eines,« sagte er. »Pflegte Jaerven viele Briefe zu bekommen?«
»Ja freilich, fast jeden Morgen kam der Briefträger und brachte ihm Post. Auch an jenem Donnerstag, wo er verschwand, kamen Briefe. Später mußte der Briefträger alle Postsachen bei mir abgeben.«
»Danke, es ist gut. Wir werden uns mit der Sache befassen. Vor allem ist es notwendig, eine Untersuchung der Zimmer Jaervens vorzunehmen. Vorläufig müssen Sie alles unberührt lassen.«
Die dicke Witwe ging, und Asbjörn Krag blieb mit dem Polizeichef allein.
»Was glauben Sie?« fragte dieser.
»Ich glaube noch nichts,« erwiderte Krag; »aber es ist ja klar, daß da irgend etwas los sein muß. Es ist ja ganz ausgeschlossen, daß Jaerven aus freiem Willen seine zahlreichen verwickelten Geschäfte im Stich gelassen hat. Ein Selbstmord ist auch höchst unwahrscheinlich.«
Der Polizeichef war ernst geworden. Er erhob sich von seinem Platz und schritt ein paarmal im Zimmer auf und ab.
»Agent Jaerven war ja ein Wucherer,« fuhr Krag fort, »darüber sind wir doch einig.«
»Ja,« warf der Chef hin, »aber es war ganz unmöglich, ihm etwas nachzuweisen.«
»Ich weiß, er war ein grausamer und hartherziger Wucherer. Einer der ganz Gefährlichen. Einer von jenen, die mit allerhand Papieren operieren.«
Der Polizeichef blieb stehen und sah seinen Beamten an.
»Was meinen Sie?« fragte er.
»Ein solcher Mann, wie Jaerven,« erwiderte Krag mit Nachdruck, »kann seines Lebens nie sicher sein.«
II.
Hausuntersuchung
Schon eine Stunde nach dieser Anzeige im Sicherheitsbureau war Asbjörn Krag in voller Tätigkeit.
Zuerst stattete er einen Besuch bei der Bank ab, wo er wußte, daß Jaerven seine Papiere deponiert und sein Geld stehen hatte. Unter vier Augen hatte er ein Gespräch mit dem Bankdirektor und fand seine Annahme von der ausgezeichneten ökonomischen Stellung des Agenten Jaerven bestätigt. Er hatte ein großes Vermögen und nur sichere Papiere liegen. Ein paar Wechsel waren verfallen, einer vor sechs, einer vor sieben Tagen. Aber die Bank hatte die Wechsel ruhig liegen lassen, da man durch die Witwe wußte, daß Jaerven verreist war.
Krag fragte:
»Finden Sie es nicht seltsam, Herr Direktor, daß Jaerven solange von seinen Geschäften wegbleibt, ohne etwas zu sagen oder irgendwelchen Bescheid zu geben?«
Der Bankdirektor erwiderte vorsichtig, er finde auch, daß auffallend lange Zeit vergangen sei, und er habe schon angefangen, sich darüber zu wundern.
»War Jaerven Donnerstag hier in der Bank?« fragte Krag.
Er bekam zur Antwort, daß Jaerven oft in der Bank war, um Geschäfte der einen oder andern Art abzuschließen; die Bücher ergaben, daß Jaerven Mittwoch in der Bank gewesen war, aber Donnerstag nicht. Der Hauptkassierer erinnerte sich außerdem bestimmt, daß er Jaerven seit Mittwoch, dem Elften, vormittags, in der Bank nicht mehr gesehen hatte. Er hatte damals fünftausend Kronen auf sein Konto eingelegt. Der Kassierer hatte den Eindruck, daß Jaerven es nicht liebte, größere Geldsummen bar zu Hause liegen zu haben. Sowie er über solche disponierte, übergab er sie darum der Obhut der Bank. Schließlich erklärte der Direktor, daß Jaervens Geschäfte mit der Bank in jeder Hinsicht normal und korrekt waren; aber man merkte, daß er über sehr viel Geld disponierte und oft recht lebhafte Geldtransaktionen hatte. Worin diese bestanden, dafür hatte die Bank sich nie interessiert.
Das waren alle Aufklärungen, die Krag dort erhalten konnte. Viel schien es nicht, aber Krag notierte sich jeden kleinen Umstand gewissenhaft und genau.
Nach seinem Besuch in der Bank fuhr Krag in die Straße, in der Jaerven wohnte. Er war zuerst im Laden der Witwe und ersuchte sie, ihn in das erste Stockwerk zu führen. Die Witwe war sofort bereit. Sie übergab dem Kommis das Geschäft und ging mit. Unterdessen prägte sich Krag die ganze Umgebung ein, er konstatierte, daß alle, die von oder zu dem Agenten kamen, aus dem Zimmer der Witwe gesehen werden konnten; er zählte die Stufen der Treppe und bemerkte, mit besonderem Interesse, daß gegenüber dem Hause eine Gaslaterne stand; ihr Licht mußte abends gerade in das Schlafzimmer des Agenten fallen. Zuerst betraten der Detektiv und seine Begleiterin die Küche. Da standen einige Tassen und Kochgeschirre herum. Sonst war es klar zu sehen, daß die Küche schon längere Zeit außer Gebrauch sein mußte. Aus der ziemlich großen Küche führten zu beiden Seiten Türen in die Wohnungen. Die Türe rechts stand offen; hier hatte die Witwe ihre Lagerräume. Links war die Wohnung des Agenten. Einen anderen Eingang als durch die Küche gab es nicht. Der Detektiv dachte mit einem Schauder an diesen reichen Mann, der sich alle Annehmlichkeiten des Lebens versagte, um noch mehr Geld aufzuhäufen, und dessen einzige Freude immer nur darin bestanden hatte, diese freudlosen Reichtümer zu mehren.
Er rüttelte heftig an der Tür und pochte mit den Knöcheln an die eichenen Planken. Immer stärker, dann lauschte er. Aber drinnen war kein Laut zu hören.
Der Detektiv trat in das Treppenhaus und öffnete das Fenster, das von dort auf die Straße ging. Draußen, wo die Leute in einem unregelmäßigen Strom vorbeitrieben, hatte die Promenade noch ganz das Gepräge der Vorstadt. Krag blies ein paarmal scharf in seine Polizeipfeife, und es dauerte nicht lange, so kamen ein paar Schutzleute gelaufen. Sie sahen sich zuerst um, dann entdeckten sie den Detektiv, der an dem offenen Fenster stand und winkte.
»Kommen Sie einen Augenblick herauf!« rief er.
Eine Minute später waren die Schutzleute zur Stelle. Sie waren beide starke robuste Männer und grüßten Krag mit einer Ehrerbietung, die zeigte, in welch hohem Ansehen der begabte Detektiv stand.
»Wir müssen diese Tür öffnen,« sagte Krag und wies auf den Eingang zu den Zimmern des Agenten Jaerven.
Zuerst wurden alle Schlüssel, die vorhanden waren, probiert. Aber keiner paßte. Das vorsichtige Mißtrauen des Agenten hatte sich auch darin geäußert, daß er sich ein ganz besonders sicheres und starkes Türschloß angeschafft hatte.
»Es wird das beste sein, die Türe einzudrücken,« sagte der eine der Schutzleute, indem er seinen breiten Rücken an die Türfüllung stemmte.
Der Detektiv nickte zustimmend.
»Nur wegsprengen,« sagte er, »hier muß rasch gehandelt werden.«
Der andere Schutzmann half mit, und es gelang ihnen bald, das Schloß zu sprengen. Die Tür ging auf, aber ein gutes Stück der Füllung fiel heraus.
Asbjörn Krag betrat das Zimmer zuerst. Die Witwe hielt sich ängstlich im Hintergrund, so als fürchtete sie, etwas Grauenvolles zu sehen. Die Schutzleute blieben an der Tür stehen und warteten.
Krag sah sich um.
Das war also das Kontor des Agenten. Drüben am Fenster stand der Tisch, an dem er zu arbeiten pflegte. Auf dem Tisch stand ein Tintenfaß, aus dem die Feder hervorragte, ferner ein paar Tassen und ein Teller mit einigen Brotrinden. Einige unbeschriebene Papiere und ein kleines blau gebundenes Büchlein. Das war alles. Krag blätterte das Büchlein durch, aber schien nichts von Interesse darin zu finden.
Die Witwe stand noch immer in der geöffneten Tür und neben ihr die beiden Schutzleute.
»Jaervens Schlafzimmer ist dort drinnen?« fragte Krag und wies auf eine geschlossene Tür rechts.
Die Witwe nickte.
»Oeffnen Sie sie!« befahl Krag.
Zögernd ging die Witwe zur Schlafzimmertür hin, um aufzuschließen. Es war, als erwartete sie dort drinnen etwas Schreckliches zu sehen. Sie öffnete die Tür leise und vorsichtig und zog sich dann schleunigst zurück.
»Erwarten