die Angreifer, die sich nur auf ihre Muskeln und auf ihre Übermacht verließen.
Innerhalb weniger Sekunden segelten einige Chinesen hoch durch die Luft und knallten krachend gegen dünne Ölpapierwände. Andere wieder blieben keuchend und angeschlagen auf dem schmutzigen Boden liegen. Mike Rander arbeitete sich warm. Bisher war er noch nicht in die Versuchung gekommen, seine Schußwaffe zu ziehen.
Als dann aber einige Messerklingen aufblitzten, griff er rasch zu diesem letzten Mittel. Er feuerte zwei Warnschüsse dicht über die Köpfe der noch auf den Beinen stehenden Angreifer und verschaffte sich damit Respekt. Dann drückte Rander sich vom harten Lehmboden ab und verschwand mit einem Hechtsprung in einem Hauseingang.
Mit dem Fuß schmetterte er die leichte Tür zu. Die ihm nachrennenden Gegner wurden für weitere Sekunden aufgehalten. Rander hetzte durch den langen düsteren Korridor des Hauses und bremste vor einer Treppe, die steil nach oben führte. Unter dieser Treppe führte eine andere Steintreppe hinunter in die Kellerräume.
Ein süßlich-muffiger Geruch schlug ihm entgegen. Instinktiv entschied Rander sich für die nach oben führende Holztreppe, hastete hinauf und hörte dann hinter sich bereits die schrillen Zurufe seiner Verfolger.
Die ersten Wurfmesser schwirrten durch die Luft. Sie waren erstaunlich und bestürzend genau geschleudert worden. Sie surrten an seinem Kopf und Körper vorbei und blieben in den Holzwänden stecken.
Rander nahm sich nicht die Zeit, einen dritten Warnschuß abzufeuern. Dazu hätte er einen Moment stehenbleiben müssen. Damit hätte er den Messerwerfern ein zu gutes Ziel geboten.
Rander schwitzte aus allen Poren. Er landete im ersten Stock, sah vor sich einen langen Korridor und setzte seine Flucht fort. Überrascht blieb er auf einem kleinen Balkon stehen. Hier endete seine Flucht.
Mike Rander schätzte die Entfernung zum nächsten Haus ab.
Es mußte gehen …!
Mit den Füßen trat er das zierliche Geländer aus dem Boden, nahm einen Anlauf und … segelte für Bruchteile von Sekunden durch die Luft. Er landete sicher. Seine Hände umklammerten das Geländer eines Balkons, der bereits zum nächsten Haus gehörte. Rander schwang sich über die Brüstung, warf sich mit der Schulter gegen eine leichte Tür und fiel förmlich in einen Raum hinein, in dem Schreibmaschinen klapperten.
Zwei mit Sommeranzügen gekleidete Chinesen sprangen von ihren Arbeitstischen hoch und sahen Rander wie eine schreckliche Erscheinung an.
»Sehr heiß heute, nicht wahr?« redete Rander die beiden Chinesen an, nickte grüßend und stieß eine Tür des Büros auf. Er ließ zwei total verwirrte Chinesen zurück, die gar nicht ahnten, wie nahe sie vor einem Krampf ihrer Kinnladen standen.
Mike Rander ging höflich grüßend durch weitere Büros, fand ein Treppenhaus und beeilte sich, hinunter auf die Straße zu kommen. Noch war die Gefahr ja nicht gebannt. Noch wußte er nicht, ob die Gelben Drachen die Verfolgung aufgegeben hatten.
Der Anwalt landete in einem engen Hof, in dem ein motorisiertes Rikschah stand. Er schwang sich in den harten Sattel dieser Fortbewegungsmaschine, brachte den kleinen Zweitaktmotor in Gang und rauschte knatternd hinaus auf die Straße. Er ließ seinen Zeigefinger auf dem Knopf der schrillen Hupe und kariolte lautstark und verwegen durch eine mit Menschen dicht gefüllte Straße.
Schrille Warnrufe bahnten ihm eine Gasse. Die Chinesen hatten bemerkt, daß ein Weißer sich als Rikschahfahrer betätigte. Sie trauten seinen Fahrkünsten nur wenig und zogen es vor, sich schleunigst in Sicherheit zu bringen.
Knatternd, eine blau-weiße Auspuff-Fahne hinter sich lassend, erreichte Mike Rander endlich die Gloucester Road, jene breite Uferstraße, die die Piers und Hafenanlagen miteinander verbindet.
Mike Rander war gerettet. Daran gab es jetzt keinen Zweifel mehr. Es war ihm gelungen, die Gelben Drachen abzuschütteln.
Er war nur teilweise froh darüber.
Er dachte an Josuah Parker, den er zurückgelassen hatte, über dessen Schicksal er nichts wußte.
Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, schnellstens zu helfen. Doch dazu mußte er noch mal zurück in die Hölle, der er gerade erst entronnen war …
*
»Für Ihren Butler sehe ich schwarz«, sagte Inspektor McParish eine halbe Stunde später. Zusammen mit Sergeant Noreland und einigen chinesischen Polizeibeamten war er von Mike Rander vor das Haus geführt worden, das Parker betreten hatte. Mike Rander hatte den Inspektor alarmiert. Allein hätte er ja doch nichts ausrichten können.
»Sie meinen …?« Mike Rander brach seinen Satz ab. Er scheute sich, ihn zu beenden. McParish wußte aber auch so, was der junge Anwalt gemeint hatte.
»Ich will gar nichts sagen«, antwortete er. »Ich weiß nicht, wie die Gelben Drachen reagieren werden. Machen Sie sich nur keine zu großen Hoffnungen. Diese Burschen sind mit anderen Maßstäben zu messen als Gangster drüben in den Staaten.«
»Wir sind ihnen glatt in die Falle gegangen«, berichtete Rander. »Parker hat sich die Taxis genau angesehen. Er rechnete mit der Möglichkeit, daß wir reingelegt werden sollten.«
»Sie sehen ja, trotz aller Vorsicht sind Sie an einen Gelben Drachen geraten, Rander. Verdammt, hätten Sie sich doch an meinen Rat gehalten und Hongkong verlassen!«
Bevor Mike Rander darauf antworten konnte, teilte McParish seine Leute ein. Sie schwärmten aus und durchsuchten das Haus. Rander und McParish blieben neben dem dunklen Dienstwagen des Inspektors stehen.
Mike Rander hatte endlich Zeit, auch von seinen wilden Erlebnissen zu berichten. McParish schüttelte wiederholt den Kopf.
»Sagenhaft, daß Sie entwischen konnten«, meinte er schließlich. »Sehen wir uns doch mal das Haus an, durch das sie flüchteten. Vielleicht findet sich dort eine brauchbare Spur.«
Mike Rander sollte sein blaues Wunder erleben.
Er führte den Inspektor in die schmale Seitengasse und deutete auf den Bau, in den er sich hineingerettet hatte.
»Hier bin ich überfallen worden«, sagte er und sah sich suchend um. »Komisch, ich vermisse nur die geplatzten Wände aus Ölpapier. Ich hatte einige Drachen dort hineinbefördert.«
»Nichts zu sehen«, meinte McParish. »Alle Papierwände sind vollkommen in Ordnung.«
»Ich weiß, daß es diese Gasse gewesen ist«, behauptete Mike Rander. »Gehen wir doch hinauf. In der ersten Etage habe ich die Brüstung eines kleinen Balkons eingetreten und bin von dort aus ins Nachbarhaus gesprungen.«
»Schön, sehen wir uns den Balkon aus der Nähe an«, stimmte McParish zu. Das Haus war leer, als sie durch den langen, düsteren Korridor schritten. Von Meter zu Meter wurde Rander sicherer, daß er sich im Haus unmöglich geirrt haben konnte. Und dort war ja auch schon der Niedergang zum Keller. Es roch muffig-süß.
»Irrtum ausgeschlossen«, sagte er hastig zu McParish. »Ich erkenne jede Einzelheit, McParish. Gehen wir rauf zum Balkon!«
Knapp drei Minuten später zweifelte Mike Rander an seinem Verstand. Er stand auf dem Balkon, von dem aus er sich gerettet hatte. Doch die Holzbrüstung war vollkommen intakt. Sie schien niemals eingetreten worden zu sein.
»Ich bin doch nicht verrückt«, schnaufte Rander erregt. »Ich schwöre einen Eid darauf, daß es dieser Balkon gewesen ist.«
»Vollkommen intakt«, meinte McParish. Er beugte sich nieder und untersuchte das Holzwerk. Nach einigen Sekunden richtete er sich wieder auf. Er grinste verhalten.
»Sie brauchen an Ihrem Verstand nicht zu zweifeln«, beruhigte er den Anwalt. »Die Holzbrüstung ist frisch verleimt worden. Man hat alles wieder in Ordnung gebracht.«
»Und warum in dieser rasenden Eile?«
»Man will jede Spur verwischen. Alter chinesischer Trick. Wenn uns Zeugen an irgendeinen Tatort führen, sind alle Spuren beseitigt. Diese Chinesen arbeiten ungewöhnlich schnell,