanft zu Boden gleiten. – Eh ich mich noch besinne, hör ich die Hoftür gehen. ,Da ist die Alte!’ denk ich; aber als ich mich umkehre, steht der Tischler vor mir. – Wär’s nur die Alte gewesen, ich hätte mich nicht so alteriert; denn ganz wie versteinert sah der Mensch aus. ,Ist denn schon Feierabend, Herr Werner?’ ruf ich. Aber er achtet gar nicht darauf. ,Guten Abend, Marie!’ sagt er mit ganz heiserer Stimme, und er würgt ordentlich daran, als wenn ihm das Wort im Halse stecken bleiben müßte. – ,Wollen wir nicht ins Haus gehen?’ sag ich wieder. ,Ich danke’, antwortete er; ,ihr habt da schon Gesellschaft.’ – Und ohne das Mädchen anzusehen oder eine Silbe an sie zu verlieren, kehrt er sich um und geht durch den großen Torweg der Straße zu.
Lore stand, ohne sich zu rühren, neben dem schnaubenden Pferde. ,Was wollte der Mensch?’ fragte der Graf. ,Es ist ein Landsmann von mir’, erwiderte sie leise. ,Es ist Herr Werner’, sagte ich, ,der erste Arbeiter in dem großen Möbelmagazin’; denn mich ärgerte das spöttische Gesicht, womit der Herr dem Tischler nachgesehen hatte.«
Die Erzählerin hatte eine Arbeit vollendet; sie stand auf und legte die Stoffe zusammen. Nebenan im Wohnzimmer fanden sich die Hausgenossen zum Mittagstisch zusammen.
»Was ist denn daraus geworden?« fragte ich noch.
»Was ist daraus geworden?« wiederholte sie; »ich habe eine Zeitlang hin und wider geredet; am Ende – der Tischler kann ja doch nicht von ihr lassen; und sie, wenn ihr nicht just der Kopf verrückt ist, weiß auch