Ludwig Thoma

Der Münchner im Himmel


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      Er öffnet die Türe.

      »Universität!«

      Professor Spengler steigt ab. Der Schaffner ist ihm behilflich; er gibt acht, daß der alte Herr auf dem glatten Asphalt gut zu stehen kommt. Dann klopft er ihm wohlwollend auf die Schulter. »Soo, Herr Professa! Nur net gar z’ fleißig!«

      Er pfeift, und es geht weiter.

      Der Schaffner wendet sich nochmal an den Herrn: »Alle Tag, punkt acht Uhr, fahrt dös alte Mannderl auf d’ Universität. Nix wia lauta Weltgeschüchte!«

      In Berlin. Der Straßenwagen fährt durch den Tiergarten. Seitab werden Bäume gefällt, und es ist ein sonderbarer Anblick, mitten in der Großstadt Waldarbeit zu sehen.

      Der Schaffner wendet sich an einen Herrn, der Ähnlichkeit mit dem Kaiser hat. Die man in Norddeutschland so häufig trifft. Starkes Kinn. Habyschnurrbart.

      Der Schaffner sagt: »Das geht nun schon so vier Wochen.«

      Er deutet auf die Holzarbeiter.

      Der Doppelgänger Kaiser Wilhelms schweigt.

      »Wenn sie nur nich den ganzen Tiergarten umschlagen!« sagt der Schaffner.

      Keine Antwort.

      Der Schaffner versucht es noch einmal.

      »Den ganzen Tiergarten! Es wär’ doch jammerschade!«

      Jetzt blickt ihn der Doppelgänger Kaiser Wilhelms an; strenge und abweisend.

      Und er sagt:

      »Ich habe nicht die Absicht, mich mit Ihnen in eine Konversation einzulassen.«

      Die Ludwigstraße

       Inhaltsverzeichnis

      Eine schöne Straße, die Ludwigstraße in München. Mein Freund, der Bürgermeister, sagt, sie hätte einen monumentalen Charakter.

      Südlich die Feldherrnhalle. Die Standbilder darin sind verdeckt durch zwei dicke Flaggenstangen. Mein Freund, der Bürgermeister, sagt, in Venedig hätten sie die nämlichen.

      Weiter nördlich ein Rangierbahnhof. Belebt die Gegend großartig. Ein Motorwagen kommt an, ein Akkumulatorwagen fährt ab. Schaffner stürzen heraus, schreien, pfeifen, reißen eine Stange herum, koppeln die Wägen an. Der erste Führer läutet, der zweite läutet, alle Schaffner pfeifen. Der Zug fährt. Ein andrer kommt. Der Akkumulatorwagen kommt an. Ein Motorwagen fährt ab. Wie gesagt, sehr lebhaft. Mein Freund, der Bürgermeister, sagt, das Muster zu dem Rangierbahnhof hätte er nirgends gesehen. Ist Original. Weiter nördlich die eigentliche Ludwigstraße. Wie ein Lineal. Keine Unregelmäßigkeiten, keine Bäume; nur Fenster.

      Bei schönem Wetter ist immer die Schattenseite belebt; auf der Sonnenseite laufen die Hunde. Bei Regen ist die Straße breiig. Unangenehme Sache.

      Voriges Jahr passierte ein Unglück. Zwei Schulkinder versanken. Erstickten beide. Gab Anlaß zu Zeitungslärm und zwei Magistratssitzungen. Antrag auf Neupflasterung abgelehnt mit Hinblick auf den monumentalen Charakter der Straße.

      Vorfall sei wohl bedauerlich, – allein, hätten sie zum Beispiel auf der neuen Brücke während des Einsturzes gestanden, wären sie auch tot. Dieselbe Sache. Übrigens tatsächlicher Überfluß an Schulkindern.

      Heuer wiederholte Kalamität. Die Frau Bürgermeister überschreitet die Straße. Verliert beide Stiefel. Mußte in den Strümpfen heimgefahren werden.

      Neue Magistratssitzung. Antrag auf Asphaltierung soll Aussicht haben.

      Ende Mai komme ich an das Siegestor. Mein Freund macht mich auf einen Mann aufmerksam. Steht mitten in der Straße und zieht den Rock aus. Schaut links und rechts; kann den Rock nicht aufhängen. Kein Nagel im Siegestor eingeschlagen. Geht auf die andre Seite und hängt ihn an den Gartenzaun. Stellt sich wieder in die Straße neben einen Schubkarren. Holt eine Schaufel und Hacke heraus und legt sie sorgfältig auf den Boden.

      Greift in die Hosentaschen und sucht etwas. Schüttelt ärgerlich den Kopf und geht wieder an den Gartenzaun. Zieht aus dem Rock eine kleine Flasche und hält sie gegen die Sonne. Zieht langsam den Stöpsel heraus und schaut wieder durch. Klopft damit auf den Handrücken, bis Tabak kommt. Schnupft. Steckt die Flasche ein und kommt wieder zu dem Schubkarren. Setzt sich darauf. Merkwürdiger Kerl! Was will er mitten in der Straße? Mein Freund weiß es nicht.

      Der Mensch auf dem Schubkarren sucht wieder in seinen Taschen. Sieht uns stehen.

      »Pst!« ruft er. »Pst! Sie!«

      »Ja«, sage ich, »was gibt’s?«

      Er kommt auf uns zu. Rückt den Hut und fragt:

      »Sie, Herr Nachbar, hamm S’ a Schnellfeuer?«

      »Zündholz?« – Habe ich nicht. Gebe ihm meine Zigarre. Er brennt seinen Stummel damit an.

      Bläst den Rauch hinaus und sagt:

      »Schön’s Wetter. Wenn’s so bleibt.«

      »Jawoll. Sehr hübsch.«

      »Aba warm.«

      »Mhm, ja.«

      Er gibt mir die Zigarre zurück. Schaut mich an. Schaut meinen Freund an.

      »Die Herren san g’wiß fremd hier?«

      »Nein.«

      »Net? So? I ho mir denkt, Sie san fremd. Is schad, daß S’ net fremd san.«

      »Warum?«

      »I hätt’ Eahna die Gegend erklärt für a Maß Bier.«

      »Kennen alles selbst. Sind Münchner.«

      »So? Münchna? Sie, da san ma ja Landsleut! Vielleicht spitzen S’ a Maß?«

      Gebe ihm zwanzig Pfennig.

      Der Mensch dankt und sagt, er wolle sich Bier kaufen. Müsse Kraft haben. Viel zu arbeiten. Schweres Stück zu machen.

      Frage ihn, was er vorhabe.

      Auftrag vom Magistrat. Einen Mordsauftrag. Müsse die Ludwigstraße umgraben. Ganz umgraben. Werde asphaltiert. Der Kerl geht kopfschüttelnd weg. Holt seinen Rock auf der andern Seite. Zieht ihn an. Schreit nochmal herüber: »Dös gibt a Mordsarbeit.«

      Geht ins Wirtshaus.

      Der Kohlenwagen

       Inhaltsverzeichnis

      Ein großes, schwer beladenes Kohlenfuhrwerk fuhr auf dem Tramwaygeleise, als eben ein Wagen der elektrischen Straßenbahn daher kam.

      Der Kutscher des Kohlenfuhrwerks sagte: »Wüst, ahö, wüst«, und fuhr so langsam aus dem Geleise, als wäre die elektrische Bahn nur eine Straßenwalze.

      Er bewerkstelligte auch, daß er gerade noch mit dem hinteren Rade an den Wagen stieß. Das Rad brach, und der Kohlenwagen senkte sich krachend mitten in das Geleise.

      »Du Rammel, du g’scheerter, kannst net nausfahren?« schrie der Kondukteur.

      »Jetzt nimma, du Rindviech!« antwortete der Kutscher. Und er hatte ganz recht, denn eine Kohlenfracht kann man nicht auf drei Rädern wegbringen.

      Der Kondukteur legte dem Fuhrmanne noch einige Fragen vor. Ob er glaube, daß er das nächstemal aufpassen wolle; ob er vielleicht nicht aufpassen wolle, und ob noch ein solcher dummer Kerl Fuhrmann sei.

      Dies alles brachte den Kutscher nicht aus seiner Ruhe.

      Er stieg ab und stellte fest, daß das Rad vollständig kaputt sei. Und da er infolge dieser Tatsache die Meinung gewann, daß sein Aufenthalt von längerer