Günter Dönges

Butler Parker Jubiläumsbox 6 – Kriminalroman


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Sir, könnten sich vielleicht mit Miss Morfield unterhalten. Ich hingegen möchte das Terrain sondieren. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürften die Gelben Drachen sich nicht zurückgezogen haben.«

      »Schön, sondieren Sie«, meinte der junge Anwalt. »Und wo treffen wir uns?«

      »In der Lounge des Repulse-Bays-Hotels, wenn Ihnen dieser Vorschlag genehm ist.«

      Mike Rander nickte und winkte eine Rikschah heran. Er nahm darin Platz, nannte den Zielort und ließ sich von dem eifrig losjagenden Kuli abtransportieren. Josuah Parker legte den Griff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und schritt zu Fuß hinunter zum Badestrand, der selbst nach Sonnenuntergang noch recht belebt war.

      Der Butler schritt vorbei an Bikini-Schönheiten und muskelstarken Strandlöwen. An einem Bootssteg mietete er sich ein kleines Außenborder-Boot und nahm darin Platz. Er kümmerte sich auch jetzt nicht um die ironischen und amüsierten Blicke, die ihm galten. Nun, einen recht seltsamen und skurrilen Anblick bot er schon. Er saß in einem schnittigen Motorboot und trug dazu eine Kleidung, die hier und an diesem Ort wirklich nicht angebracht war.

      Er wußte aber mit solch einem Boot umzugehen. Parker legte vom Landungssteg ab und fuhr in mäßigem Tempo hinauf auf die See. Es paßte ihm sehr gut ins Konzept, daß die Nacht überraschend schnell hereinbrach. Selbst wenn man ihn vom Bungalow beobachten wollte, reichte das Licht dazu nicht mehr aus. Ungeniert konnte er sich an die Seeseite von Jane Morefields Bungalow heranpirschen.

      Ganz kurz nur dachte er an den kleinen Lieferwagen, den er auf einem Parkplatz abgestellt hatte. Um den sichergestellten, chinesischen Gangster hatte er sich bisher aus Zeitgründen noch nicht kümmern können. Er nahm sich aber fest vor, das so bald wie möglich nachzuholen.

      Nach etwa zwanzig Minuten hatte der Butler sich geschickt an den Bootssteg des Bungalows herangeschoben. Er schaltete den Außenbordmotor ab, benutzte seinen Universal-Regenschirm als Paddel und landete dreißig Meter unterhalb des Steges am felsigen Strand. Josuah Parker machte das Boot fest und stieg aus. Ihm kam es darauf an, ungesehen auf das Grundstück zu kommen. Er wollte im Gegensatz zu seinem jungen Herrn nicht als angemeldeter Gast erscheinen …

      *

      Mike Rander war gebeten worden, in der kleinen Halle auf Miss Morefield zu warten.

      Sie war von ihrem Ausflug nach Kowloon noch nicht zurückgekommen, hatte aber angeblich angerufen und mitgeteilt, sie würde etwa gegen 22.30 Uhr eintreffen.

      Mike Rander war von einer jungen, sehr attraktiv aussehenden Chinesin empfangen worden. Sie hatte sich als Gesellschafterin und Sekretärin von Jane Morefield vorgestellt. Ihr Name war May Tai Hing, ihr Englisch ausgezeichnet. Den fein durchklingenden Klang nach zu urteilen, mußte sie sich längere Zeit an der Westküste der Staaten aufgehalten haben.

      Mike Rander wäre am liebsten aufgestanden und hätte sich im Bungalow etwas näher umgesehen. Eine unerklärliche Scheu hinderte ihn daran. Seit seinem Eintreten hatte er nämlich das untrügerische Gefühl, daß er beobachtet wurde. Nein, es war eigentlich noch mehr. Er fühlte sich belauert. Er kam sich vor wie auf einem Präsentierteller. Eine leichte Gänsehaut, die ihm über den Rücken lief, konnte er nicht unterdrücken. Er dachte an geräuschlose Wurfmesser, an Seidenschlingen, die sich um seinen Hals legen konnten, er dachte an schallgedämpfte Schüsse und an … die Gelben Drachen.

      Im Haus blieb alles unheimlich ruhig. Die Chinesin May Hing hatte sich kurz nach der Begrüßung zurückgezogen. Sie hatte sich mit Randers Erklärung zufrieden gegeben, Miss Morefields Verwandte hätten ihn in geschäftlichen und persönlichen Dingen nach Hongkong geschickt.

      Mike Rander zuckte zusammen.

      Um ein Haar hätte er sogar einen Schrei ausgestoßen, denn, wie aus dem Boden gewachsen, stand vor ihm ein breitschultriger Chinese, der ihn aus unergründlichen dunklen Augen forschend ansah. Dieser Chinese setzte einen kleinen Tisch vor Rander nieder. Auf diesem Tisch standen eine Karaffe Fruchtsaft, eine Flasche Gin und ein Syphon.

      Ohne ein Wort zu sagen, verbeugte sich der Chinese mehrmals, schritt rückwärts davon und verschwand hinter einer Tür aus Glasperlenschnüren. Rander schnappte hörbar nach Luft und genierte sich nicht, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.

      Er hatte Durst.

      Nur zu gern hätte er sich etwas erfrischt, doch er riskierte es nicht. Er hatte Angst, eingeschläfert zu werden. Zuviel von gedopten Getränken schwirrten ihm im Kopf herum. Er dachte an Opium, an Haschisch und an Drogen, die ihm als Amerikaner unbekannt waren. Er begnügte sich mit einer Zigarette, schlug die Beine übereinander und wartete geduldig. Insgeheim bedauerte er es, seinen Butler nicht mitgenommen zu haben. Parker hätte sich von dieser bedrohenden, unheimlichen Atmosphäre ganz gewiß nicht beeinflussen lassen.

      In der Halle roch es nach verbrannten Räucherstäbchen, ein süßlich, schweres Aroma, das sich auf die Lungen legte. Rander stand auf, trat an eines der beiden breiten Fenster, die einen weiten Blick auf die See gestatteten. Auf dem Wasser war schon nichts mehr zu erkennen. Die Dunkelheit verschluckte alle Einzelheiten.

      »Mr. Rander …?«

      Wie ein ertappter Dieb drehte der Anwalt sich um. Vor ihm stand die junge, mandeläugige Chinesin, die ihn höflich und distanziert ansah und lächelte. Sie hatte es verstanden, sich unhörbar zu näheren.

      »Nachrichten von Miss Morefield?« fragte Rander sofort.

      »Nein, wieso? Sie rief ja bereits an«, antwortete May Tai Hing. »Bis sie eintrifft, werden Sie sich noch etwas gedulden müssen. Wenn Sie erlauben, Sir, leiste ich Ihnen etwas Gesellschaft.«

      »Aber sehr gern.« Randers Befangenheit wich. Er wies einladend auf die Sesselgruppe unterhalb der Fenster. Arbeiten Sie schon lange für Miss Morefield?«

      »Seit drei Wochen«, gab die Chinesin zurück.

      »Darf ich einige Fragen stellen?« holte Rander nach.

      »Hoffentlich kann ich sie beantworten«, gab May Tai Hing zurück.

      »Meine Fragen bestimmt«, sagte Rander lächelnd. »Sind Sie darüber informiert worden, daß Miss Morefield ihren Vermögensverwalter aus den Staaten erwartete?«

      »Davon ist mir nichts bekannt.«

      »Wüßten Sie davon, wenn es so wäre?«

      »Selbstverständlich. Ich erledige alle Post.«

      »Ich möchte annehmen, daß Sie einen ruhigen Job haben, oder? Viel wird’s doch nicht sein, was an geschäftlichen Dingen zu erledigen ist, oder?«

      »Ich glaube, da irren Sie sich, Mr. Rander. Es gibt sogar sehr viel zu tun.«

      »Soll das heißen, daß Miss Morefield sich hier geschäftlich betätigt?«

      »Natürlich. Miss Morefield ist doch Teilhaberin einer Kleiderfabrikation Sie wissen das nicht?«

      May Tai Hing sah Mike Rander mißtrauisch und abschätzend an. Sie wunderte sich, daß der Anwalt nicht orientiert war.

      »Ich hatte keine Ahnung«, räumte Rander ein. »Kleiderfabrikation? Wie heißt denn die Firma? Oder ist das ein Geheimnis?«

      »Keinesfalls. Die Firma ist bei der Handelskammer registriert und sehr aktiv. Miss Morefield hat einen Aufsichtsratsposten übernommen. Sie beabsichtigt, Damenkleider chinesischen Zuschnitts drüben in den Staaten populär zu machen.«

      »Und der Name dieser Firma?«

      »Hongkong Silk and Cotton Company. Ich möchte privat dazu sagen, Sir, daß Miss Morefield gut gewählt hat.«

      »Oh, jetzt verstehe ich, warum Sie seit drei Wochen nichts mehr von sich hören ließ. Ihre Verwandten in den Staaten waren sehr beunruhigt.«

      »Sind Sie deswegen geschickt worden, Sir?«

      »Und wegen der Geldabhebungen.«

      »O ja, ich weiß. Miss Morefield brauchte natürlich Betriebskapital. Darf ich eine Gegenfrage stellen?«