ich bitte Sie, gewisse Vorsichtsmaßregeln zu treffen oder mich von meiner Stellung zurücktreten zu lassen. Und das ist alles.«
»Kapitän Smollett,« begann der Doktor mit einem Lächeln, »haben Sie vielleicht mal die Fabel von dem Berg und von der Maus gehört? Sie werden freundlichst entschuldigen – aber Sie erinnern mich an diese Fabel. Als Sie in die Kajüte traten, hatten Sie mehr im Sinn – darauf würde ich meine Perücke wetten!«
»Doktor,« sagte der Kapitän, »Sie sind ein kluger Mann. Als ich eintrat, hatte ich die Absicht, meine Entlassung zu verlangen. Ich dachte nicht, daß Herr Trelawney auch nur ein Wort von mir anhören werde.«
»Das hätte ich auch nicht getan!« rief der Squire. »Wäre Livesey nicht hier gewesen, ich hätte Sie zum Kuckuck geschickt! Aber nun habe ich Sie ja einmal angehört. Ich will tun, was Sie wünschen; aber ich sage Ihnen offen: es gefällt mir nicht von Ihnen!«
»Das können Sie halten, wie Sie wollen, Herr Trelawney!« sagte der Kapitän. »Sie werden finden, daß ich meine Pflicht tue.«
Und damit empfahl er sich.
»Trelawney,« sagte der Doktor, »entgegen allen meinen Erwartungen glaube ich, es ist Ihnen gelungen, zwei ehrliche Männer an Bord zu bekommen – diesen Mann und John Silver.«
»Silver – da gebe ich Ihnen recht!« rief der Squire; »aber dieser unerträgliche Schwätzer – nein! Ich erkläre Ihnen, ich halte sein Benehmen für unmännlich, unseemännisch und geradezu unenglisch!«
»Na, wir werden sehen,« sagte der Doktor.
Als wir wieder auf Deck kamen, hatten die Leute bereits angefangen, die Waffen und das Pulver umzupacken; sie sangen bei ihrer Arbeit, und der Kapitän und Steuermann Arrow standen dabei und beaufsichtigten sie.
Die neue Anordnung war ganz nach meinem Sinne. Der ganze Schoner war umgepackt; am Stern waren sechs Kojen eingerichtet, die früher zum Schlafraum der Mannschaft gehört hatten; und diese Kojen waren mit der Kombüse und der Vorderback nur durch einen Gang an der Pfortlukenseite verbunden. Es war ursprünglich beabsichtigt worden, daß der Kapitän, Arrow, Hunter, Joyce, der Doktor und der Squire diese sechs Kojen haben sollten. Jetzt wurde bestimmt, daß Redruth und ich zwei davon bekommen sollten, während Arrow und der Kapitän auf Deck in der sogenannten Hundehütte schlafen sollten, die um soviel höher gemacht wurde, daß man sie beinahe eine Deckshütte nennen konnte. Natürlich war sie trotzdem noch sehr niedrig, aber sie bot Platz genug, um zwei Hängematten anzubringen; diese Anordnung schien auch dem Steuermann zu gefallen. Auch er hatte vielleicht seine Zweifel in bezug auf die Mannschaft gehabt; aber hierüber kann ich nur eine Vermutung aussprechen; denn wir hatten, wie man bald hören wird, nicht lange Gelegenheit, seine Ansichten zu vernehmen.
Wir waren alle tüchtig an der Arbeit, das Pulver und die Kojen an ihren neuen Platz zu bringen, als die letzten paar Leute, und mit ihnen Long John, in einem Hafenboot ankamen.
Der Koch kletterte so gewandt wie ein Affe an der Schiffswand herauf, und sobald er sah, was auf Deck vorging, rief er:
»Hoho, Jungens! was ist das?«
»Wir packen das Pulver um, Jack,« antwortete einer.
»Nanu, Gottverdammich!« rief Long John, »wenn wir das tun, versäumen wir die Morgenflut!«
»Mein Befehl!« sagte der Kapitän, kurz angebunden. »Ihr könnt hinuntergehen, mein Mann, die Mannschaft wird Abendessen nötig haben.«
»Jawoll, Herr!« antwortete der Koch, legte die Hand an den Hut und verschwand sofort nach seiner Kombüse.
»Das ist ein guter Mann, Kapitän,« sagte der Doktor.
»Sehr wahrscheinlich, Herr Doktor,« antwortete Kapitän Smollett. »Fix, Leute, fix!« rief er den Leuten zu, die das Pulver umpackten; plötzlich bemerkte er, daß ich das Drehgeschütz betrachtete, das wir mitten auf dem Deck hatten, einen langen Messing-Neunpfünder. Da rief er:
»Heda, du, Schiffsjunge! Fort da! Geh zum Koch und mach dir was zu schaffen!«
Während ich schnell nach der Kombüse lief, hörte ich ihn ganz laut zum Doktor sagen:
»Günstlinge will ich auf meinem Schiff nicht haben!«
Ich kann versichern, ich war vollständig der Meinung des Squires und haßte den Kapitän von ganzem Herzen.
Zehntes Kapitel
Die Seefahrt
Den ganzen Tag hatten wir viel zu tun, alles richtig zu verstauen; ganze Boote voll von des Squires Freunden, wie Herr Blandly und so weiter, kamen an Bord, um ihm gute Reise und baldige Heimkehr zu wünschen. Im »Admiral Benbow« hatten wir niemals an einem Abend auch nur halb soviel zu tun gehabt, und ich war hundemüde, als kurz vor der Morgendämmerung der Bootsmann pfiff und die Mannschaft an die Ankerwinde trat.
Aber wäre ich noch einmal so müde gewesen, so wäre ich doch nicht von Deck gegangen; alles war für mich so neu und merkwürdig: die kurzen Befehle, der schrille Klang der Pfeife, die Eile, womit die Leute im trüben Licht der Schiffslaternen an ihre Plätze eilten.
»Na, Barbecue, stimm’ uns ein Lied an!« rief eine Stimme.
»Das alte!« schrie ein anderer.
»Jawoll, Jungens!« sagte Long John, der mit seiner Krücke unter dem Arm dabei stand, und sofort stimmte er die Weise und die Worte an, die ich so gut kannte:
Fünfzehn Mann bei des Toten Kist’ –
und die ganze Mannschaft fiel im Chor ein:
Johoho, und ‘ne Buddel, Buddel Rum!
und beim dritten Ho! warfen sie sich mit Macht auf das Gangspill.
Trotz der Aufregung des Augenblicks fühlte ich mich im Nu wieder in den alten »Admiral Benbow« zurückversetzt; und es war mir, wie wenn ich die Stimme des Kapteins aus dem Chor heraushörte. Aber bald war der Anker über Wasser; bald hing er triefend am Bug; bald begannen die Segel sich zu blähen, und Land und Schiffe glitten zu beiden Seiten an uns vorüber; und bevor ich mich hinlegen konnte, um ein Stündchen Schlaf zu erwischen, hatte die Hispaniola ihre Fahrt nach der Schatzinsel begonnen.
Ich will diese Fahrt nicht in all ihren Einzelheiten beschreiben. Sie ging gut vonstatten, das Schiff erwies sich als ein guter Segler, die Leute waren tüchtige Matrosen, und der Kapitän verstand seine Sache. Aber bevor wir an der Schatzinsel anlegten, ereignete sich allerlei, was ich hier mitteilen muß.
Vor allen Dingen zeigte der Steuermann Arrow sich noch schlimmer, als der Kapitän gefürchtet hatte. Er hatte keine Gewalt über die Mannschaft, und die Leute sprangen mit ihm um, wie sie Lust hatten. Aber das war noch nicht einmal das schlimmste; denn kaum waren wir ein paar Tage auf See, so fing er an mit verschwommenen Augen, rotem Gesicht, stotternder Zunge und anderen Anzeichen von Betrunkenheit auf Deck zu erscheinen. Wieder und wieder wurde er mit Schimpf und Schande in seine Koje geschickt. Manchmal fiel er und verletzte sich dabei; manchmal lag er den ganzen Tag in seiner kleinen Koje an der einen Seite der Deckshütte; manchmal war er einen Tag oder sogar zwei beinahe nüchtern und versah seinen Dienst wenigstens leidlich.
Dabei konnten wir niemals herausbringen, woher er den Branntwein bekam. Es war unser Schiffsgeheimnis. Wir mochten noch so scharf aufpassen, es gelang uns nicht, dies Geheimnis aufzuklären; fragte man ihn gerade ins Gesicht, so lachte er nur, wenn er betrunken war; und wenn er nüchtern war, behauptete er feierlich, er trinke niemals einen Tropfen außer Wasser.
Er war nicht nur als Offizier nicht zu gebrauchen und übte nicht nur einen schlechten Einfluß auf die Leute aus, sondern es war auch klar, daß er bei solcher Lebensweise nicht lange mehr leben konnte; daher war kein Mensch sonderlich überrascht oder auch nur betrübt, als er in einer dunklen Nacht bei schwerem Seegang vollständig verschwand