zweier in der Hast des Forteilens verlorener oder weggeworfener Blenden, hatte auf die richtige Spur geleitet. Die Explosion schien den oberen Schacht nur theilweise berührt und die Bergleute schienen sich noch zeitig genug in einen der sicheren Seitenstollen geflüchtet zu haben, wo die Wetter sie nicht erreichten, wo aber ein theilweiser Einsturz der vorderen Strecke sie verschüttet und von den Ausgängen abgeschnitten hatte. Es galt jetzt, sich bis zu ihnen hindurchzuarbeiten, auf einem Wege, der den Rettern wenigstens die Möglichkeit des Athmens ließ, und zur Ausführung des schnell und umsichtig entworfenen Rettungsplanes wurden jetzt alle Kräfte aufgeboten.
„Und wenn die ganze Erde drauf läge, wir müssen zu ihnen!“ hatte Ulrich ausgerufen, als man die erste Spur fand, und das war das Losungswort geworden, das sich Jeder wiederholte. Da war auch nicht Einer, der zurückwich, nicht Einer, der sich der gefährlichen Pflicht entzog, wohin man ihn auch stellte, und doch hielt bei Vielen die Kraft nicht gleichen Schritt mit dem Eifer, doch mußte Mancher, erschöpft und halbbetäubt, zurückgesandt und durch neue Helfer ersetzt werden, wollte man die Zahl der Opfer nicht noch vermehren. Nur Zwei waren es, die nichts rührte und nichts ermüdete, Ulrich Hartmann mit seinem eisernen Körper und Arthur Berkow mit seinem eisernen Willen, der dem verwöhnten zartgebauten Manne heute Nerven wie von Stahl lieh, und ihn ausdauern ließ in Umgebungen und Gefahren, denen sich so viele Stärkere nicht gewachsen zeigten. Die Beiden hielten aus; Seite an Seite drangen sie vor, immer voran, immer die Ersten. Wo Ulrich’s Riesenkraft das fast Unglaubliche leistete und Hindernisse bewältigte, die für Menschenhände unüberwindlich schienen, da genügte es bei dem „Herrn“ schon, daß er an der Spitze stand, daß er überhaupt da war. Er konnte in der That nicht viel mehr thun, als den Arbeitern Muth geben zu ihrem Werke, aber er gab genug damit, mehr als seine Arme hätten leisten können. Schon dreimal hatte die Hand seines kundigeren Gefährten ihn zurückgerissen, wenn er, unbekannt mit den Gefahren der Schachte, sich zu unvorsichtig aussetzte; schon oft hatten ihn die Ingenieure gebeten, umzukehren, jetzt wo Leute genug zur Hülfe und Beamte genug zur Leitung da waren; Arthur verweigerte es jedes Mal mit vollster Entschiedenheit. Er fühlte, was von seinem Bleiben unter diesen Menschen abhing, die von Aufruhr und Empörung zur Rettung fortgeeilt waren. Sie sahen Alle auf ihren Chef, der, seit er überhaupt zur Selbstständigkeit erwacht war, nur immer gegen sie gestanden hatte, und der heute zum ersten Mal mit ihnen stand in Noth und Tod, der gleich dem Geringsten von ihnen sein Leben aussetzte, gleich ihnen ein junges Weib da oben in Todesangst zurückließ. In diesen Stunden gemeinsamer Arbeit und Gefahr, da wurde es endlich erzwungen, was man dem Sohne und Erben eines Berkow so lange und so hartnäckig verweigert, das Vertrauen. Da unten in der Tiefe der Felsenschachte wurde der alte Haß und die alte Zwietracht begraben, da endigte der Streit. Arthur wußte, daß es sich hier für ihn um mehr handelte, als nur um ein Wagniß, das jeder Andere an seiner Stelle leisten konnte, wußte, daß er sich mit diesem Ausharren die Zukunft seiner Werke und seine eigene Zukunft erkämpfte, und um diesen Preis ließ er Eugenien oben in ihrer Angst allein und blieb.
So ging es fort mit unermüdeter Thatkraft und unermüdeter Ausdauer; man drang vor, langsam, Schritt für Schritt, aber man drang vor, und endlich beugten sich die tückischen Gewalten der Tiefe dem Menschenwillen, der sich Bahn gebrochen zu seinen Brüdern dort unten. Als die Sonne sich droben zum Untergange neigte, da war der Weg gefunden, da wurden die Geretteten emporgehoben zum Lichte des Tages, zwar verletzt, halb erstickt, betäubt von Schrecken und Todesangst, aber doch lebend, und ihnen folgten, gleichfalls zum Tode erschöpft, die Retter. Die beiden Ersten bei dem kühnen Unternehmen, der Chef und Hartmann, sie waren die Letzten beim Rückzuge, sie wollten nicht eher weichen, bis sich Alles in Sicherheit befand.
„Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, daß der Herr und Hartmann noch immer da unten zögern,“ sagte der Oberingenieur unruhig zu den ihn umgebenden Beamten. „Sie waren doch bereits am Ausgange, als die Letzten zu Tage fuhren, und Hartmann kennt doch wahrlich die Gefahren der Schachte hinreichend, um auch nur einen Augenblick länger zu verweilen, als die Nothwendigkeit gebietet. Noch immer wartet die Förderschale dort unten; sie geben kein Zeichen, beantworten keins unserer Signale – was soll das heißen?“
„Wenn nur nicht im letzten Moment noch irgend ein Unglück geschehen ist!“ meinte Wilberg ängstlich. „Es klang mir vorhin so seltsam im Schachte, gerade als die Letzten hier oben ankamen. Die Entfernung war zu groß und das Geräusch der Maschine zu laut, um es mich deutlich unterscheiden zu lassen, aber das ganze Erdreich ist erschüttert – wenn da nur nicht irgend ein Nachsturz erfolgt ist!“
„Um Gotteswillen, da könnten Sie Recht haben!“ rief der Oberingenieur. „Gebt noch einmal mit vollster Kraft die Signale! Bleiben die unbeantwortet, so müssen wir wieder hinunter und nachsehen, was da passirt ist.“
Aber noch ehe er oder die Anderen diesen Entschluß ausführen konnten, wurde drunten rasch und heftig das Zeichen zum Heraufziehen gegeben. Die Obenstehenden athmeten auf und traten näher an die Oeffnung heran, in der auch nach kurzem Harren die Förderschale erschien. Ulrich stand in derselben, das Antlitz entstellt und geschwärzt vom Schweiß und Staub der furchtbaren Arbeit in den Schachten, die Kleidung zerfetzt, zerrissen, bedeckt mit Erde und Steintrümmern, während ihm von Stirn und Schläfen das Blut niederrieselte. Wie bei der Einfahrt hielt er den jungen Chef umfaßt, aber diesmal stützte er nicht blos einen Wankenden; Arthur’s Haupt lag todtenbleich mit geschlossenen Augen auf seiner Schulter, und seine Gestalt hing unbeweglich und leblos in den Armen, welche sie mit Anstrengung aller Kräfte aufrecht erhielten.
Ein Ruf des Schreckens tönte von allen Seiten. Man wartete kaum, bis die Maschine still stand. Mehr als zwanzig Arme streckten sich aus, den Besinnungslosen in Empfang zu nehmen und ihn zu seiner Gattin zu tragen, die, gleich all’ den Uebrigen, während der ganzen Zeit nicht von der Stätte des Unglücks gewichen war. Alles umdrängte die Beiden. Man rief nach Hülfe, nach dem Arzte, und Niemand achtete in der allgemeinen Verwirrung auf Ulrich, der es seltsam still und willenlos hatte geschehen lassen, daß man die Last aus seinen Armen nahm. Er sprang nicht mit seinen gewohnten raschen und energischen Bewegungen aus der Förderschale; langsam, mühsam stieg er aus und mußte sich zweimal an den Ketten festhalten, um nicht umzusinken. Er gab auch jetzt noch keinen Laut von sich, aber die Zähne des jungen Bergmanns waren wie in wüthendem Schmerze aufeinander gebissen, und das Blut strömte stärker, wenn man auch unter der dicken Staubschicht nicht sehen konnte, daß sein Gesicht an Leichenblässe dem des jungen Chefs nichts nachgab. Er ging schwankend noch einige Schritte vorwärts, bis in die Nähe der Gruppe, die sich um Arthur drängte, dann hielt er plötzlich inne und umfaßte krampfhaft mit beiden Armen einen der beiden Pfeiler des Gebäudes, um sich daran aufrecht zu erhalten.
„Beruhigen Sie sich, gnädige Frau! Es ist ja nur eine Ohnmacht,“ tröstete der Arzt, der, bei den Verunglückten beschäftigt, sofort hergeeilt war. „Ich finde nicht die geringste Verletzung an dem Herrn; er wird sich erholen.“
Eugenie hörte nicht auf den Trost; sie sah nur das bleiche Antlitz mit den geschlossenen Augen, nur die hingestreckte Gestalt, die kein Lebenszeichen von sich gab. Es hatte eine Zeit gegeben, wo die junge Frau als Neuvermählte, wenige Stunden nach ihrer Trauung, als eine fremde Hand sie der Gefahr entriß und sie noch in Ungewißheit über das Schicksal ihres Gatten schwebte, mit kühler Besonnenheit und Ruhe zu ihrem Retter gesagt hatte: „Sehen Sie nach Herrn Berkow!“ Was Kälte und Verachtung damals gesündigt, das freilich war mehr als gesühnt durch die Qual dieser letzten Stunden, in denen sie erfahren hatte, was es heißt, für das Geliebte zu zittern, ohne ihm helfen zu können, ohne ihm auch nur nahe zu sein. Jetzt sandte und ließ sie keinen Anderen an seine Seite; jetzt lag sie auf den Knieen neben ihm und rief wie jede andere Frau in Todesangst den Namen ihres Mannes:
„Arthur!“
Es war ein Schrei der leidenschaftlichsten Liebe, der vollsten Verzweiflung, und bei diesem Aufschrei ging ein leises schmerzliches Zucken durch die Gestalt des jungen Bergmannes, der noch immer am Pfeiler lehnte, und der sich aufrichtete bei diesem Ton. Noch einmal wandten sich die finsteren blauen Augen hinüber zu den Beiden, aber es lag nichts mehr von dem alten Trotz und Haß darin, nur ein stummes tiefes Weh; dann umschleierte sich der Blick; die Hand hob sich, nicht nach der blutenden Stirn, sondern nach der Brust, wo doch keine Verletzung war, aber sie preßte sich so fest darauf, als wühle dort der schlimmere Schmerz, und in demselben Augenblicke,