Karl Kraus

Auch Zwerge werfen lange Schatten


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VI. Zufälle, Einfälle VII. Pro domo et mundo

       Drittes Buch – Nachts

I. Eros
II. Kunst
III. Zeit
IV. Wien
V. 1915
VI. Nachts

      KARL KRAUS ODER DIE SCHÖPFERISCHE OHNMACHT DES WORTES

      Dass wir Karl Kraus die besten Witze und Wortspiele seiner Zeit, die schärfsten Satiren und treffsichersten Pointen verdanken, das wurde ihm vielfach attestiert. Nichts wäre jedoch unangemessener, als sich seiner Aphorismen wie aus der Pralinenschachtel zu bedienen. Sie sind eben – im Gegensatz etwa zu Oscar Wilde – alles andere als gefällige Bonmots zum Ergötzen eines erlesenen Geschmacks. Nach Aussage von Karl Kraus selbst kann ein Witz nur dann bestehen, wenn er eine ethische Deckung aufweist. Und: Gerade in der Abbreviatur des Aphorismus gelingt es Kraus, die Fülle eines Gedanken in antithetischer Zuspitzung zur Sprache zu bringen. Kraus war überhaupt ein Meister der kleinen Form: die Glosse, die Stellungnahme, die Randbemerkung und der Essai sind die literarischen Gattungen, in denen er zu Hause ist. Die fast tausend Bände der »Fackel« – der roten Hefte, die nach anfänglichen Gastbeiträgen bald ausschließlich von ihm verfasst wurden – zeugen davon. Mit den sparsamsten Mitteln konnte Kraus ein Höchstmaß an satirischer Wirkung erzielen. Bewährt hat sich diese Methode vor allem im Ersten Weltkrieg. Aus dieser Zeit stammt der auch hier wiedergegebene Aphorismus, dass eine Satire, die der Zensor versteht, mit Recht verboten werde. Gegen Karl Kraus jedenfalls erwies sich die Zensur immer wieder als machtlos. Oftmals druckt er nur ab, was andernorts bereits gedruckt und von der Zensur genehmigt war. Seine satirische Eigenleistung besteht lediglich in der Anordnung für die Leser. So etwa, wenn er einen Leitartikel Moritz Benedikts und ein Gebet des gleichnamigen Papstes synoptisch gegenüberstellt unter der Überschrift: »Zwei Stimmen – Benedikts Gebet, Benedikts Diktat«. Oder wenn er eine unerhebliche Lokalnachricht aus Kriegszeiten abdruckt, die von der Arrestierung einer jungen Frau handelt, welche durch ungebührliches Heben des Rockes öffentliches Ärgernis erregt habe. Kraus kommentiert den Zeitungsbericht knapp mit den Worten: »Hoch den Rock! Die Waffen nieder!« In ernste Gefahr geriet er erst, als er in einer Vorlesung von der „chlorreichen Offensive“ sprach. Das Ende des Krieges kam seiner Verurteilung zuvor.

      Die hier gesammelten Aphorismen sind ein hervorragender Zugang zum Werk des Karl Kraus – spiegeln sie doch das gesamte Spektrum der Themen und Gegenstände wider, deren sich Kraus sprachgewaltig angenommen hat: die Presse, Sprache, Literatur und Phraseologie, die Erotik und die Moral der Philister, Lüge und Krieg, die geschundene Kreatur. Die konkreten Anlässe (und Personen) seiner Satiren sind – wie er es selbst vielfach prophezeit hat – heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Bleibende Gültigkeit und unsterbliche Aktualität gewannen seine Texte eben durch die sprachliche Form, durch die Kraus diesen Ereignissen Gestalt verlieh. Ein immer wieder erhobener Vorwurf gegen Kraus lautet, dass er »mit Kanonen auf Spatzen« gezielt habe. Dieser Vorwurf verkennt aber genau dieses Verhältnis der Satire zu ihrem Gegenstand. Im scheinbar Nebensächlichen erkannte Kraus Symptome eines grundsätzlichen Übelstandes, und gerade die aufmerksame Beobachtung dieser Symptome lässt ihn diese Übelstände viel tiefer durchdringen als die meisten Zeitgenossen. Das Beispiel schlechthin hierfür ist sein gewaltiges Kriegsdrama – das Kraus selbst für unaufführbar hielt und das nach seiner Auskunft »einem künftigen Marstheater zugedacht« war – Die letzten Tage der Menschheit: Es ist eine imposante Collage von Einzelszenen, die gerade in individuellen Borniertheiten, Eitelkeiten, Spießigkeiten das Gemälde jener geistigen Disposition entwirft, die diese Menschheitskatastrophe erst ermöglicht hat. Ähnliches gilt für das Buch Die dritte Walpurgisnacht, das Kraus 1933 unter dem Eindruck der Machtergreifung Hitlers schrieb und dessen immerhin dreihundert Seiten er den Satz voranstellte: »Mir fällt zu Hitler nichts ein«. Kraus ließ dann allerdings den Druck stoppen, weil er für das Schicksal derer nicht verantwortlich sein wollte, die man »im Reich« mit seinem Buch ertappte. Erst nach dem Krieg kam es zur Veröffentlichung. Sein Material sind allen zugängliche Zeitungsberichte, mit deren Hilfe er den Charakter des Regimes entlarvte. Die verlogene Phraseologie ließ ihn das Künftige – »mit apokalyptischer Genauigkeit«, hätte er wohl selbst gesagt – vorwegnehmen. Damit straft er alle Lügen, die hinterher behaupteten, man hätte von nichts gewusst, und er entlarvt darin vor allem die geistigen Wegbereiter wie Martin Heidegger oder Gottfried Benn, die nach dem Krieg wieder ihre soziale Anerkennung und akademische Position behaupten konnten.

      Einen lexikalischen Eintrag über sich, in dem zu lesen war: »kritisiert die Auswüchse der Presse« hat Karl Kraus korrigiert, indem er »Auswüchse der« tilgte. Das Unwesen der Presse galt ihm ohne Unterschied als die Verallgemeinerung der Phrase, der Lüge, des Ungeistes der Zeit. Zu beachten bleibt hierbei, dass die Presse noch nicht der heutigen Gesetzgebung und den heute geltenden journalistischen Standards unterworfen war. Eine Unterscheidung zwischen redaktionellem Bericht und bezahlter Anzeige war vielfach nicht möglich. Dennoch erscheint Kraus hier gerade angesichts unserer Durchkommerzialisierung der Medien (Privatfernsehen) und deren Rolle bei der Zurichtung der Menschen auf die Zwecke der Produktion aktueller denn je.

      Viel entscheidender noch ist Kraus’ geradezu metaphysische Auffassung von Sprache. Er selbst hat sich zu einem „verbotenen Intimverhältnis“ zur Sprache bekannt. Sprache war für ihn nicht etwas, das man »beherrscht«, sondern das sich einem erschließt, eine Sphäre, in die man hineinwächst, der man zu dienen hat, und eben kein Handwerk. Seine Auffassung von