welche über diese Sache geschrieben wurden, und als sie auf diese Weise genügendes Material gesammelt hatte, trat sie selbst in den Federkrieg ein.
Sie war es, welche in einer Streitschrift den berühmten Göttinger Professor Maler so gründlich abführte.
Der treffliche, aber etwas weiberfeindliche Gelehrte behauptete, daß das Gehirn eines Weibes 500 Gramm weniger wiege als das eines Mannes.
Hierdurch, so lehrte er, sei die Minderwertigkeit des weiblichen Verstandes nachgewiesen.
Die Frauenwelt wandte sich heftig gegen diese Theorie; es entbrannte ein erbitterter Zeitungskampf.
Da veröffentlichte unsere Amalie die Entdeckung, daß das Gehirn eines normalen Kalbes noch um 900 Gramm schwerer sei als das Gehirn eines Universitätsprofessors.
Mit diesem Funde war Amalie in die erste Reihe der Kämpferinnen vorgerückt. Ihr Name wurde von allen Frauenrechtlerinnen mit Stolz genannt, sie erhielt Einladungen zu allen Versammlungen und Zweckessen; Bertha von Suttner schrieb ihr einen warmgefühlten Dankbrief, und der bekannte Münchener Nationalökonom Lujo erklärte in einer Arbeiterversammlung feierlich, daß er als Universitätsprofessor ganz besonders von dem Mettenleitnerschen System entzückt sei, um so mehr, als er auf Grund eigener Beobachtungen demselben schon längst auf der Spur gewesen sei.
Der glücklichen Entdeckerin erging es wie so vielen Anfängern, die rasche Erfolge erringen. Sie wurde von dem Strudel fortgerissen; sie fühlte das Bedürfnis, durch neue Leistungen die früheren zu überbieten, sie bohrte sich immer tiefer in Theorien ein, und zuletzt glaubte sie selbst daran.
Die gutmütig veranlagte Amalie Mettenleitner wurde eine fanatische Männerfeindin, eine schlachtenfrohe Rednerin. Ihr war nur wohl im Pulverdampf der Versammlungen. Wenn ihr die Augen der Mitkämpferinnen begeistert entgegenblitzten, wenn die Beifallssalven sie umdonnerten, dann faßte sie ein Rausch der Begeisterung, und die Worte entströmten ihrem Munde wie Gießbäche, welche über die Felsen springen. Dann stand sie hochaufgerichtet da und sprach: »Wie? Was? Die Herren der Schöpfung? Die Herren? Neihein! Niemals! Wir sind uns selbst genug und dulden keinen Tyrannen über uns! (Bravo! Bravo!) Geradeaus führt die Bahn in bessere Zeiten, auf lichte Höhen! (Bravo!) Durch! (Hurra!) Volldampf voraus, bis der Feind am Boden liegt! (Huurraa!) Ich, meine Damen, ich beuge meinen Nacken nicht unter das Joch, ich hasse die Knechtschaft, ich hasse den Mann. (Braavo! Braaavo!)«
»Mir erregt der Anblick eines männlichen Beinkleides schon Ekel, tiefen Ekel!« – (Minutenlanger Beifall.)
In ihrer siegreichen Laufbahn wurde Amalie plötzlich durch ein höchst sonderbares Ereignis aufgehalten.
Ihr Zimmernachbar, ein Photograph namens Kaspar Rohrmüller, bezeigte ihr unverhohlene Bewunderung. Als sie einmal in später Nacht wieder aus einer stürmischen Versammlung heimkehrte, fand sie in ihrem Zimmer ein Blumensträußchen; daneben lag ein Zettel mit der Inschrift: »Der großen Vorkämpferin«. Dadurch wurde sie aufmerksam auf den bescheidenen kleinen Mann mit dem großen Kopfe; sie begegnete ihm jetzt häufig. Und jedesmal traf sie ein warmer Strahl aus seinen etwas hervorstehenden Augen. Sie fühlte sich merkwürdig hingezogen. Es wurde ihr bald ein Bedürfnis, ihn zu sehen, – kurz, nach Umlauf eines Jahres gebar sie ein Knäblein, welches in der Taufe den Namen »Kaspar« erhielt.
Wer beschreibt das Erstaunen, den Zorn, die Entrüstung der Frauenrechtlerinnen?
Es war ein Schlag, von dem es kein Erholen gab! Was half es, daß man die Abtrünnige feierlich in Verruf erklärte? Den Sieg der Materie über das Ideal konnte man nicht ungeschehen machen.
Creszenz Mitterwurzer, die Vorsteherin des Vereines, ging zu der einst so verehrten Freundin und machte ihr bittere Vorwürfe.
»Wie konntest du uns das antun? Du, zu der wir emporsahen wie zu einer Heiligen? Hast du nicht einstens feierlich erklärt, daß schon der Anblick eines männlichen Beinkleides dich mit Ekel erfülle?«
– – – »Ja, ja!« antwortete Amalie weinend, »aber weißt du, damals hatte er keines an.«
Das Aquarium
»Wos is?«
Der Ton klang sehr gereizt, in dem sich der Herr Privatier Radlkoffer an die Köchin wandte. Dabei drehte er nicht einmal den Kopf nach ihr um, sondern schaute in Erwartung auf den bald fälligen Nachmittagskaffee geradeaus auf die Wandtapete, deren Muster ihm bald dieses, bald jenes fratzenhafte Gesicht vortäuschte.
»Wos is?«
»A Herr is drauß‘n…« – »Wos für a Herr?«
»Ein Jugendfreund, sagt er, is er von Ihnen…«
»A Ju-u-gendfreind!«
Eine Fülle von Mißtrauen und Abneigung klang aus der Art, wie Herr Radlkoffer das sagte.
Und er fühlte sich nun so gestört in seinem Behagen, daß er eine Viertelswendung gegen das behäbige Frauenzimmer hin machte und ihm ein sehr verdrießliches Antlitz zeigte.
»Wissen Sie, wos a Jugendfreind ist? Wissen Sie dös? Erschtens, i hab koan, Gott sei Dank, und will koan hamm, und zwoatens, a Jugendfreind is allaweil a Mensch, der was will. Verstengen S’ mi? So oana!« Er rieb den rechten Daumen am Zeigefinger. »I kenn de Jugendfreind!«
»Ja aba…«
»Wos aba?«
»Ich kann ihn doch net fortschicken… er ist ein ganz feiner Herr…«
»Fein aa no!«
»Wenn i’s Ihna sag und nacha, er is doch überhaupts so auftreten…«
»Grüaß di Good, Simmerl! Alte Gamshaut, wia geht’s da denn…?«
Der Jugendfreund hatte den Bescheid der Köchin nicht abgewartet, sondern drängte sich mit lärmender Herzlichkeit zur Türe herein.
Der Ankömmling, ein breiter Mann, nicht unähnlich seinem Jugendfreunde Radlkoffer, war wohl so gekleidet, daß er einer unerfahrenen Münchner Köchin gefallen konnte, aber ein schärferes Auge konnte an ihm Sorglosigkeiten und Schäden bemerken, die sogleich das Gegenteil von einer gesetzten Existenz verraten.
Schon daß er ein Samtjackett trug, zeigte eine gewisse unbürgerliche Schwunghaftigkeit des Empfindens, und außerdem, Samtjackette kauft man nicht selten bei Tändlern, denen sie leichtsinnige Malergehilfen und Photographen um ein Billiges lassen. Auch fehlte der zweite Knopf von unten, was trotz der flotten Art, in der sich der Flaus über der Brust wölbte, zu bemerken war.
Das Beinkleid, aus einem billigen, aber doch auffällig karierten Stoffe hergestellt, zeigte eine leise Neigung, sich unten aufzufransen.
Die Schuhe aber, diese größten Verräter des menschlichen Charakters, bewiesen vollends, daß der Jugendfreund nicht in streng behüteter Wohlbehäbigkeit dahinlebte. Das Leder zeigte Sprünge, die Absätze waren sehr stark abgetreten, und es war unschwer zu erraten, daß die Sohlen Löcher hatten. Füge ich hinzu, daß der Mensch einen vorne weit geöffneten, den Adamsapfel frei lassenden Kragen trug, um den sich eine leichtfertig gebundene Lavallièrekrawatte schlang, dann dürfte der Kenner ahnen, daß der Herr sich einem freien Berufe, wie dem des Unterhändlers, Hypothekenvermittlers, Agenten, gewidmet hatte.
Ein kaum bemerkbarer, aber eben doch bemerkbarer Rotweinflecken auf der Hemdenbrust verstärkte diese Mutmaßung, und alles in allem schien der Mann sogleich die Meinung Radlkoffers von Jugendfreundschaft zu bestätigen.
Dieser hatte sich keineswegs lebhaft von seinem Lehnstuhle erhoben und sagte in unsicherem Tone:
»I weiß net, mit wem ich die Ehre habe…«
»Jöi Ehre! Da balst net gehst!« rief der joviale Fremde ungestüm aus. »Seit wann bist denn du so g’schwoll’n, alter Bazi? Kennst vielleicht an Wimmer