Staat zerrissen, bis die Familie Medici im fünfzehnten Jahrhunderte mächtig genug ward, ihm Festigkeit und innere Ruhe zu geben, die jedoch von Zeit zu Zeit durch gewaltsame Katastrophen unterbrochen ward. Als dieser Zustand 1492 mit dem Tode des Lorenzo von Medici endigte, und das ganze Geschlecht desselben vertrieben ward, lebte der demokratische Geist wieder auf. Aber in einem Staate, [pg 18]in dem man so wenig Bürgergeist, dafür desto mehr Parteiwuth kannte, war es nicht möglich, einen dauerhaften Zustand zu begründen. Die Familie der Medici, welche sechzig Jahre lang (von 1432 bis 1492) mit so großem eignen Ruhme ihr Vaterland zu Größe, Ehre und Ruhm geführt, und innerlich einigermaßen ruhig gehalten hatte, konnte dies nur dadurch bewirken, daß sie den Staat durch eine Partei regierte, die sich hinter republikanische Formen versteckte, ohne dem Volke wahren Antheil an der Verwaltung zu verstatten. Sie hatte beständig, wie man sich in unsern Tagen ausdrücken würde, eine Art von revolutionärer Regierung geführt. Sie behaupteten nämlich, wie Macchiavelli ihnen vorwirft, daß Florenz nicht anders regiert werden könne, als durch eine von fünf zu fünf Jahren zu wiederholende außerordentliche Maßregel, („Ripigliar lo Stato“ genannt), wodurch die gefährlichen Bürger willkürlich aus der Stadt oder von öffentlichen Aemtern entfernt, diese aber eben so willkürlich mit Hintansetzung aller vorgeschriebenen Formen besetzt wurden: das heißt, sagt Macchiavelli, alle fünf Jahre den Schrecken und die Furcht erneuern, wodurch das erste Mal diejenigen Menschen in die Flucht geschlagen waren, welche, mit den Medici zu reden, schlecht gehandelt hatten.
Wahrlich, eine schöne Republik, in welcher die Formen, Gleichheit und Theilnehmung so vieler Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten vorspiegeln, in der That aber Eine Familie unumschränkter herrscht, als ein Fürst nur immer könnte; wo diese Familie um desto eifersüchtiger Alle entfernt, deren Ansprüche sie fürchtet, weil sie das öffentlich anerkannte Recht allezeit gegen sich hat! Cosmus ist ein großer Mann, Lorenzo ein noch größerer Mann gewesen. Aber ist der Staat frei zu nennen, wo solche Männer ausschließlich regieren, und die andern alten Geschlechter angesehener reicher Bürger, in der Verzweiflung ihr Recht nicht durchsetzen zu können, zu verräterischen Anschlägen ihre Zuflucht nehmen?8 Wo die Soderini sich herablassen [pg 19]müssen, Clienten zu werden, und den Pazzi, unterdrückten Nebenbuhlern, nur Meuchelmord übrig bleibt, um sich Luft zu machen: wo daher selbst ein Mann wie Lorenzo von Medici seines Lebens nicht sicher ist!
So dachte Macchiavelli über die Verfassung seines Vaterlandes vor dem Exile der Medici: das beweist der ganze Ton aller seiner Schriften, in denen er von den großen Männern aus jenem Hause stets mit Lobe redet, ihre Nebenbuhler und die Verschwörungen gegen sie nie tadelt.
Nach der Vertreibung dieser herrschenden Partei, 1494, war zwar eine republikanische Verfassung hergestellt, allein es hatte weder der demokratische Fanatiker Savonarola, den das Volk eine Zeit lang als einen Propheten verehrte, und als er einige Prophezeiungen vorbrachte, die nicht gefielen, mit Jubel verbrennen sah; noch der redliche Freund republikanischer Gleichheit und allgemeiner Gerechtigkeit, Piero Soderini, der einige Jahre als Gonfaloniere vergebliche Bemühungen anwandte, die Verfassung zu befestigen, etwas Dauerndes zu Stande bringen können. Dem Letzten wirft Macchiavelli vor, daß er sich die eitle Hoffnung gemacht, allen gährenden Stoff im Staate durch Geduld und Güte zu beruhigen, die Feindschaften mit Wohlthaten auszulöschen, und die Republik dadurch zu befestigen, daß er selbst das Beispiel gab, die Gesetze nie zu übertreten. Ein solcher Charakter kann nicht verfehlen, die allgemeinste Hochachtung zu erregen: er wird sogar von den Feinden der öffentlichen Ruhe gepriesen, – von diesen aber eigentlich, weil seine Tugenden ihnen selbst ihr Spiel erleichtern. Etwas kräftiger noch drückte Macchiavelli sein Urtheil in einem Sinngedichte aus, das er in einer launigen Stunde auf seinen demokratischen Freund und Gönner machte.
„In der Nacht, da Piero Soderini starb, fuhr die arme Seele zur Hölle hinab. Thörichter Geist, rief Pluto ihr entgegen, was willst du in der Hölle? Geh du zum unschuldigen Kinderteich!“
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Macchiavelli behauptet, und das wol nicht mit Unrecht, daß Soderini eine außerordentliche Gewalt hätte anwenden müssen, um sich in den Stand zu setzen, für die Zukunft eine Herrschaft der Gesetze zu gründen. „Wenn in einem verdorbenen Zustande der Dinge noch etwas zu hoffen ist,“ sagt er, „so ist es von einem mächtigen Manne, der sich vorläufig zum Herrn aufwirft, um eine freie Verfassung vorzuschreiben. Auf andere Art ist es unmöglich.“
Wer die Eigenschaften besitzt, wodurch man sich zur Herrschaft emporschwingt, der wird sich freilich nicht dazu verstehen, einen solchen Gebrauch von ihr zu machen: und das wußte Macchiavelli selbst sehr gut. Indessen könnte er dennoch wol einen Plan entworfen haben, durch einen Andern und auf andere Art auszuführen, was damals fehlgeschlagen war. Den, der geboren ist zu handeln, kann sein eignes treffendes Urtheil, die vollkommenste Kenntniß der Welt, die lebendigste Ueberzeugung, daß nichts mehr auszurichten stehe, nicht abhalten, Versuche zu machen, die ihm selbst vergeblich scheinen. Er sieht ein, daß es besser wäre, alle Pläne aufzugeben, wenn die Werkzeuge zu ihrer Ausführung nichts taugen. Er verspottet vielleicht die eitle Hoffnung derer, die es unternehmen, mit schwachen thörichten Menschen Dinge auszurichten, wozu Kraft, Verstand, Beharrlichkeit nöthig sind. Und in demselben Augenblicke entwirft er selbst wieder Pläne, die Verstand, Muth, Beharrlichkeit erfordern: weil der Mann von kräftigem Verstande immerfort unwillkürlich solche Entwürfe gebiert, wie ein tüchtiger Baum gute Früchte trägt.
Das ist nicht poetische Schwärmerei. Es gibt solche Menschen, und die größten Dinge geschehen durch solche, die sich nicht lange besinnen, ob ein edler Entwurf ausführbar sei; die nicht warten zu beginnen, bis der Zufall und andre Menschen das Beste gethan haben; sondern die im Vertrauen auf die gute Sache wagen, und hoffen, die Umstände werden ihnen zu Hilfe kommen. Diese finden denn auch oft unerwartete Unterstützung: denn sie selbst beleben Andere, und wecken Kräfte, deren Dasein man nicht ahnte, weil sie ohne solchen Antrieb nie erwacht wären.
Auf Macchiavelli möchte dies Alles freilich nicht recht [pg 21]anwendbar sein. Der dachte immer zunächst daran, was ausgeführt werden könnte.
Wenn es nun aber durchaus unmöglich war, die Verfassung aufrecht zu halten, auf die sich alle Entwürfe in glücklichen Zeiten bezogen, und die Nothwendigkeit einleuchtete, sich neuen Verhältnissen zu unterwerfen, so konnte auch wol ein redlicher Freund der bürgerlichen Gleichheit dahin gebracht werden, ihr nicht blos zu entsagen, sondern selbst Hand anzulegen, etwas Erträgliches zu schaffen, um nicht das Unerträgliche unthätig zu leiden. So haben auch in Florenz späterhin, als das Schicksal durch den Untergang des Filippo Strozzi die letzten Auswege zur Herstellung der Republik versperrt hatte; als Alles, was sich auf das Alte bezog, Entwürfe des Staatsmannes und Verpflichtungen des Bürgers, gleich Träumen verschwanden; als nichts mehr existirte, worauf eine Hoffnung gegründet werden konnte, und die neuen Verhältnisse unter der schnell entwickelten Uebermacht Karls des Fünften es durchaus erforderten, daß Florenz einen Herrn erhalte, der sich des mächtigen kaiserlichen Schutzes sicher halten konnte, die geistvollsten und angesehensten Männer der Republik den Herzögen gehuldigt.
Unter allen diesen Umständen, aber auch nur unter solchen, konnten Männer von Ehre zu der neuen herrschenden Partei übertreten. Macchiavelli that diesen Schritt sehr früh, und wie es sich bald zeigte, voreilig.
Es war zwar schon zu seiner Zeit Manches geschehen, das eine innere große Veränderung in Italien nothwendig nach sich ziehen mußte. Franzosen, Spanier, Deutsche kämpften um den Besitz dieses schönen Landes. Durch innere Uneinigkeit war es dahin gekommen, daß es schien, die Frage könne nur sein, welche auswärtige Macht Herr werden solle. Das Volk haßte alle diese Fremden in dem Grade, wie die südlichen Völker hassen, und wie der Unwille unterdrückter und mißhandelter Völker haßt. Aber wie konnten die Italiener die Unabhängigkeit wieder erlangen, die für jedes Volk, das eigenthümliche Denkart, Sitten, Sprache, Gesetze und Verfassung hat, das höchste Gut, und die Bedingung aller Glückseligkeit ausmacht? Dazu mußten die gesamm[pg 22]ten Kräfte der Nation in Verbindung gebracht werden, und eine einzige Richtung erhalten. Dies konnte im damaligen Augenblicke schwerlich durch einen Andern geschehen, als durch einen Medici. Wenn denn Italien der Herrschaft der Barbaren auf keine andere Art entrissen werden kann, und er das Vaterland nicht anders erlösen will, als wenn Florenz sich unterwirft, – nun so herrsche Lorenzo über Florenz und über Italien.