Günter Dönges

Butler Parker Jubiläumsbox 6 – Kriminalroman


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      Die zweite Möglichkeit war ihm wesentlich sympathischer.

      Er kannte den Bungalow, wußte, wo er zu finden war. Die Kleiderfabrik hingegen mußte er erst noch suchen. Dabei konnte unter Umständen viel zuviel Zeit verlorengehen.

      Blieb also die Repulse-Bay.

      Damit tat Mike Rander leider genau das, was sich später als falsch und zeitraubend erweisen sollte …

      *

      Parker schritt ungehindert die Kellertreppe hoch.

      Er war übrigens nicht mehr der Butler, der korrekt gekleidet zu sein pflegte. Aus Gründen der Tarnung hatte der Butler sich einen weiten Arbeitskittel übergestreift. Die steife schwarze Melone verlieh ihm ein festes, dickes Aussehen. Parker hatte sie unter den Kittel gesteckt und auch seinen Universal-Regenschirm verborgen. Er wollte nicht vorzeitig erkannt werden.

      Sein Trick wirkte.

      Als er die steile Kellertreppe hinter sich gebracht hatte, landete er in einem Raum, der augenscheinlich als Stofflager diente. Auf langen Wandregalen stapelten sich Stoffballen. Es roch nach Staub und nach frischen Druckfarben.

      Parker blieb in Deckung des freistehenden Mittelregals und sondierte die Lage. An der Stirnseite des Raumes befand sich eine zweiflügelige Tür aus Stahlblech. Sie war nur angelehnt. Was sich dahinter befand, konnte der Butler von seinem Standort aus nicht genau erkennen.

      Durch die Oberlichter des Magazins fiel nur noch wenig Licht. Nach Parkers Rechnung mußte die Nacht bald hereinbrechen. Er hielt das für äußerst günstig, um sich abzusetzen.

      Auf Zehenspitzen pirschte er sich an die Tür heran, öffnete sie vorsichtig.

      Er sah in einen langgestreckten, niedrigen Raum hinein, in dem Arbeitstisch hinter Arbeitstisch stand. Bei näherem Hinsehen erkannte der Butler Nähmaschinen, die alle durchweg einen recht angestaubten Eindruck auf ihn machten. Hier schien schon seit geraumer Zeit nicht mehr gearbeitet zu werden.

      Es lag auf der Hand, daß Parker sich in den Arbeitsräumen der »Hongkong Silk an Cotton Company« befand, jener Firma also, der Miss Jane Morefield als Teilhaberin beigetreten war. Diese Firma schien darüber hinaus so etwas wie das Hauptquartier der Gelben Drachen zu sein. Beweise dafür hatte Parker allerdings noch nicht in der Hand.

      Josuah Parker schlüpfte in den langen Saal hinein, trat an eines der niedrigen, dick verglasten Fenster und spähte nach draußen. Er sah in einen engen, schmutzigen Hinterhof, der mit Unrat und Kisten vollgestopft war. Menschen konnte er nicht entdecken.

      Es war eine trügerische Ruhe, wie Parker empfand. Er konnte sich nicht vorstellen, daß ihn nur vier Chinesen bewacht hatten. In diesem Bau mußten sich noch weitere Komplicen befinden. Wo sie sich aufhielten, mußte er erst noch herausfinden.

      Langsam schritt er auf die nächste Tür zu, hinter der Licht schimmerte. Im Näherkommen hörte er das typische Klappern der Mah-jong-Steine. Parker verzichtete in Anbetracht der Lage auf seine sonst übliche Diskretion und beugte seinen Kopf zum Schlüsselloch herunter.

      Was er sah, wirkte nicht gerade ermunternd auf ihn. Hinter der Tür waren im schmalen Ausschnitt des Schlüssellochs etwa vier Männer zu erkennen. Sekunden später waren es sechs Chinesen, die die Plätze austauschten. Es roch nach dem Rauch billiger, strohiger Zigaretten, es roch nach warmem Reisschnaps und nach billigem Fusel.

      Als nüchterner Beurteiler der Lage kam der Butler zu dem Schluß, daß ihm dieser Ausweg verschlossenblieb. Selbst er mit seinen Tricks hätte sich gegen eine Übermacht von sechs Gegnern kaum durchsetzen können. Es war schon richtig, eines der Fenster zu benutzen und hinunter in den Hinterhof zu steigen.

      Parker erlebte eine grausame Enttäuschung.

      Alle Fenster – er hatte vorher nicht darauf geachtet – waren fest vergittert. Um den Nähsaal zu verlassen, mußte er durch den Vorraum, eine andere Lösung bot sich ihm nicht …

      Parker besaß einen Colt.

      Er hätte damit einen wilden Feuerzauber veranstalten können. Er hätte mit gezielten Schüssen seine Gegner außer Gefecht setzen können. Das Überraschungsmoment befand sich auf seiner Seite. Er hätte mit einem durchschlagenden Erfolg rechnen können.

      Doch Parker dachte nicht eine Sekunde lang an solch eine Lösung. Blutvergießen war ihm verhaßt, selbst wenn er es mit brutalen Gangstern zu tun hatte. Er begnügte sich stets damit, seine Gegner mit List und Tricks zur Strecke zu bringen. Das Urteil über sie war dann Sache der zuständigen Richter. Als Henker hatte Josuah Parker sich noch niemals wohl gefühlt.

      Selbst in dieser Lage, in der es doch um sein Leben ging, ließ er sich etwas einfallen.

      Er erinnerte sich der Modellbüsten, die am Ende der stillgelegten Fabrikationsbänder standen. Parker ging auf leisen Sohlen zurück in den Saal und besorgte sich einige Ballen Stoff. Schnell und geschickt drapierte er die Stoffbahnen und verwandelte die Modellbüsten in menschenähnliche Gebilde. Er schuf sich so eine Privatarmee von wenigstens sechs Kämpfern, die alle nur den Nachteil hatten, daß sie nicht lebten, sondern nur auf Dreibeinen standen.

      Parker verteilte seine Einsatzgruppe. Er gruppierte sie an der Tür zum Stofflager und verband sie untereinander mit Zwirnsfäden, die er ja in reichlicher Menge vorfand. Diese Fäden mündeten in einen dicken Strang, den der Butler in der linken Hand festhielt.

      Nach diesen erbaulichen Vorbereitungen ging er hinter einer Nähmaschine in Deckung und stieß einige gekonnte, schrille Schreie aus. Gleichzeitig feuerte er einen Lockschuß ab.

      Der Erfolg war frappierend …!

      Die Chinesen im Vorraum glaubten sofort an einen Überfall, an einen Ausbruchsversuch. Sie unterbrachen augenblicklich ihr Mah-Wong-Spiel und stürzten zur Tür. Als sie sie aufgedrückt hatten, feuerte der Butler den zweiten Schuß ab, der im niedrigen Raum wie die Detonation einer Granate wirkte.

      Die Chinesen fühlten sich angegriffen. Sie sahen im Halbdunkel die Silhouette der von Parker eingekleideten Modellpuppen und reagierten sehr nachdrücklich.

      Sie schossen zurück.

      Teils von der Gewalt der Einschläge, teils von Parker niedergerissen, fielen die wehrlosen und harmlosen Gegner zur Seite. Von der Tür aus mußte es so aussehen, als hätten sie Deckung genommen.

      Die Chinesen, von einem feisten Burschen kommandiert, gingen zum konzentrischen Gegenangriff über und arbeiteten sich an die Modellpuppen heran. Sie achteten nicht weiter auf die Tür.

      Parker aber verlor sie nicht aus den Augen.

      Er wartete, bis der Weg endgültig frei war. Dann schlüpfte er in den Aufenthaltsraum der Gelben Drachen und entledigte sich hier seiner unwürdigen Maskerade. Er fühlte sich erst dann wieder wohl, als er sich die schwarze steife Melone auf den Kopf setzen konnte. Er hängte sich den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und schritt würdevoll von dannen.

      Sein Weg führte ihn durch Glasverschläge, die vormals als Büros oder Ateliers gedient haben mochten. Jetzt hatte sich hier der Staub fingerdick abgelagert. Parker hielt sich an die Fußspuren auf dem Boden. Sie wiesen ihm den genauen Weg. Nach wenigen Minuten schon befand er sich auf einer schräg nach unten führenden Rampe.

      Von hier aus hatte er einen wunderbaren Blick auf ein kleines Hafenbecken, das mit Dschunken und Hausbooten dicht gefüllt war. Ein atemberaubender Geruch von Schlick, Schlamm, Unrat, faulen Fischen, von menschlichen Ausdünstungen und von brackigem Salzwasser schlug ihm entgegen.

      Parker hatte leider nicht genügend Zeit, um das alles richtig auf sich einwirken zu lassen. Im Haus hörte er das Lärmen und Toben der aufgebrachten Chinesen, die inzwischen wohl ihren Irrtum eingesehen hatten. Sie waren auf dem Weg, um Parker doch noch einzufangen.

      Josuah Parker ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Ihn interessierte die Rampe, die hinunter zu einem Kai führte und dicht vor der steil ins Wasser abfallenden Kaimauer endete.

      Sein stets wacher Geist erkannte neue Möglichkeiten, zumal