Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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dem Schachte entstiegen waren, blieb es doch seltsam still und bang in der versammelten Menge. Kein Jubel, keine Freudenbezeigungen gaben sich kund; der Anblick der Geretteten verbot sie. Man wußte ja noch nicht, wer von ihnen wirklich dem Leben erhalten blieb, und ob der Tod nicht noch die ihm mühsam entrissenen Opfer zurückverlangte. Der junge Chef hatte sich schneller von seiner Ohnmacht erholt, als man geglaubt. Es war in der That ein Nachsturz des schwer erschütterten Erdreiches gewesen, der ihn und seinen Gefährten noch im letzten Augenblick getroffen, aber wunderbarer Weise hatte Arthur nicht die geringste Verletzung davon getragen; er stand bereits wieder aufrecht, wenn auch noch matt und bleich, auf den Arm seiner Gattin gestützt, und bemühte sich, seine Erinnerungen zu sammeln, um Eugeniens angstvolle Fragen zu beantworten.

      „Wir befanden uns bereits am Ausgange des Schachtes. Hartmann war einige Schritte vorauf und somit schon in Sicherheit; da muß er irgend ein Anzeichen der Gefahr bemerkt haben. Ich sah ihn plötzlich zu mir zurückstürzen und meinen Arm ergreifen, aber es war zu spät; schon wankte Alles um und über uns. Ich fühlte nur noch, wie er mich zu Boden riß und sich über mich warf, fühlte, wie er mich mit seinem eigenen Körper gegen die herabstürzenden Trümmer deckte – dann vergingen mir die Sinne.“

      Eugenie gab keine Antwort; sie hatte die Nähe dieses Mannes so unendlich gefürchtet, hatte so namenlos gezittert, als sie hörte, daß Arthur in seiner Begleitung das Wagniß unternommen, und jetzt dankte sie es dieser Nähe allein, daß sie den Gatten lebend und gerettet in ihren Armen hielt.

      Der Oberingenieur näherte sich den Beiden. Sein Gesicht war sehr ernst, und auch seine Stimme hatte einen tiefernsten Klang, als er sagte: „Der Arzt meint, sie würden Alle gerettet werden, nur der eine, der Hartmann nicht – bei dem ist jede Hülfe umsonst! Was er heute da unten in den Schachten geleistet, das war zu viel, selbst für seine Riesennatur, und die Wunde hat dann noch das Uebrige gethan. Wie er es möglich gemacht hat, trotz dieser schweren Verwundung sich und Sie, Herr Berkow, aus den Trümmern emporzuarbeiten, Sie in die Förderschale zu heben und festzuhalten, bis Sie in Sicherheit waren, das ist fast nicht zu begreifen, und war eben auch nur ihm möglich. Er hat es gethan, aber er wird es auch mit dem Leben bezahlen!“

      Arthur sah seine Gattin an; ihre Blicke begegneten und verstanden sich. Er raffte sich trotz seiner Erschöpfung empor und die Hand Eugeniens ergreifend, zog er sie fort nach dem Platze, wo den Verunglückten die erste, reichlich gebotene Hülfe zu Theil ward. Nur einen, den letzten, hatte man abseits getragen. Ulrich lag auf dem Boden ausgestreckt; sein Vater war noch nicht wieder zur Besinnung zurückgekehrt und wußte nichts von dem Schicksal des Sohnes, aber dieser war deshalb nicht allein oder nur von fremder Hülfe umgeben; an seiner Seite kniete ein junges Mädchen, das den Kopf des Sterbenden in ihren Armen hielt und mit dem Ausdruck herzzerreißender Angst in seine Züge blickte, ohne auf ihren Bräutigam zu achten, der an der andern Seite stand und die erkaltende Hand des Freundes gefaßt hatte. Ulrich sah beide nicht, wußte vielleicht gar nicht mehr, daß sie bei ihm waren; sein Auge war groß und starr auf den flammenden Abendhimmel, auf die sinkende Sonne gerichtet, als wolle es noch einen Strahl des ewigen Lichtes einsaugen und mit hinübernehmen in die lange düstere Nacht.

      Arthur hatte eine halblaute Frage an den gleichfalls anwesenden Arzt gerichtet; dieser antwortete mit einem stummen Achselzucken – der junge Chef wußte genug. Die Hand seiner Gattin loslassend, flüsterte er ihr einige Worte in’s Ohr und trat dann zurück, während Eugenie sich zu Ulrich niederbeugte und seinen Namen nannte.

      Da flammte es noch einmal mitten durch den Nebel des Todes mächtig auf; die ganze Gluth und Leidenschaft des Lebens drängte sich für einen Moment nochmals zusammen in diesem Blick, den er mit dem Ausdruck des vollsten Bewußtseins auf die junge Frau richtete, deren Lippen jetzt eine bange leise Frage aussprachen:

      „Hartmann! Sind Sie schwer verwundet?“

      Das Weh von vorhin zuckte wieder über sein Antlitz; die Stimme klang dumpf, gebrochen, aber ruhig. „Was fragen Sie nach mir? Sie haben ihn ja wieder. Was brauche ich da noch zu leben! – Ich hab’s Ihnen ja vorher gesagt: Er oder ich! Ich meinte es freilich anders, aber das war’s doch, was mir durch den Kopf fuhr, als die Wand stürzte. Da dachte ich an Sie und Ihren Jammer, und dachte daran, daß er mir da oben die Hand gereicht hatte, als sonst Niemand sie wollte, und da – da warf ich mich über ihn!“

      Er sank zurück; der aufflammende Funke erlosch schnell in der Anstrengung des Sprechens, aber dieses wilde glühende Leben verblutete sich im Tode ruhig, ohne Kampf und Qual. Der Mann, dessen ganzes Dasein nur Haß und Kampf war gegen die, die das Schicksal über ihn gestellt, er hatte in der Rettung des Gehaßten sein Ende gefunden. Die Ahnung war zur Wahrheit geworden, die das Wasser ihm gestern zurauschte; es hatte aus der Tiefe der Schachte hervor dem Opfer den Todesgruß gebracht. Er brauchte nicht mehr über dieses „morgen“ hinauszublicken, das sich so dicht vor ihm verschleierte; es war Alles zu Ende für ihn mit diesem „morgen“ – Alles!

      Drüben von der Landstraße her tönte der tactmäßige Schritt einer vorrückenden Menge, tönten Commandoworte und Waffenklirren; die aus der Stadt erbetene und erwartete Hülfe gegen den Aufruhr war eingetroffen. Schon beim Betreten der Colonie hatte der befehlshabende Officier erfahren, was hier geschehen war; er ließ seine Leute drüben auf der Chaussee Halt machen und kam, nur von einigen begleitet, hinüber auf den Schauplatz des Unglücks, wo er den Chef zu sprechen verlangte. Arthur trat ihm entgegen.

      „Ich danke Ihnen, mein Herr,“ sagte er mit ruhigem Ernste. „Aber Sie kommen zu spät; ich bedarf Ihrer Hülfe nicht gegen meine Leute. In einem gemeinsamen zehnstündigen Kampfe um das Leben der Unsrigen haben wir Frieden miteinander gemacht – hoffentlich für immer!“

       Inhaltsverzeichnis

      Wieder war es Sommer geworden; wieder lag Sonnenschein und Sommerpracht auf den Waldbergen und Thälern und über der Berkow’schen Colonie, wo sich das Leben so rührig und rüstig regte, wie nur je vorher, aber freier, freudiger war es geworden. Es wehte jetzt wie ein Athem von Freiheit und Glück durch diese Werke, die an Großartigkeit nichts eingebüßt hatten, wo sie doch Alles gewannen, was ihnen einst fehlte. Freilich war das nicht in Wochen und Monaten geschehen; es hatte Jahre dazu gebraucht, und sie waren nicht leicht gewesen, diese Jahre, die der Katastrophe folgten. Damals, als die Arbeit auf den Werken wieder aufgenommen wurde, lag noch eine schwere Last auf den Schultern des jungen Chefs, der zwar Frieden gemacht hatte mit seinen Leuten, aber auch beinahe am Ruine stand. Jene Zeit der Gefahr, wo es sich darum handelte, mit persönlichem Muthe und persönlicher Aufopferung den Excessen einer rebellischen Menge gegenüberzutreten, war vorüber; aber nun kam das Andere, Schwerere, die Zeit der Sorge, der steten mühseligen Arbeit, des oft verzweiflungsvollen Ringens mit der Macht der Verhältnisse, die Arthur fast zu Boden drückten. Doch er hatte in dem ersten Kampfe seine Kräfte kennen und erproben gelernt; er wußte sie in dem zweiten zu gebrauchen. Länger als ein Jahr war es zweifelhaft gewesen, ob die Werke überhaupt ihrer Bestimmung und ihrem Besitzer erhalten blieben, und auch nachdem diese erste, gefährlichste Krisis überstanden war, gab es noch immer genug der Gefahren und Verluste, denen man die Stirn bieten mußte. Schon während der letzten Lebenszeit des alten Berkow hatten gewagte Speculationen, maßlose Verschwendung und vor Allem das gewissenlose, nur auf den augenblicklichen Gewinn berechnete System der Unternehmungen, dessen verhängnißvolle Folgen doch schließlich auf den Unternehmer zurückfielen, die Stellung und das Vermögen desselben schwer erschüttert. Der Stillstand der Werke, die fast einen Monat lang feierten, das Unglück in den Schachten, zu deren Herstellung die bedeutendsten Mittel nöthig waren, drohten das schon halb Verlorene vollends zu vernichten. Mehr als einmal schien es unmöglich, die Werke zu behaupten; mehr als einmal schienen die Wunden, welche die Vergangenheit und vor Allem der letzte Streit ihnen geschlagen, unheilbar zu sein; aber der so spät erwachte Charakter Arthur’s stählte und entwickelte sich vollends in dieser Schule ununterbrochener angestrengter Thätigkeit.

      Es wankte Alles und drohte zusammenzustürzen, als der junge Chef vor Jahren an die schwere Aufgabe gegangen war, aus einem wahren Chaos von Geschäften, Verpflichtungen und Anforderungen, die er vor allen Dingen zu bewältigen hatte, eine neue Ordnung