Ludwig Thoma

Der Münchner im Himmel


Скачать книгу

einen halben Mäter weiter furn… und der Wogn zerschmättert mich…!«

      »Um Gattes wülln! Ferdi! Herr Kammersänger…«

      »Wann ich Ihnen sag… einen halbn Mäter… dreißig Sandimäter weiter furn und der Wogn begrabt mich unter seinen Trimmern!«

      »Aber… warum…?«

      »Ich bidd Ihnen, ich denk doch an nix… ich denk an goar nix von der Wölt! Ich schteh einfach da… mit der Baranin Nituschek und der Kanteß Mizzy Styrum… mir bladern zusammen… in diesem Aagenblick rast der Wogn ums Eck, die Schassee herunter, hier an den Schtan… an den Pröllschtan… der Peitschenschtühl schtraaft mich… wanns an eiserner Gegenstand gewesen sein möchte… wär das Schienban entzwei… «

      Ein unterdrückter Schrei.

      »Aber das wär noch das mindeste…« fuhr Guschelbauer fort, den die Teilnahme ermunterte. »Ich sag… dreißig Sandimäter weiter furn und ich bin zerquätscht… eine Laiche!… So spült der Zufall mit dem Menschenleben!«

      »Es is Leichtsinn!«

      »Oba bidde, Frau Kommerzialrätin… was hoaßt Leichtsinn? Wann ich prominier, und es fallt mir a Ziegelschtan aufn Kobf… is das Leichtsinn?«

      »Es is doch Leichtsinn. Sie gehören nicht an Orte, wo Ihnen nur das geringste widerfahren kann… Sie sind das uns schuldig, wann Sie schon gegen sich selbst gleichgieltig sein wohlen…«

      »Oba bidde…«

      Ein hochgewachsener Herr mit weißem Barte drängte sich aufgeregt durch die Menge.

      »Ferdibuberl!« rief er schon auf einige Schritte Entfernung, »ich höre, du bist verletzt…«

      »Ich? Ober nicht im geringsten… das haaßt, dieser Peitschenschtühl hat mich geschtraaft…«

      »Nicht verletzt? Wirklich nicht?« rief der elegante Greis, in dem man den Grafen Spraun erkannte… »Alsdann dem Höchsten sei Dank! Mir brachte Baron Schreydolph die Hiobspost…«

      »Beruhige dich… lieber Spraun… dasmal is es noch gnädig abgangen…«

      »Aber du wirst mit deinem unverantwortlichen Leichtsinn und Jugendmute noch…«

      »Nicht woahr… leichtsinnig!« rief die Kommerzialrätin triumphierend. »Ich habe ihm das auch gesagt. Lesen Sie ihm die Leviten, Herr Graf!«

      »Ober gerne, Gnädigste! Ferdibuberl, ich werde dir klarmachen, was du uns schuldest…«

      Umringt von Freunden und Freundinnen, die auf ihn einsprachen, entfernte sich der Kammersänger Guschelbauer…

      Die Stimmen entfernten sich…

      »Dreißig Sandimäter… weiter furn… ich bin eine Laiche…«

      »Es ist unverantwortlich…«

      »Ferdibuberl…«

      Aus dem nächsten Hause kam Doktor Sally Krotoschiner heraus und sah bestürzt, daß niemand mehr da war. Auch Mia May war fort. Hinweg mit dem Gefolge Guschelbauers.

      Und Krotoschiner hatte doch melden wollen, daß der Verunglückte schon wieder seinen Fuß ganz gut bewegen kann.

      Welcher Verunglückte?

      Nun, der Mann, der aus dem Wagen fiel und…

      Ich bidde, wer spricht davon?

      Haben Sie gehört, daß Ferdi Guschelbauer um ein Hoar unter den Hufen des Pferdes sein Leben verloren hätte? Das Publikum war erschiddert. Graf Spraun weinte. Wird Guschelbauer das Konzert absag’n?

      Aber nein! Er wird trotz allem singen…

      Tschau!

      Ich werd’s der Presse mölden gehn…

      Auf Reisen

       Inhaltsverzeichnis

      Ich fuhr nach Tirol. Das Kupee zweiter Klasse war gut besetzt. Neben mir saß ein würdig aussehender Herr mit langen Koteletten, offenbar der Gatte der beleibten Dame, welche so stark transpirierte und wie eine Moschusseife roch.

      Die drei jungen Mädchen, welche aus ihren Reisetäschchen Ansichtspostkarten hervorholten und abwechselnd Lachkrämpfe bekamen, schienen die Töchter des Ehepaares zu sein. Der Herr mit den Koteletten versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln.

      Ich muß hier eine Eigentümlichkeit meines Charakters erwähnen. Ich besitze ein überaus sanftes Temperament. Wenn mich aber im Friseurladen oder in der Eisenbahn ein Fremder anspricht, verspüre ich ein sonderbares Prickeln in der Kopfhaut. Ich begreife in solchen Augenblicken, daß es Kannibalen gibt, welche ihre Mitmenschen auseinandersägen lassen. Ja, ich beneide sie um die Macht hiezu.

      Wenn der Herr mit den Koteletten eine Ahnung gehabt hätte, wie ich in Gedanken mit jedem Gliede seines Körpers verfuhr, er würde geschwiegen haben, er würde nicht den Mut gefunden haben, mir zu erzählen, daß es warm mache und daß eine Reise im Winter verhältnismäßig angenehmer sei, weil man sich gegen Kälte viel leichter schützen könne als gegen Hitze.

      Er ahnte nichts und übersah es, daß in der Art, wie ich ihm den Zigarrenrauch in das Gesicht blies, etwas Gefahrdrohendes lag.

      Er übersah es so vollständig, daß er mir versprach, aus seinen Reiseerlebnissen Beispiele anzuführen, welche die Richtigkeit seiner Behauptung klarlegen sollten.

      In diesem Augenblicke erinnerte ich mich, daß ich meine schwergenagelten Bergschuhe angezogen hatte; ich wartete, bis er den ersten Satz seiner Erzählung begonnen hatte, und stieß ihm dann gegen das linke Schienbein, daß ihm die Augen naß wurden.

      Wenn er glaubte, daß ich mich nach seinem Befinden erkundigen würde, täuschte er sich.

      Ich verhielt mich schweigend und bemerkte mit Genugtuung, daß ihn die Roheit meines Benehmens verstimmte.

      Er wandte sich an seine Gemahlin.

      »Bei dieser Hitze hätten wir auch was Besseres tun können als reisen.«

      »Dir zuliebe können wir nicht im Winter nach Tirol fahren«, erwiderte die beleibte Dame ziemlich gereizt.

      »Tja! Aber ‘n Vergnügen is es nun gerade nich.«

      »Otto, willst du den Mädchen auch diesen Genuß verderben?«

      Die Frage klang so drohend, daß niemand gewagt hätte, sie mit »ja« zu beantworten. Der Herr mit den Koteletten auch nicht. Er setzte sich zurück, rieb das Schienbein und las die Annoncen im Berliner Lokalanzeiger.

      Vielleicht dachte er darüber nach, weshalb seine Meinungsäußerungen so geringen Beifall fanden.

      Die beleibte Dame warf ihm noch einen feindseligen Blick zu, welcher genügte, den Mann auf eine halbe Stunde totzumachen. Dann ließ sie über ihre Züge den Ausdruck mütterlichen Wohlwollens gleiten und schenkte ihre Aufmerksamkeit den Töchtern.

      »Ella, Hilde! Kinder, was habt ihr?«

      Die ältere, eine Blondine von knospendem Embonpoint, unterdrückte ihren beängstigenden Lachanfall.

      »Ach, Mama! Die Karte von Rudolf!« – »Zeig sie mal!«

      Ella reichte eine bunte Ansichtskarte herüber. Ich saß so nahe, daß ich das Bild sehen konnte. Ein dicker Student, auf einem Bierfasse sitzend, in der einen Hand die Pfeife, in der andern den Maßkrug. Die Mama las halblaut vor:

      »Ihr kneipt Natur

       In Wald und Flur;

       Ich kneipe hier

       Bei Wurst und Bier.«

      Es war schrecklich, wie die Mädchen aufs neue kichern mußten;