Karl Marx

Das Kapital (Alle 3 Bände)


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      Es wird fortwährend unterstellt, nicht nur daß der Wert einer Durchschnitts-Arbeitskraft konstant ist, sondern daß die von einem Kapitalisten angewandten Arbeiter auf Durchschnitts-Arbeiter reduziert sind. Es gibt Ausnahmefälle, wo der produzierte Mehrwert nicht verhältnismäßig zur Anzahl der exploitierten Arbeiter wächst, aber dann bleibt auch der Wert der Arbeitskraft nicht konstant.

      In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwert kann daher die Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des andren ersetzt werden. Wird das variable Kapital vermindert und gleichzeitig in demselben Verhältnis die Rate des Mehrwerts erhöht, so bleibt die Masse des produzierten Mehrwerts unverändert. Muß unter den frühern Annahmen der Kapitalist 100 Taler vorschießen, um 100 Arbeiter täglich zu exploitieren, und beträgt die Rate des Mehrwerts 50%, so wirft dies variable Kapital von 100 einen Mehrwert von 50 Talern ab oder von 100 x 3 Arbeitsstunden. Wird die Rate des Mehrwerts verdoppelt, oder der Arbeitstag, statt von 6 zu 9, von 6 zu 12 Stunden verlängert, so wirft das um die Hälfte verminderte variable Kapital von 50 Talern ebenfalls einen Mehrwert von 50 Talern ab oder von 50 x 6 Arbeitsstunden. Verminderung des variablen Kapitals ist also ausgleichbar durch proportionelle Erhöhung im Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder die Abnahme in der Anzahl der beschäftigten Arbeiter durch proportionelle Verlängerung des Arbeitstags. Innerhalb gewisser Grenzen wird die vom Kapital erpreßbare Zufuhr der Arbeit also unabhängig von der Arbeiterzufuhr. Umgekehrt läßt Abnahme in der Rate des Mehrwerts die Masse des produzierten Mehrwerts unverändert, wenn propotionell die Größe des variablen Kapitals oder die Anzahl der beschäftigten Arbeiter wächst.

      Indes hat der Ersatz von Arbeiteranzahl oder Größe des variablen Kapitals durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder Verlängerung des Arbeitstags unüberspringbare Schranken. Welches immer der Wert der Arbeitskraft sei, ob daher die zur Erhaltung des Arbeiters notwendige Arbeitszeit 2 oder 10 Stunden betrage, der Gesamtwert, den ein Arbeiter tagaus, tagein produzieren kann, ist immer kleiner als der Wert, worin sich 24 Arbeitsstunden vergegenständlichen, kleiner als 12 sh. oder 4 Taler, wenn dies der Geldausdruck von 24 vergegenständlichten Arbeitsstunden. Unter unsrer frühern Annahme, wonach täglich 6 Arbeitsstunden erheischt, um die Arbeitskraft selbst zu reproduzieren oder den in ihrem Ankauf vorgeschoßnen Kapitalwert zu ersetzen, produziert ein variables Kapital von 500 Talern, das 500 Arbeiter zu Mehrwertsrate von 100% oder mit zwölfstündigem Arbeitstag verwendet, täglich einen Mehrwert von 500 Talern oder 6 x 500 Arbeitsstunden. Ein Kapital von 100 Talern, das 100 Arbeiter täglich verwendet zur Mehrwertsrate von 200% oder mit 18stündigem Arbeitstag, produziert nur eine Mehrwertsmasse von 200 Talern oder 12 x 100 Arbeitsstunden. Und sein gesamtes Wertprodukt, Äquivalent des vorgeschoßnen variablen Kapitals plus Mehrwert, kann tagaus, tagein niemals die Summe von 400 Talern oder 24 x 100 Arbeitsstunden erreichen. Die absolute Schranke des durchschnittlichen Arbeitstags, der von Natur immer kleiner ist als 24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder von verringerter exploitierten Arbeiteranzahl durch erhöhten Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Dies handgreifliche zweite Gesetz ist wichtig zur Erklärung vieler Erscheinungen, entspringend aus der später zu entwickelnden Tendenz des Kapitals, die von ihm beschäftigte Arbeiteranzahl oder seinen variablen in Arbeitskraft umgesetzten Bestandteil soviel als immer möglich zu reduzieren, im Widerspruch zu seiner andren Tendenz, die möglichst große Masse von Mehrwert zu produzieren. Umgekehrt. Wächst die Masse der verwandten Arbeitskräfte oder die Größe des variablen Kapitals, aber nicht verhältnismäßig zur Abnahme in der Rate des Mehrwerts, so sinkt die Masse des produzierten Mehrwerts.

      Ein drittes Gesetz ergibt sich aus der Bestimmung der Masse des produzierten Mehrwerts durch die zwei Faktoren, Rate des Mehrwerts und Größe des vorgeschoßnen variablen Kapitals. Die Rate des Mehrwerts oder den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, und den Wert der Arbeitskraft oder die Größe der notwendigen Arbeitszeit gegeben, ist es selbstverständlich, daß, je größer das variable Kapital, desto größer die Masse des produzierten Werts und Mehrwerts. Ist die Grenze des Arbeitstags gegeben, ebenso die Grenze seines notwendigen Bestandteils, so hängt die Masse von Wert und Mehrwert, die ein einzelner Kapitalist produziert, offenbar ausschließlich ab von der Masse Arbeit, die er in Bewegung setzt. Diese aber hängt, unter den gegebnen Annahmen, ab von der Masse Arbeitskraft oder der Arbeiteranzahl, die er exploitiert, und diese Anzahl ihrerseits ist bestimmt durch die Größe des von ihm vorgeschoßnen variablen Kapitals. Bei gegebner Rate des Mehrwerts und gegebnem Wert der Arbeitskraft verhalten sich also die Massen des produzierten Mehrwerts direkt wie die Größen der vorgeschoßnen variablen Kapitale. Nun weiß man aber, daß der Kapitalist sein Kapital in zwei Teile teilt. Einen Teil legt er aus in Produktionsmitteln. Dies ist der konstante Teil seines Kapitals. Den andren Teil setzt er um in lebendige Arbeitskraft. Dieser Teil bildet sein variables Kapital. Auf Basis derselben Produktionsweise findet in verschiednen Produktionszweigen verschiedne Teilung des Kapitals in konstanten und variablen Bestandteil statt. Innerhalb desselben Produktionszweige wechselt dies Verhältnis mit wechselnder technischer Grundlage und gesellschaftlicher Kombination des Produktionsprozesses. Wie aber ein gegebnes Kapital immer zerfalle in konstanten und variablen Bestandteil, ob der letztre sich zum erstren verhalte wie 1 : 2, 1 : 10 oder 1 : x, das eben aufgestellte Gesetz wird nicht davon berührt, da früherer Analyse gemäß der Wert des konstanten Kapitals im Produktenwert zwar wiedererscheint, aber nicht in das neugebildete Wertprodukt eingeht. Um 1.000 Spinner zu verwenden, sind natürlich mehr Rohmaterialen, Spindeln usw. erheischt, als um 100 zu verwenden. Der Wert dieser zuzusetzenden Produktionsmittel aber mag steigen, fallen, unverändert bleiben, groß oder klein sein, er bleibt ohne irgendeinen Einfluß auf den Verwertungsprozeß der sie bewegenden Arbeitskräfte. Das oben konstatierte Gesetz nimmt also die Form an: Die von verschiednen Kapitalen produzierten Massen von Wert und Mehrwert verhalten sich bei gegebnem Wert und gleich großem Exploitationsgrad der Arbeitskraft direkt wie die Größen der variablen Bestandteile dieser Kapitale, d.h. ihrer in lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandteile.

      Dies Gesetz widerspricht offenbar aller auf den Augenschein gegründeten Erfahrung. Jedermann weiß, daß ein Baumwollspinner, der, die Prozentteile des angewandten Gesamtkapitals berechnet, relativ viel konstantes und wenig variables Kapital anwendet, deswegen keinen kleinren Gewinn oder Mehrwert erbeutet als ein Bäcker, der relativ viel variables und wenig konstantes Kapital in Bewegung setzt. Zur Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder, wie es vom Standpunkt der elementaren Algebra vieler Mittelglieder bedarf, um zu verstehn, daß 0/0 eine wirkliche Größe darstellen kann. Obgleich sie das Gesetz nie formuliert hat, hängt die klassische Ökonomie instinktiv daran fest, weil es eine notwendige Konsequenz des Wertgesetzes überhaupt ist. Sie sucht es durch gewaltsame Abstraktion vor den Widersprüchen der Erscheinung zu retten. Man wird später sehn, wie die Ricardosche Schule an diesem Stein des Anstoßes gestolpert ist. Die Vulgärökonomie, die "wirklich auch nichts gelernt hat", pocht hier, wie überall, auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt im Gegensatz zu Spinoza, daß "die Unwissenheit ein hinreichender Grund ist".

      Die Arbeit, die vom Gesamtkapital einer Gesellschaft tagaus, tagein in Bewegung gesetzt wird, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet werden. Ist z.B. die Zahl der Arbeiter eine Million und beträgt der Durchschnittsarbeitstag eines Arbeiters 10 Stunden, so besteht der gesellschaftliche Arbeitstag aus 10 Millionen Stunden. Bei gegebner Länge dieses Arbeitstags, seien seine Grenzen physisch oder sozial gezogen, kann die Masse des Mehrwerts nur vermehrt werden durch Vermehrung der Arbeiteranzahl, d.h. der Arbeiterbevölkerung. Das Wachstum der Bevölkrung bildet hier die mathematische Grenze für Produktion des Mehrwerts durch das gesellschaftliche Gesamtkapital. Umgekehrt. Bei gegebner Größe der Bevölkrung wird diese Grenze gebildet durch die mögliche Verlängerung des Arbeitstags. Man wird im folgenden Kapitel sehn, daß dies Gesetz nur für die bisher behandelte Form des Mehrwerts gilt.

      Aus der bisherigen Betrachtung der Produktion des Mehrwerts ergibt sich, daß nicht jede beliebige Geld- oder Wertsumme in Kapital verwandelbar, zu dieser Verwandlung vielmehr ein bestimmtes Minimum von Geld oder Tauschwert in der Hand des einzelnen Geld- oder Warenbesitzers vorausgesetzt ist. Das Minimum von variablem Kapital ist der Kostenpreis einer einzelnen Arbeitskraft, die das ganze Jahr durch, tagaus, tagein, zur Gewinnung von Mehrwert vernutzt wird. Wäre dieser Arbeiter im