brauche heute meinen vollen Muth, und den habe ich nicht, wenn ich Dich neben mir bedroht sehe, ohne Dich schützen zu können. Ich weiß, warum Du mich begleiten willst: Du glaubst mich sicher vor einem Arme, so lange Du an meiner Seite stehst. Täusche Dich nicht! Das ist vorbei seit gestern Abend; seitdem hast Du Antheil an dem Hasse, mit dem er mich verfolgt, und auch wenn das nicht wäre,“ hier verlor seine Stimme den zärtlich weichen Klang und die Stirne faltete sich, „ich will meine Sicherheit nicht einem Gefühl verdanken, das eine Beleidigung ist für Dich wie für mich und das schon allein die Entfernung jenes Mannes forderte, auch wenn sein sonstiges Benehmen es nicht thäte.“
Die junge Frau mußte wohl die Wahrheit dieser Worte fühlen – sie senkte in stummer Resignation das Haupt. Arthur fuhr auf:
„Da bricht das Toben von Neuem los! Ich muß fort! Unser Wiedersehen wird sich heute nur auf Minuten beschränken, und auch die werden angstvoll genug sein für Dich, mein armes Weib. Du hättest zu keiner schlimmeren Zeit zurückkehren können.“
„Möchtest Du den Sturm lieber allein aushalten, ohne mich?“ fragte Eugenie leise.
Ein Ausdruck leidenschaftlicher Zärtlichkeit erhellte die umdüsterten Züge des jungen Mannes. „Ohne Dich? Ich habe bisher ausgehalten wie der Soldat auf einem verlorenen Posten. Erst seit gestern weiß ich, daß auch der Kampf etwas werth sein kann, wenn man ein Lebensglück und eine Zukunft dabei zu gewinnen hat. Du hast mir Beides zurückgebracht, und wenn es jetzt von allen Seiten noch ärger auf uns einstürmte, ich glaube wieder an den Sieg, seit ich Dich wieder habe.“ –
Die noch immer in größter Aufregung geführten Debatten der Beamten verstummten, als Berkow mit seiner Gemahlin eintrat, aber die Bewegung, welche sich dabei von allen Seiten kund gab, war mehr als die bloße Rücksicht für das Erscheinen des Chefs. All die ernsten, besorgten, ängstlichen Blicke hefteten sich auf sein Gesicht, als wollten sie Hoffnungen oder Befürchtungen daraus lesen. Alle drängten sich um ihn, wie um einen Mittelpunkt, an dem sie Halt und Stütze suchten; Alles athmete auf bei seinem Eintritt, als sei damit allein schon ein Theil der Gefahr beseitigt. Diese Bewegung, unwillkürlich wie sie war, zeigte Eugenien doch hinreichend, welche Stellung ihr Gatte sich bei seiner Umgebung errungen hatte und die Art, wie er in ihre Mitte trat, zeigte noch mehr, daß er sie zu behaupten wußte. Sein Antlitz, das die junge Frau noch vor wenig Augenblicken so schwer umdüstert gesehen hatte, verrieth jetzt, wo es all den besorgten Gesichtern begegnete, nur einen ruhigen Ernst, nichts weiter, und seine Haltung war von einer Sicherheit, die auch dem Zaghaftesten Muth einflößen mußte.
„Nun, meine Herren, es sieht ziemlich feindselig und bedrohlich aus da draußen. Wir werden uns auf eine Art von Belagerung, vielleicht sogar auf einen Angriff gefaßt machen müssen. Meinen Sie nicht?“
„Man will die Gefangenen heraus haben,“ sagte der Director, indem er einen Unterstützung fordernden Blick auf Schäffer warf, der jetzt gleichfalls herantrat.
„Ja wohl, Herr Berkow, und ich fürchte, wir werden uns hier nicht behaupten können gegen den Aufruhr. Die Festnahme der drei Bergleute ist im Augenblick freilich der alleinige Grund oder Vorwand dazu; wenn man ihnen den nähme –“
„So würden sie einen anderen finden,“ schnitt ihm Arthur das Wort ab, „und die verrathene Schwäche würde sie vollends entfesseln. Wir dürfen jetzt weder Schwanken noch Furcht zeigen, oder wir verlieren das Spiel noch im letzten Augenblick. Ich sah die Folgen voraus, als ich die drei Unheilstifter festnehmen ließ, aber diesem Attentat gegenüber blieb nur die vollste Strenge übrig. Die Gefangenen bleiben in Haft, bis das Militär eintrifft.“
Der Director trat zurück, und Schäffer zuckte die Achseln; sie hatten ihren jungen Chef nun nachgerade genug kennen gelernt, um zu wissen, daß es diesem Tone gegenüber keinen Widerspruch gab.
„Ich vermisse Hartmann unter der Menge,“ wandte sich Arthur an den Oberingenieur. „Er pflegt doch sonst überall der Erste zu sein, wo es Lärm und Tumult giebt; heute aber scheint er die Schaar nur zum Angriff gehetzt und sie dann allein gelassen zu haben. Er ist nirgends sichtbar.“
„Auch ich vermisse ihn schon seit einer Viertelstunde, entgegnete der Gefragte bedenklich. „Wenn er nur nicht wieder irgend ein neues Unheil anstiftet. Sie befahlen die Posten von den Maschinenhäusern zurückzuziehen, Herr Berkow.“
„Gewiß! Wir brauchen die wenigen Leute, über die wir verfügen können, nothwendiger hier im Hause, und seit die Einfahrt erzwungen wurde, sind die Schachte wie die Maschinen vollkommen sicher. Sie können nichts dagegen unternehmen, ohne ihre eigenen Cameraden da unten zu gefährden.“
„Ob das bei einem solchen Führer in Betracht kommt?“ meinte der Beamte zweifelnd.
Die Stirn Arthur’s umwölkte sich. „Ich dächte doch! Hartmann ist ein Unbändiger, ein Wütherich sogar, wenn er gereizt wird, ein Schurke ist er nicht, und das, was Sie da andeuten, wäre Schurkerei. Er hat die Maschinen zerstören wollen, um die Anfahrt zu hindern, und als er sie nicht mehr hindern konnte, weshalb glauben Sie denn, daß er sich da so unsinnig nach den Häusern stürzte? Es geschah wohl nicht, um den Vater und die Cameraden dem Verderben preiszugeben. Er wollte seine früheren Befehle rückgängig machen und erst als er sah, daß wir ihm bereits zuvorgekommen waren, brach er in der Wuth über den gescheiterten Plan gegen uns los. Die Anfahrt allein hat uns die Maschinen gerettet. Es hebt Keiner die Hand dagegen, so lange der Schichtmeister und die Uebrigen in den Schachten sind, aber dafür richtet sich der Sturm jetzt gegen das Haus. Ich werde hinausgehen und einen Versuch machen, ihn zu beschwichtigen.“
Die Beamten waren es seit den letzten Wochen gewohnt, daß ihr Chef mit der vollsten Kühnheit und ohne alle Rücksicht auf seine Person vorging, wenn es sich um ähnliche Scenen handelte, heute aber wurden doch von allen Seiten Bitten und Abmahnungen laut; sogar der Oberingenieur schloß sich diesmal den Vorstellungen an, während Schäffer, der wohl wußte, von welcher Seite ein Widerspruch allein nützen konnte, sich zu Eugenien wandte, die noch an der Seite ihres Gemahls stand.
„Lassen Sie es nicht zu, gnädige Frau! Heute nicht – heute ist es gefährlicher als all’ die Tage vorher. Die Leute sind furchtbar gereizt, und Hartmann spielt diesmal va banque gegen uns. Halten Sie den Herrn zurück!“
Die junge Frau wurde todtenbleich bei dieser Mahnung, die ihre eigenen Befürchtungen nur zu sehr bestätigte, aber sie behauptete ihre Fassung; ein Theil der Ruhe Arthur’s schien auch auf sie übergegangen zu sein.
„Mein Gatte hat mir erklärt, er müsse den Versuch machen,“ entgegnete sie fest, „und er soll nicht sagen, daß ich ihn mit Thränen und Klagen von dem zurückgehalten habe, was er für seine Pflicht hält. Lassen Sie ihn hinaus!“
Arthur hielt ihre Hand noch immer fest in der seinigen; er dankte ihr nur mit einem Blick.
„Nun, meine Herren, nehmen Sie sich ein Beispiel an dem Muthe meiner Frau! Sie hat doch wohl am meisten zu zittern. Ich wiederhole es Ihnen, der Versuch muß gemacht werden! Lassen Sie die Eingangsthür öffnen.“
„Wir gehen alle mit!“ rief der Oberingenieur. „Fürchten Sie nichts, gnädige Frau! Ich weiche dem Herrn nicht von der Seite.“
Arthur wies ihn ruhig, aber entschieden zurück. „Ich danke Ihnen, aber Sie bleiben hier und die übrigen Herren gleichfalls – ich gehe allein. In solchem Falle ist höchstens der Einzelne der Menge gegenüber sicher. Ihr gesammtes Erscheinen könnte als eine Herausforderung gelten. Halten Sie sich nur bereit, mir, wenn es zum Aeußersten kommen sollte, den Rückzug in’s Haus zu decken! Leb’ wohl, Eugenie!“
Er ging, von dem Oberingenieur und einem Theil der Beamten bis zur Treppe begleitet. Es machte Keiner mehr den Versuch, ihn zurückzuhalten; sie wußten Alle, daß in seinem Erscheinen draußen die einzige Möglichkeit lag, eine Gefahr abzuwenden, gegen die noch stundenlang sich hier im Hause zu behaupten schwer, wenn nicht unmöglich erschien.
Eugenie eilte an’s Fenster. Sie sah nicht, daß die noch Anwesenden sich in ängstlicher Spannung an die übrigen Fenster drängten, hörte nicht die halblauten Bemerkungen, die der Director und Schäffer, die unmittelbar hinter ihr standen, mit einander austauschten; sie sah nur