Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke


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er­wach­te. So war es jetzt im­mer, wenn sie sich nie­der­leg­te, schlief sie schnell und tief ein, aber lan­ge vor Son­nen­auf­gang er­wach­te sie, und es war mit dem Schlaf zu Ende. Dann lag sie da, die Arme er­ho­ben, die Hän­de auf ih­rem Schei­tel ge­fal­tet, die Au­gen weit of­fen und schau­te der graublau­en Hel­lig­keit zu, wie sie durch die weiß- und rot­ge­streif­ten Gar­di­nen in das Zim­mer drang, den Wasch­tisch, die bei­den plum­pen Stüh­le, den großen gel­ben Holz­schrank aus der Däm­me­rung her­aus­schäl­te, das Zim­mer er­hell­te, ohne es zu be­le­ben, gleich­sam ohne es zu we­cken. Und die­ses Zim­mer, klein wie eine Schiffs­ka­bi­ne, er­schi­en Dora­li­ce als et­was ganz und gar nicht zu ihr Ge­hö­ri­ges. Sie lag da wohl in dem schma­len Bett un­ter der häss­li­chen rosa Kattun­de­cke, aber sie hat­te nicht die Emp­fin­dung, als sei die­ses die Wirk­lich­keit, wirk­lich für sie war noch die Welt des Traums, aus der sie eben em­portauch­te. Jede Nacht führ­te er sie in ihr frü­he­res Le­ben zu­rück, jede Nacht muss­te sie ihr frü­he­res Le­ben wei­ter le­ben. Am bes­ten war es noch, wenn sie sich in dem al­ten Hei­mats­hau­se ih­rer frü­hen Ju­gend dort in der klei­nen Pro­vinz­stadt be­fand. Ihre Mut­ter lag wie­der auf der Cou­chet­te, hat­te Mi­grä­ne und eine Kom­pres­se von Köl­ni­schem Was­ser auf der Stirn. Sie hör­te wie­der die kla­gen­de Stim­me: »Mein Kind, wenn du ver­hei­ra­tet sein wirst und ich nicht mehr sein wer­de, dann wirst du an das, was ich dir ge­sagt habe, oft zu­rück­den­ken.« Und die­ses Wort »wenn du ver­hei­ra­tet sein wirst«, das in den Ge­sprä­chen ih­rer Mut­ter im­mer wie­der­kehr­te, gab Dora­li­ce wie­der das an­ge­neh­me, ge­heim­nis­vol­le Er­war­tungs­ge­fühl. Drau­ßen der schat­ten­lo­se Gar­ten lag gelb vom Son­nen­schein da, die lan­gen Rei­hen der Jo­han­nis­beer­bü­sche, das Beet mit den Chrysan­the­men, die fast kei­ne Blät­ter und stark ge­schwol­le­ne bron­ze­far­be­ne Her­zen hat­ten. Auf der Gar­ten­bank schlum­mer­te Miss Plum­mers. Das gute alte Ge­sicht rö­te­te sich in der Mit­tags­hit­ze. Dora­li­ce ging un­ru­hig in Kies­we­gen auf und ab, das ein­tö­ni­ge som­mer­li­che Sur­ren um sie her kam ihr wie die Stim­me der Ein­sam­keit und der Er­eig­nis­lo­sig­keit vor. Aber ge­ra­de hier in dem al­ten Gar­ten fühl­te sie es stets am deut­lichs­ten, dass dort jen­seits des Gar­ten­zau­nes eine schö­ne Welt der Er­eig­nis­se auf sie war­te­te. Sie fühl­te es kör­per­lich als selt­sa­me Un­ru­he in ih­rem Blut, sie hör­te es fast, wie wir das Stim­men­ge­wirr ei­nes Fes­tes hö­ren, vor des­sen ver­schlos­se­nen Tü­ren wir ste­hen. Nun und dann war die­se Welt ge­kom­men, in Ge­stalt des Gra­fen Köh­ne-Jas­ky, des hüb­schen äl­te­ren Herrn, der so stark nach new mown hay roch, Dora­li­ce so ver­blüf­fen­de Kom­pli­men­te mach­te und so un­ter­hal­ten­de Ge­schich­ten er­zähl­te, in de­nen stets kost­ba­re Sa­chen und schö­ne Ge­gen­den vor­ka­men. Dass Dora­li­ce ei­nes Ta­ges ihr wei­ßes Kleid mit der rosa Schär­pe an­zog, dass ihre Mut­ter sie wei­nend um­arm­te und der klei­ne kohl­schwar­ze Schnurr­bart des Gra­fen sich in ei­nem Kus­se auf ihre Stirn drück­te, war et­was, das selbst­ver­ständ­lich not­wen­dig war, et­was, auf das Mut­ter und Toch­ter ihr bis­he­ri­ges Le­ben über ge­war­tet zu ha­ben schie­nen.

      Am häu­figs­ten aber be­fand Dora­li­ce sich im Traum in dem großen Sa­lon der Dresd­ner Ge­sandt­schaft. Im­mer lag dann ein win­ter­li­ches Nach­mit­tags­licht auf dem blan­ken Par­kett. In den sü­ßen Duft der Hya­zin­then, die in den Fens­tern stan­den, misch­ten die großen Öl­bil­der an der Wand einen leich­ten Ter­pen­tin­ge­ruch. Von der an­de­ren Sei­te des Saals kam ihr Ge­mahl ihr ent­ge­gen, sehr schlank in sei­nen schwar­zen Rock ge­knüpft, die Bart­kom­mas auf der Ober­lip­pe hin­auf­ge­stri­chen. Ein we­nig zu zier­lich aber hübsch sah er aus, wie er so auf sie zu­kam, die glat­te wei­ße Stirn, die re­gel­mä­ßi­ge Nase, die lan­gen Au­gen­wim­pern. Al­lein der Traum spiel­te ein selt­sa­mes Spiel, je nä­her der Graf kam, umso äl­ter wur­de dies Ge­sicht, es welk­te, es ver­wit­ter­te zu­se­hends. Er leg­te den Arm um Dora­li­cens Tail­le, nahm ihre Hand und küss­te sie. »Schar­mant, schar­mant«, sag­te er, »wie­der eine rei­zen­de Auf­merk­sam­keit. Wir ha­ben un­se­re Aus­fahrt auf­ge­ge­ben, weil wir wuss­ten, dass der Ge­mahl heut nach­mit­tag ein Stünd­chen frei hat. Da wol­len wir ihm Ge­sell­schaft leis­ten und ihm selbst den Tee ma­chen. Gute Ehe­frau­en habe ich schon ge­nug ge­se­hen, Gott sei Dank, es gibt noch wel­che, aber ma pe­ti­te com­tes­se ist eine raf­fi­nier­te Künst­le­rin in Ehe­de­li­ka­tes­sen.« Dora­li­ce schwieg und press­te ihre Lip­pen fest auf­ein­an­der und hat­te das un­an­ge­nehm be­en­gen­de Ge­fühl, er­zo­gen zu wer­den. Na­tür­lich hat­te sie aus­fah­ren wol­len, na­tür­lich hat­te sie gar nicht ge­wusst, dass der Ge­mahl heu­te eine Stun­de frei hat­te und hat­te auch gar nicht die Ab­sicht ge­habt, ihm Ge­sell­schaft zu leis­ten. Al­lein das war sei­ne Er­zie­hungs­me­tho­de, er tat, als sei Dora­li­ce so, wie er sie woll­te. Er lob­te sie be­stän­dig für das, was er doch erst in sie hin­ein­le­gen woll­te, er zwang ihr gleich­sam eine Dora­li­ce nach sei­nem Sin­ne auf, in­dem er tat, als sei sie schon da. Hat­te sich Dora­li­ce in ei­ner Ge­sell­schaft mit ei­nem jun­gen Herrn zu gut und zu lus­tig un­ter­hal­ten, dann hieß es: »Wir sind ein we­nig viel­ver­lan­gend, ein we­nig sen­si­bel, man kann sich die Men­schen nicht im­mer aus­su­chen; aber du hast ja recht, der jun­ge Mann hat nicht ein­wand­freie Ma­nie­ren, aber so­viel es geht, wol­len wir ihn fern­hal­ten.« Oder Dora­li­ce hat­te im Thea­ter bei ei­nem Stück, das dem Gra­fen miss­fiel, zu viel und zu kind­lich ge­lacht, dann be­merk­te er beim Nach­hau­se­fah­ren: »Wir sind ein we­nig ver­stimmt: scho­kiert, wir sind ein we­nig zu streng, aber tut nichts, du hast ganz recht, es war ein Feh­ler von mir, dich in die­ses Stück zu brin­gen. Ich hät­te ma pe­ti­te com­tes­se bes­ser ken­nen sol­len, ver­gib die­ses Mal.« Und so war es in al­len Din­gen, die­se ihr auf­ge­zwun­ge­ne frem­de Dora­li­ce ty­ran­ni­sier­te sie, schüch­ter­te sie ein, be­eng­te sie wie ein Kleid, das nicht für sie ge­macht war. Was half es, dass das Le­ben um sie her oft hübsch und bunt war, dass die schö­ne Grä­fin Jas­ky ge­fei­ert wur­de, es war ja nicht sie, die das al­les ge­nie­ßen durf­te, es war stets die­se un­an­ge­neh­me pe­ti­te com­tes­se, die so sen­si­bel und so re­ser­viert war und ih­rem Ge­mahl ge­gen­über im­mer recht hat­te. Wie eine un­er­bitt­li­che Gou­ver­nan­te be­glei­te­te sie sie und ver­lei­de­te ihr al­les.

      Als der Graf Köh­ne sei­nen Ab­schied nahm, als er, wie er es nann­te, ge­stürzt wur­de, und sich ge­kränkt und schmol­lend auf sein ein­sa­mes Schloss zu­rück­zog, um sich fort­an da­mit zu be­schäf­ti­gen, die Ge­schich­te der Köh­ne-Jas­kys zu schrei­ben und me­lan­cho­lisch zu al­tern, da war es eine neue Dora­li­ce, die Dora­li­ce dort auf dem al­ten Schlos­se er­war­te­te. »Ah, ma pe­ti­te châte­lai­ne ist hier end­lich in ih­rem wah­ren Ele­men­te, stil­le, ru­hi­ge, et­was ver­träum­te Be­schäf­ti­gun­gen, der wohl­tä­ti­ge En­gel des Ge­mahls und des Gu­tes, das hat uns ge­fehlt.« Und der stil­le wohl­tä­ti­ge En­gel, der sie nun plötz­lich war, drück­te auf Dora­li­ce wie ein blei­er­nes Ge­wand.

      Da kam Hans Grill ins Schloss, um Dora­li­ce zu ma­len, Hans mit sei­nem lau­ten La­chen und sei­nen kna­ben­haft un­be­son­ne­nen Be­we­gun­gen und sei­ner un­be­son­ne­nen Art, noch al­les, was ihm durch den Kopf ging, un­ver­mit­telt und eif­rig aus­zu­spre­chen. »Ich emp­feh­le dir mei­nen Schütz­ling«, hat­te der Graf zu sei­ner Frau ge­sagt, »ge­wiss, als Ge­sell­schaf­ter kommt er nicht in Be­tracht, du hast ja ganz recht, ihn sehr à di­stan­ce zu hal­ten, aber den­noch emp­feh­le ich ihn dei­nem Wohl­wol­len.« Es be­gan­nen nun die lan­gen Sit­zun­gen in dem nach Nor­den ge­le­ge­nen