Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke


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Mor­gen­rock und hüll­te sich frös­telnd in ein wol­le­nes Tuch. Sie moch­te frü­her das hüb­sche überz­ar­te Ge­sicht ih­rer Töch­ter ge­habt ha­ben, jetzt wa­ren die Wan­gen ein­ge­fal­len und die Haut leicht ver­gilbt. Auf­ge­braucht von Mut­ter­schaft und Haus­frau­en­tum war sie sich ih­res Rech­tes be­wusst, kränk­lich zu sein und nicht mehr viel auf ihr Äu­ße­res zu ge­ben.

      Man setz­te sich auf der Ve­ran­da zur Abend­mahl­zeit nie­der an den Tisch, über den das rote Abend­licht hin­flu­te­te und der See­wind an dem Tisch­tuch und den Ser­vi­et­ten zerr­te. Das mach­te die Ge­sell­schaft schweig­sam, so das Meer vor sich, war es, als sei man nicht al­lein, nicht un­ter sich.

      »Ich habe mir das Meer grö­ßer ge­dacht«, er­klär­te We­dig end­lich.

      »Na­tür­lich, mein Sohn«, mein­te die Ge­ne­ra­lin. »Du willst wohl für dich ein Ex­tra-Meer.«

      Frau von Butt­lär lä­chel­te ge­rührt und sag­te lei­se: »Er hat so viel Fan­ta­sie.« Fräu­lein Bork sah We­dig schief durch ih­ren Knei­fer an und mein­te: »An die Fan­ta­sie des Kin­des reicht selbst das Welt­meer nicht hin­an.«

      Das Abend­licht leg­te sich jetzt plötz­lich ganz grell­rot und un­wahr­schein­lich über den Tisch und Fräu­lein Bork schrie auf: »Seht doch!« Alle fuh­ren mit den Köp­fen her­um. An dem blass­blau­en Him­mel stan­den rie­si­ge kup­fer­ro­te Wol­ken und auf dem dun­kel­wer­den­den Meer schwamm es wie große Stücke rot­glän­zen­den Me­talls, wäh­rend die am Ufer zer­ge­hen­den Wel­len den Sand wie mit rosa Mus­selin­tü­chern über­deck­ten. We­dig blin­zel­te mit den ro­ten Wim­pern und ver­zog wie­der sein Ge­sicht, als schmerz­te es ihn. »Das ist al­ler­dings rot«, mein­te er. Die Ge­ne­ra­lin je­doch war un­zu­frie­den: »Sie ha­ben mich er­schreckt, Mal­wi­ne, Sie ha­ben eine Art, auf Na­tur­schön­hei­ten auf­merk­sam zu ma­chen, dass man je­des Mal zu­sam­men­fährt und glaubt, eine We­s­pe sit­ze ei­nem ir­gend­wo im Ge­sicht.«

      Die Mahl­zeit war zu Ende, die Mäd­chen und We­dig stell­ten sich an die Ve­randa­brüs­tung, um auf das Meer zu star­ren. Frau von Butt­lär hüll­te sich fes­ter in ihr Tuch und sprach mit lei­ser, be­sorg­ter Stim­me von ih­ren häus­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten.

      Die ge­walt­sa­men Far­ben am Him­mel er­lo­schen jäh. Die farb­lo­se Durch­sich­tig­keit der Som­mer­däm­me­rung leg­te sich über das Land und das Meer, jetzt licht­los, schi­en plötz­lich un­end­lich groß und fremd. Auch das Rau­schen war nicht mehr so ge­ord­net ein­tö­nig und takt­mä­ßig; es war, als lie­ßen sich die ein­zel­nen Wel­len­stim­men un­ter­schei­den, wie sie ein­an­der rie­fen und sich in das Wort fie­len. Klein und dun­kel hock­ten die Fi­scher­häu­ser auf den fah­len Dü­nen, hie und da er­wach­te in ih­nen ein gel­bes Licht­pünkt­chen, das kurz­sich­tig in die auf­stei­gen­de Nacht hin­ein­blin­zel­te. Auf der Ve­ran­da war es still ge­wor­den. Das selt­sa­me Ge­fühl, ganz win­zig in­mit­ten ei­ner Unend­lich­keit zu ste­hen, gab ei­nem je­den für einen Au­gen­blick einen leich­ten Schwin­del und ließ ihn stil­le­hal­ten, wie Men­schen, die zu fal­len fürch­ten.

      »Wer wohnt denn dort?« be­gann Frau von Butt­lär end­lich und wies auf ei­nes der Licht­pünkt­chen am Stran­de.

      »Das dort«, er­wi­der­te die Ge­ne­ra­lin, »das ist das Haus des Strand­wäch­ters. Eine ver­wach­se­ne Ex­zel­lenz hat sich bei ihm ein­ge­mie­tet. Du kennst ihn auch, den Ge­heim­rat Knos­pe­li­us, er ist bei der Reichs­bank et­was, er un­ter­schreibt, glau­be ich, das Pa­pier­geld.«

      Ja, Frau von Butt­lär er­in­ner­te sich sei­ner: »So ein Klei­ner mit ei­nem Bu­ckel. Recht un­heim­lich.«

      »Aber so in­ter­essant«, mein­te Fräu­lein Bork.

      »Und die an­de­ren Häu­ser?« frag­te Frau von Butt­lär wei­ter.

      »Das sind Fi­scher­häu­ser«, er­klär­te Fräu­lein Bork, »das größ­te dort ist das An­we­sen des Fi­schers War­dein und dort, ja, dort wohnt sie doch.«

      »Sie?« frag­te Frau von Butt­lär, be­un­ru­higt da­von, dass Fräu­lein Bork ihre Stim­me so ge­heim­nis­voll dämpf­te.

      »Nun ja«, flüs­ter­te Fräu­lein Bork, »sie, die Grä­fin Dora­li­ce, Dora­li­ce Köh­ne-Jas­ky, die wohnt dort mit – nun ja, sa­gen wir mit ih­rem Man­ne.« Frau von Butt­lär ver­stand noch nicht ganz.

      »Dora­li­ce Köh­ne, die Frau des Ge­sand­ten, das ist doch die, die mit dem Ma­ler – die wohnt hier, das ist ja aber schreck­lich, man kennt sich doch.«

      Doch die Ge­ne­ra­lin är­ger­te sich: »Was ist da­bei Schreck­li­ches, man hat sich ge­kannt, man kennt sich nicht mehr. Der Strand ist breit ge­nug, um an­ein­an­der vor­über­zu­ge­hen, eine frem­de Frau Grill, nichts wei­ter. Ihr Ma­ler heißt ja­wohl Hans Grill.«

      »Sind sie we­nigs­tens ver­hei­ra­tet?« klag­te Frau von Butt­lär.

      »Ja, sie sa­gen, ich weiß es nicht«, mein­te die Ge­ne­ra­lin, »das ist auch gleich. Sie wird das Meer nicht un­rein ma­chen, wenn sie dar­in ba­det. Es ist kein Grund, lie­be Bel­la, ein Ge­sicht zu ma­chen, als sei­est du und dei­ne Kin­der nun ver­lo­ren.«

      »Und er ist ein ganz ge­wöhn­li­cher Mensch«, jam­mer­te Frau von Butt­lär wei­ter.

      »Ja«, sag­te Fräu­lein Bork, sie sprach noch im­mer lei­se, aber ihre Stim­me nahm einen zärt­li­chen, fei­er­li­chen Klang an, als re­zi­tie­re sie ein Ge­dicht: »es ist trau­rig und doch wie­der in sei­ner Art schön, wie der alte Graf das Ta­lent des ar­men Schul­meis­ter­soh­nes ent­deckt, er ihn aus­bil­den lässt, wie er ihn auf das Schloss be­ruft, da­mit er die jun­ge Grä­fin malt, ja und dort – müs­sen sie sich eben lie­ben, was kön­nen sie da­für. Aber sie wol­len nicht die Heim­lich­keit und den Be­trug. Sie tre­ten zu­sam­men vor den al­ten Gra­fen hin und sa­gen: Wir lie­ben uns, wir kön­nen nicht an­ders, gib uns frei, und er, der edle Greis …«

      »Der alte Narr«, un­ter­brach sie die Ge­ne­ra­lin. »Wer sagt Ih­nen denn, dass es so ge­we­sen ist, wer ist denn da­bei ge­we­sen? Wahr­schein­lich sind nicht die bei­den zu dem Al­ten ge­kom­men, son­dern der Alte ist zu den bei­den her­ein­ge­kom­men, das sieht denn an­ders aus. Köh­ne war im­mer ein Narr. Wenn man drei­ßig Jah­re äl­ter als sei­ne Frau ist, lässt man sei­ne Frau nicht ma­len und spielt man nicht den Kunst­freund. Und die­se Dora­li­ce, ich habe ihre Mut­ter ge­kannt, eine dum­me