doch die alleinige Erbin des Familienvermögens.«
»Das stimmt.«
»Wieso kümmern sich dann die Verwandten darum, was sie mit ihrem Geld tut? Woher wissen die Verwandten, welche Kontenbewegungen vorgenommen werden?«
»Eine verflixt treffende Frage«, antwortete Mike Rander. »Um ehrlich zu sein, Miss May, darauf kann ich nicht antworten.«
»Die Verwandten fürchten wohl, Miss Morefield könne erpreßt werden, nicht wahr?«
»Jetzt treffen Sie den Nagel auf den Kopf. Sagen Sie, Miss May, woher stammt Ihr ausgezeichnetes Englisch?«
»Ich habe in Los Angeles ein College besucht und längere Zeit in Florida gelebt.«
»Sie kennen Miss Morefield von früher her?«
»Nein, ich lernte sie hier in Hongkong kennen. Um Ihren Verdacht zu zerstreuen, Mr. Rander, Miss Morefield wird weder erpreßt noch gefangengehalten. Lassen Sie es sich von ihr selbst sagen.«
»Klingt alles recht gut«, gestand Mike Rander. »Nur gibt es da einige Dinge, die nicht in das allgemeine Bild passen.«
Sie antwortete nicht, sondern sah ihn nur fragend an.
»Der Vermögensverwalter, Mr. Larry Crofton, wurde gleich nach der Landung seiner Maschine ermordet«, redete der junge Anwalt weiter. »Mein Butler und ich wurden vor das Ultimatum gestellt, bis morgen Hongkong zu verlassen. Einigen Leuten hier in Hongkong scheint es nicht zu passen, daß wir uns mit Miss Morefield in Verbindung setzen wollten und noch immer wollen.«
»Wer sollte Sie denn bedroht haben?« fragte May Tai Hing erstaunt.
»Die Gelben Drachen, falls Sie von dieser Gang schon mal gehört haben.«
May Tai Hing stand abrupt auf. Sie war sehr überrascht. Der Hinweis auf die Gelben Drachen schien ihr Angst und Entsetzen einzuflößen.
»Was ist?« fragte Rander und stand ebenfalls auf.
»Ich glaube, ich habe Miss Morefields Wagen gehört«, schwindelte die attraktive Chinesin mit der gertenschlanken Figur. Bevor Mike Rander diesen Irrtum richtigstellen konnte, trippelte sie mit schnellen, kleinen Schritten auf den Glasperlenvorhang zu und verschwand hinter ihm.
Rander wollte ihr folgen, doch als er den Vorhang erreicht hatte, versperrte der muskulöse und gedrungene Chinese ihm den Weg. Er breitete nur seine Arme aus und schüttelte den Kopf.
Rander wollte es nicht auf einen Kampf ankommen lassen. Er ging zurück zum Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Mit dem gerade Gehörten konnte er noch nichts anfangen. Daß ihn aber Geheimnisse und Gefahr umgaben, stand für ihn fest.
»Mr. Rander …?«
Der Anwalt fluchte in sich hinein.
Wieder hatte er nichts gehört. Die dicken Teppiche auf dem Boden verschluckten jeden Schritt. Miss May Tai Hing stand wieder vor ihm. Ihr Gesicht war maskenhaft starr.
»Miss Morefield hat gerade angerufen«, sagte sie mit etwas hastiger Stimme. »Sie bittet Sie, nicht zu warten. Sie möchten telefonisch einen Termin mit ihr vereinbaren. Sie erwartet morgen Ihren Anruf und zwar bis gegen Mittag.«
»Sie haben gerade mit Miss Morefield gesprochen?« gab Rander ungläubig zurück.
»Wie ich sagte, sollen Sie einen Termin mit Miss Morefield vereinbaren«, wiederholte die Chinesin noch mal. »Der Hausdiener wird Sie zur Tür bringen.«
May Tai hing klatschte in die Hände. Der Vorhang aus Glasperlenschnüren teilte sich, der vierschrötige, muskelbepackte Chinese trat höflich und devot näher. Unter vielen Verbeugungen brachte er Mike Rander an die Tür.
Rausgeschmissen, sagte sich Rander. Zum Teufel, was mag sich in diesem Bau abspielen. Ich möchte fast wetten, daß Jane Morefield längst zu Hause ist.
Er ging durch den weiträumigen Vorgarten, der betörend nach Blüten duftete. Der feine Kies knirschte unter seinen Schuhen. Im aufkommenden Wind einer Brise raschelten die Blätter. Von weither waren die Rhythmen einer modernen Tanzkapelle zu hören.
Der Anwalt hatte das niedrige Gartentor noch nicht ganz erreicht, als er ein seltsames Geräusch hörte, das einem unterdrückten, gequälten Aufschrei glich.
Rander blieb sofort stehen.
Hatte er sich nur getäuscht? Sollten ihm die aufgepeitschten Sinne einen üblen Streich gespielt haben?
Nein …! Da war wieder dieser seltsame Aufschrei. Eiskalt rieselte es ihm über den Rücken. Er war jetzt sicher, daß eine Frau geschrien haben mußte.
Spontan wollte er sich umdrehen und zurück zum Haus gehen.
Da teilte sich das Strauchwerk dicht neben ihm. Im schwachen Mondlicht war die gedrungene Gestalt des Chinesen zu erkennen. Der Mann schüttelte nur schweigend den Kopf und wies auf das Gartentor.
Mike Rander verzichtete auf alle Fragen.
Er ging, aber er dachte gerade in diesem Augenblick sehr intensiv an seinen Butler Josuah Parker …
So spontan Josuah Parker auch zu handeln pflegte, wenn er sich zu irgendeinem Schritt erst mal entschlossen hatte und ihn ausführte, dann traf er alle Vorkehrungen, um jede Peinlichkeit im voraus auszuschalten.
Nach seinem geglückten Landeunternehmen inspizierte er zunächst den Bootssteg, an dem das schnell und schnittig aussehende Motorboot festgemacht war. Es handelte sich um einen Kajütenkreuzer, dessen Twin-Außenborder leicht zugänglich waren. Es handelte sich um starke Evinrude-Motoren, die sehr schnelle Fahrt versprachen.
Das Boot war leer.
Der Butler dachte selbstverständlich sofort daran, diese beiden Motoren unbrauchbar zu machen. Für den Fall einer hastigen Fahrt wollte er auf dem Wasser nicht unnötig belästigt werden.
Jeder andere Mensch hätte nun an den Motoren herummanipuliert und vielleicht die Vergaser oder Benzinleitungen zerstört. Parker dachte anders. Was er auch immer tat, es mußte einen besonderen Pfiff haben. Er legte stets Wert darauf, daß seine Gegner immer mehr oder weniger liebevoll an ihn zurückdachten.
Er benötigte einige Minuten, bis er das gefunden hatte, wonach ihm der Sinn stand. Er interessierte sich für eine Kabeltrommel, die er in der Nähe des kleinen Bootshauses fand. Wahrscheinlich war eine telefonische Verbindung vom Bootshaus hinauf zum Bungalow geplant und noch nicht fertiggestellt worden.
Der Butler spulte ein gutes Stück Kabel ab und befestigte es geschickt und gekonnt an dem Haltegestänge der beiden Außenbordmotoren. Er spulte das Kabel weiter ab und band es an dem Eisengeländer der steilen Treppe fest, die hinauf zum Bungalow führte. Natürlich sorgte er dafür, daß das Kabel viel Spielraum erhielt. Um eine gewisse Zerreißfestigkeit zu erzielen, legte er einen zweiten und dritten Kabelstrang aus. Er richtete alles so ein, daß das Motorboot durchaus normal gestartet und vom Steg weggebracht werden konnte. Nach etwa fünfzig Metern aber strammte sich dieses dreifache Kabel und zeigte das Bestreben, das davonpreschende Boot festzuhalten. Was dann passierte, konnte sich der Butler leicht ausrechnen. Dazu gehörte wirklich keine große Phantasie.
Nach dieser Montagearbeit schritt Josuah Parker würdevoll hinauf zum Bungalow. Was ihn dort erwartete, wußte er nicht. Innerlich erwartete er allerdings Überraschungen. Schließlich war nicht umsonst der Versuch unternommen worden, sie auf der Hinfahrt nach Repulse-Bay mit Maschinenpistolen zu begrüßen.
Parker hatte das Ende der langen und steilen Treppe noch nicht erreicht, als er plötzlich einen Schrei hörte, der die Nacht wie ein scharfes Messer durchschnitt.
Parker fühlte sich sofort für seinen jungen Herrn verantwortlich. War er angegriffen worden? Mußte er sich mit den Gelben Drachen auseinandersetzen? Der Butler pfiff auf seine Würde, jagte den Rest der Steinstufen hinauf und erreichte einen weiträumigen, sehr gepflegten Garten, in dem sich das Mondlicht niedergelassen hatte.
Bis auf ein Fenster war die Rückseite des Bungalows unbeleuchtet.
Parker