Theodor Storm

Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band)


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»es ist ihre Natur so. – Nicht wahr, Lore«, setzte er hinzu, indem er sich lächelnd zu ihr wandte, »wir beide, wir verstehen uns aufs Vergeuden!«

      Sie setzte die Flasche auf den Tisch und warf ihm einen Blick voll unergründlichen Hasses zu. Dann stand sie auf und ging nach der Tür, die in den Saal führte. Aber er war zugleich mit ihr aufgesprungen. Ein Eindruck verbissenen Jähzorns entstellte die schönen regelmäßigen Gesichtszüge. »Was fällt dir ein!« flüsterte er und packte mit Heftigkeit ihren Arm. Sie blieb stehen, ohne daß sie Miene machte, sich von seiner Hand zu lösen; nur ihre dunkeln glänzenden Augen blickten ihn fragend und verachtend an. Eine Weile ertrug er es; dann zog er die Hand zurück und indem er ein kurzes Lachen ausstieß, trat er wieder an den Tisch und schenkte langsam die Neige aus der Flasche. – Lore sah ich durch die Saaltür zwischen den Tanzenden verschwinden.

      Mir quoll das Herz; ich hatte aus der Ecke, wo ich saß, alles genau beobachtet. Nach einer Weile machte ich mich los und trat in den Saal, um sie zu suchen.

      Sie war nicht unter den Tanzenden; als ich mich aber zwischen den walzenden Paaren durchgedrängt hatte, sah ich sie in einer Fensternische stehen und scheinbar regungslos in das Gewühl hineinstarren; sie war fast so blaß wie die weiße Rose in ihrem Haar.

      »Sie erinnern sich meiner wohl nicht mehr?« fragte ich, indem ich auf sie zutrat.

      Eine tiefe Röte überzog auf einen Augenblick ihr Antlitz. »O, doch!« sagte sie leise.

      »Wollen wir tanzen, Lore?«

      Sie senkte, während sie mir die Hand reichte, den Kopf so tief, daß ich ihre Augen nicht zu sehen vermochte; aber ich sah, wie ihre kleinen weißen Zähne sich tief in ihre Lippen gruben.

      So tanzten wir denn zusammen; nur ein paar Runden; denn auch sie mochte fühlen, daß es mir nicht ums Tanzen war. Bald standen wir nebeneinander vor der großen Ausgangstür, deren beide Flügel weit geöffnet waren. Ich blickte unwillkürlich hinaus ; es war sehr finster, nur die Stämme der nächsten Buchen waren von dem herausfallenden Schein beleuchtet. Aber ein Strom bewegter Nachtluft trieb erfrischend gegen uns heran; und während von der einen Seite das Kreischen der Geigen und das Scharren der Tanzenden an mein Ohr schlug, vernahm ich zugleich von draußen das traumhafte Rieseln in den Laubkronen des Waldes.

      Das Mädchen stand neben mir, ohne zu sprechen, die Augen zu Boden geschlagen. – Ich faßte mir ein Herz. »Wie mag es Christoph gehen?« fragte ich.

      Sie fuhr zusammen und murmelte etwas, das ich nicht verstand; aber auf ihren blassen Wangen wurden zwei dunkelrote Flecke sichtbar.

      »Was würde er sagen«, fuhr ich fort, »wenn er hier wäre!«

      Ich sah, wie sie nach Atem rang, und wie ihre herabhangende Hand krampfhaft an dem Kleide fingerte. »O bitte«, stieß sie leise hervor, »nicht hier, nur nicht hier!«

      »Wo denn? Wollen Sie mich hören, Lore?«

      Sie blickte zu mir auf. »Draußen«, sagte sie leise, »ich werde gleich herauskommen; lassen Sie uns abtreten nach dieser Runde! – Ich habe Sie schon bitten wollen, als ich Sie vorhin im Nebenzimmer sitzen sah.«

      Wir tanzten noch einmal; dann führte ich sie zu Platz und trat durch die Tür in den kleinen Säulengang hinaus. – Es donnerte in der Ferne; und als ich die beiden Stufen ins Freie hinabstieg, wetterleuchtete es, daß ich auf einen Augenblick die einzelnen Baumstämme bis an die See hinab und drunten das Blinken des Wasserspiegels unterscheiden konnte.

      Ich ging um das Haus herum bis an die Kegelbahn und wartete dort. Nicht lange, so sah ich auch den Schimmer eines weißen Kleides, ich hörte den leichten Schritt des Mädchens, und gleich darauf stand sie selbst tief aufatmend vor mir. – So war ich denn endlich wieder mit ihr allein, im Dunkel, in der Sommernacht; aber es waren andere Zeiten. Ehe ich sie anzureden vermochte, hatte sie ein Papier aus der Tasche gezogen, der Schein eines Blitzes fuhr darüber, und ich erkannte Poststempel und Siegel eines Briefes. »Er ist von Christoph«, sagte Lore, indem sie das Papier in meine Hand legte, die ich unwillkürlich danach ausgestreckt hatte.

      »Von Christoph!« rief ich; »wann haben Sie den Brief erhalten?«

      »Heute!« erwiderte sie leise.

      »Und Sie sind doch hieher gekommen?«

      Sie schwieg.

      »Darf ich den Brief lesen, Lenore?«

      »Ich habe Sie darum bitten wollen.«

      Ich ging an eines der erleuchteten Saalfenster in der hintern Fronte des Hauses. – Lenore war mir langsam gefolgt, und ich fühlte, wie während des Lesens ihre Augen unablässig auf mich gerichtet waren.

      Es war ein langer Brief; Christoph gab von seinem Schweigen Rechenschaft. Er hatte das Geschäft seines Oheims übernommen; aber die Verhältnisse waren lange in der Schwebe gewesen, da alles von einer Verheiratung der Tochter mit einem wohlhabenden Schornsteinfegermeister abgehangen; schon sei er, da eben ein neugieriger Schneider aus der Heimat ihn besucht habe, mit dem Geräte zu ihrer Hochzeitskammer beschäftigt gewesen, als die ganze Sache noch einmal in Frage gestellt worden sei. Jetzt aber war endlich alles geordnet, die Tochter hatte Hochzeit gemacht, und er selbst sollte in den nächsten Tagen das Meisterrecht in der fremden Stadt erwerben. Dann lud er sie ein zu kommen, da er nicht fort könne, um sie zu holen. »Sobald ich Deine Antwort habe«, das waren die letzten Worte des Briefes, »schicke ich Dir das Reisegeld; es liegt schon abgezählt und eingesiegelt. Das Haus wirst Du leicht erkennen; neben der grünen Bank, die vor der Tür ist, steht eine Linde, wie daheim vor Deinem Elternhaus; eine Kammer, die ich selber für die jungen Meistersleute hergerichtet habe, ist ganz davon beschattet.« – – –

      Ich hatte den Brief zusammengefaltet und reichte ihn zurück. Aber Lore schüttelte den Kopf. »Schreiben Sie ihm, Herr Philipp!« sagte sie, während eine Träne nach der andern über ihre Wangen tropfte; und leise und mühsam setzte sie hinzu: »Er hat es gut gemeint.«

      »Und Sie wollen nicht selber kommen?« fragte ich.

      Sie sah mich an, mit einem Blick so voll von flehender Verzweiflung, daß ich bereute, diese Frage an sie getan zu haben. »Lore«, sagte ich, »kann denn niemand helfen?«

      Sie senkte den Kopf, indem sie mit der Stirn an eine Fensterscheibe lehnte; die weiße Rose lag noch immer duftend auf dem glänzend schwarzen Haar. »Er war, da er noch lebte, nur ein armer törichter Mann«, sagte sie, und ihre Stimme brach fast in verhaltenem Schluchzen, »aber er war doch mein Vater, und es hat mich sonst doch keiner so geliebt – er würde mich auch jetzt noch nicht verstoßen.«

      Als sie das gesagt hatte, schwiegen wir beide; nur hatte ich, ohne daß ich es wußte, ihre beiden Hände ergriffen, und sie ließ sie mir. – Da hörte ich von der andern Seite des Hauses, von der Halle her, die Stimme des Raugrafen ihren Namen rufen.

      Sie fuhr zusammen. »Lore«, sagte ich, »können Sie denn nicht los von jenem Menschen?«

      Ihre Augen blickten mich groß und traurig an. »O, doch!« sagte sie leise; und mir war, als sähe ich ein Lächeln um ihren Mund; aber ein Lächeln wie in verhüllter Arglist. – Indem wurde noch einmal und mehr in unserer Nähe gerufen.

      Sie trocknete hastig ihre Augen. »Leb wohl, Philipp, leb wohl!« flüsterte sie. Ich empfand den Druck der beiden kleinen Hände; dann war sie fort.

      Wie lange ich noch unter den Bäumen auf und ab gegangen, weiß ich nicht. Ich kam erst wieder zum Bewußtsein der Dinge um mich her, als drinnen im Saale plötzlich die Tanzmusik aufhörte, und ich stattdessen das Schreien der großen Eulen vernahm, die tiefer im Walde ihr Wesen trieben.

      Als ich dann, um über die Steintreppe zu dem Fußweg zu gelangen, an der vordern Fronte des Hauses vorüberging, sah ich Lore noch einmal. Sie stand unter der Halle, den Arm um eine der Säulen geschlungen, und blickte durch die Bäume auf die See hinab, wo eben ein Wetterschein blendend über das Wasser leuchtete.