Tracht, die so gut zu diesen Räumen paßte, war ihm Katharina wie der Genius der Welt vorgekommen, die sich in dem alten Stifte so poetisch ausgeprägt hatte. Es lag etwas so friedlich Umgrenztes, aristokratisch Gehaltenes, Leidenschaftloses in ihrer Erscheinung, daß ihn dünkte, in ihr habe die märchenhafte Schönheit jener draußen verschollenen Welt ein neues Leben bekommen. Wenn sie vor ihm stand und die gotische Letterschrift um ein schlummerndes Ritterbild ihm deutete, wenn sie eine ihrer wunderbaren Legenden erzählte oder die krause Schrift eines alten Pergamentbuches enträtselte, um aus den melodisch klingenden Versen eine seltsame Gestalt nach der andern vor ihm aufsteigen zu lassen, dann schien es ihm, als ob diese Gebilde nicht von ihrer Phantasie aufgesucht und herbeibeschworen würden, sondern als wenn sie selber eine Schwester zu suchen kämen, die sie zurückgelassen, als ob die Engel der Legende ihre Flügel um sie schlügen, um sie als ihr Eigentum, als die Geweihte ihrer Heimat in Anspruch zu nehmen. Er sah in der weißen Binde ihrer Stirn das Zeichen eines erhabenen Priestertums; und die schwarzen Falten ihrer Ordenstracht bedeckten, glaubte er, eine Brust und ein Herz, in dem der Gedanke einer andern Zeit sich ein stilles Reich gegründet.
Und nun hatte er sie gesehen, gerade in dem Augenblicke, als seine einzige und letzte Hoffnung war, ein Asyl in diesem friedlichen Reiche zu finden – im bunten Jagdkostüm, im frivolen Aufputz, zwischen rotröckigen galonierten Kavalieren kokettierend – wie er im Zorne es nannte – um aus der unmenschlichen Hetze eines armen friedlichen Tieres Vergnügen zu schöpfen! Die Priesterbinde war von ihrer Stirn gerissen. Und doch liebte er sie mit einer Leidenschaft, die ihm jetzt erst zum Bewußtsein wurde und ihm die Entfernung und den Aufenthalt in seinem abgeschiedenen Tal oft unerträglich machte. Kein Wunder, daß aus diesen Gefühlen der Enttäuschung, des Schmerzes, des Verlangens und einer Sehnsucht, die ihn oft zu zornigen Tränen des Trotzes gegen sich selbst brachte, Gedanken, Stimmungen und »Grillen« in ihm aufstiegen, welche, wenn je, jetzt seine Tatkraft lähmten, und ihn zurückhielten in seinem abgeschiedenen Tal und seinen Träumereien!
Zweites Buch
Erstes Kapitel
»Nein, Gnaden Papa, das tu' ich durchaus nicht,« sagte Johannes.
»So laß es bleiben, Junker!« versetzte mit verbissenem Zorne Herr von Driesch, die Worte zwischen den Zähnen murmelnd. Dann stürmte er eine Weile im Zimmer auf und ab.
»Nun, so zieh' nur weiter, was du willst, mein Sohn,« sagte Herr von Driesch, plötzlich besänftigt und setzte sieh wieder, Johannes gegenüber, an den Tisch, der ein Schachbrett mit aufgestellten Figuren trug. Johannes tat einen Zug; Herr von Driesch gleich nach ihm; nun Johannes wieder, jedoch mit größerer Ruhe als sein Vater; Johannes war ein mittelmäßiger Spieler, aber es gelang ihm trotzdem, zuweilen eine Partie zu gewinnen, weil Herr v. Driesch bei all seinem feinen Spiel doch viel zu hastig war, um sich nicht bedeutende Blößen zu geben. Sah er nun, daß Johannes diese benutzte, statt irgendeinen andern Plan zu verfolgen, so war er sehr geneigt, seine väterliche Autorität ins Mittel zu legen und dem Junker den Zug anzuempfehlen, der ihm selber am vorteilhaftesten war. Johannes behauptete dagegen mit größter Standhaftigkeit, das vierte Gebot gehöre nicht ins Schachspiel, und wartete ruhig ab, bis sein Vater nach einem leichten Zornanfall sich wieder besänftigt hatte und dann desto ruhiger weiterspielte. Denn Herr von Driesch war gutmütig genug, sobald sein Zorn verraucht war, und er einen Hagel von Scheltworten über irgendein schuldloses Individuum ausgegossen hatte, sich selber für einen höchst komischen und unendlich spaßhaften Herrn zu halten und sich von ganzem Herzen auszulachen. Ihn in ein und demselben Augenblicke aufs grausamste schimpfen und in ein lautes Gelächter ausbrechen zu hören, war nichts Ungewöhnliches. Am schlimmsten war freilich mit ihm umzugehen, wenn er im Schachspiel verloren hatte; er spielte mit leidenschaftlicher Aufregung, und wurde er am Ende auf eine seinen Ehrgeiz demütigende Weise geschlagen, so war er fürchterlich.
Das Spiel dauerte fort. Johannes spekulierte schweigend; Herr v. Driesch mit den mannigfaltigsten Ausrufungen, halben Zitaten und Gedankenstrichen dazwischen: »Mach, mach, voran, du träumst, Junker; so? aha – so ziehst du – eheu fugaces – nun will ich diesen Springer auf dies schwarze Feld – quatit ungula campum – nein, diesen Turm will ich – halt – mal – quadrupedante sonitu, der Springer soll doch vor; so, nun du wieder, flink, Junge!«
»Ja, ja, Papa, nur Geduld – nur Geduld!« sagte Johannes gedehnt. Er zog. Herr von Driesch wurde stiller nach diesem Zuge; er kaute heftig an der Spitze seiner langen irdenen Pfeife, zog dann eine sehr große Wolke Rauchs auf, die er mit Lippen und Atem nachhaltig heftig von sich stieß und musterte, bald hierhin, bald dorthin das Auge aussendend, den Stand, die Hilfsquellen und die Verluste seiner Heeresmacht; sie war augenscheinlich von einer empfindlichen Schlappe bedroht, deren Abwendung alle Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart des leitenden Feldherrngenies verlangte.
»Junker, wirst du mir die Königin« – knack – die Pfeifenspitze brach zwischen seinen Zähnen ab; in einem andern Augenblicke wäre der ganze Rauchapparat nicht sicher gewesen, zur Strafe dafür an die Wand zu fahren und in tausend Stücke zu zerklirren; jetzt spuckte Herr von Driesch ganz sanft die Splitter aus und sann weiter. Er zog. Johannes zog auch und fing an, leise ein Stücklein zu pfeifen, wobei er auf der Stirne einige Hautfalten sich kräuseln ließ, die er nach Gefallen langsam in die Höhe und wieder herunterrollen lassen konnte, was die ganz unbezweifelte Anmut seines Gesichts um ein Bedeutendes erhöhte und einen Eindruck machte, als wenn ein gewisses achtbares und nützliches Geschöpf, bald das eine seiner langen Ohren vor, das andre zurück, bald jenes wieder zurück und dieses vorschlägt, was ebenso dienlich zu seinem Zeitvertreib, als passend zu einem entsprechenden Ausdruck innerer Heiterkeit sein mag.
»Schach!« sagte Johannes.
Noch ein Zug und Johannes stellte sein Pfeifen ein, stand auf, schob den Stuhl an die Wand und ging zur Tür hinaus.
Herr von Driesch sah ihm verwundert nach: »Wo willst du hin, Junker?«
Johannes antwortete nicht; als er aber draußen stand, steckte er den Kopf wieder durch die Tür und lächelte mit einem Ausdruck unendlicher Pfiffigkeit: »Gnaden Papa,« sagte er.
»Hä?«
»Matt!« rief Johannes mit Nachdruck, schlug die Tür hinter sich zu, stürzte die Treppe hinunter, um sich in Sicherheit zu bringen, und fand für gut, auf der Stelle eine kleine Tour mit dem falben Fritz ins Freie zu machen.
Die Zornausbrüche, die Herr von Driesch auf jenes Donnerwort folgen ließ, hat niemand belauscht; man konnte zwar im ganzen Hause und auch in einer nicht zu weiten Entfernung draußen ganz vernehmlich ein Rumoren hören, das aus dem Innern seiner Gemächer drang, aber die Domestiken waren daran gewöhnt und achteten nicht darauf. Als nach einer guten halben Stunde jemand in sein Zimmer trat, ging er auf und ab, eine andre Pfeife im Munde und mit den Fingern Bewegungen machend, als ob er Verse skandiere.
Dieser Eintretende war der Hausgeistliche des Gutsherrn, ein starker Mann von mittlerer Größe mit einem vollen und freundlichen Gesicht, das übrigens nichts hatte, was ein Vorurteil für oder wider seinen Besitzer erweckt hätte, wenn nicht allenfalls einen Ausdruck von Wohlwollen und Heiterkeit, der selten in seinem einfachen und ruhigen Leben getrübt sein mochte. Er hatte übrigens eine nicht gar zu angenehme Stellung bei Herrn von Driesch, der in ihm, als einem studierten Manne, fortwährend Teilnahme und Verständnis für seine gelehrten Beschäftigungen voraussetzte und in sein Gespräch allerlei Zitate, Anspielungen und Mitteilungen mischte, die der Vikarius nicht begriff, so daß er einen Bock über den andern schoß. Doch war er ein ziemlich guter Lateiner und half sich damit durch, so gut es gehen wollte; auch wußte er eine Menge »Lepider« Stücklein, wie er sich ausdrückte, zu erzählen. Seine Predigten waren dagegen nicht viel nutz und Herr von Driesch pflegte ihn, weil niemand sie anhören mochte, einen großen Kirchenleerer zu nennen.
»Da sind Kohlen im Komfort,« sagte