Jakob Wassermann

Deutsche Charaktere und Begebenheiten


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       Jakob Wassermann

      Deutsche Charaktere und Begebenheiten

      Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020

       [email protected]

      EAN 4064066118549

       Vorwort

       Szene zwischen Friedrich dem Großen und Ziethen

       Böttiger

       Moritz von Sachsen

       Wallenstein

       Leonhard Thurneyßer

       Danckelmann

       Kaiser Rudolf II. und sein Hof

       Hochzeit Fräulein Reginens, Herrin von Tschernembel, mit Herrn Reichard Strein, Freiherrn zu Schwarzenau, am 24. September 1581

       Friedrich Wilhelm I. von Preußen

       Joachim Nettelbeck

       Christian Holzwart

       Karl August von Weimar

       Werke von Jakob Wassermann

       S. Fischer, Verlag, Berlin

      Vorwort

       Inhaltsverzeichnis

      Die folgende Zusammenstellung deutscher Schicksale und Ereignisse ist zum größten Teil bereits vor drei Jahren abgeschlossen gewesen, ich hatte aber die Veröffentlichung in dem Gefühl verschoben, daß ein solches Buch mehr als ein anderes von einem Bedürfnis gefordert werden müsse. Der gegenwärtige Krieg, den wir Deutsche als einen Nationalkrieg empfinden, macht es zur Pflicht, in der Erinnerung des Volkes die Bilder einiger seiner merkwürdigsten Männer wachzurufen. Es kam darauf an, das festzuhalten, was im allgemein Gültigen zugleich das begrenzteste Persönliche gibt; darum mußte ich den ursprünglichen Plan des Werkes verändern und diejenigen Lebensbeschreibungen, Erzählungen und Anekdoten entfernen, die mehr Romanhaftes und Interessantes hatten als Exemplarisches, mehr äußeren Bezug als inneren, mehr Oberfläche als Gehalt. Die Darstellung ist nicht die meine, sie ist zumeist wörtlich die der Historiker und der Quellen, die im Inhaltsverzeichnis namentlich angeführt werden; ich habe das Material übernommen, wie es sich bot, mit keinem andern Maßstab messend, als mit dem der fühl- und spürbaren Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, nur nach dem Gesichtspunkt ordnend, den ein natürlicher Überblick ergab. Den außerordentlichen Schicksalen, dient nur das Wort treu ihrem Verlauf, wohnt soviel Überzeugungskraft von selber inne, daß Stilkünste sie nur verschleiern und verzerren können, und wenn irgendwo, gilt hier der Feuerbachsche Ausspruch: Stil ist die Weglassung des Unwesentlichen. Es ist dieselbe Prozedur, die von der Geschichte, der Überlieferung in den meisten Fällen so gesetzmäßig und methodisch besorgt wird, wie von einem Strom, der alles trübe Gemengsel und unreinen Stoffe alsbald an die Ufer schwemmt oder auf den Grund sinken läßt.

      Ich habe es auch unterlassen, zwischen den losen Stücken durch Ausdeutung oder Betrachtung künstliche Brücken herzustellen; das Gemeinsame liegt in ihrem Geist und Wesen, die scheinbare Willkür in der Wahl kann sich nur auf einen Zwang der Phantasie berufen, die Entscheidung gab allein ihre deutsche Herkunft und deutsche Beschaffenheit.

      Unabweisbar drängt sich hier die Frage auf: Was ist ein deutscher Charakter, was ist ein deutsches Schicksal, was ist ein deutsches Ereignis?

      Spreche ich vom Deutschen schlechthin, so postuliere ich eine Gestalt, die aus der Erfahrung gezogen und zur Idee gesteigert ist; als solche schließt sie eine Summe von Eigenschaften in sich, welche sowohl dem Wesen des Volkes als Ganzes zukommen, als auch dem uns überlieferten Bilde repräsentativer Männer entsprechen. Den Maßstab hierzu liefert mir das lebendige und fließende Element der Geschichte. Indem sie mir eine zergliederte, beseelte Nachricht über das Ereignis gibt, wie auch über die Personen, die in ihm eine Rolle gespielt haben, erlaubt sie mir zugleich, Ereignis und Figur zu deuten, in freier Betrachtung zu erweitern und zu verallgemeinern. Das Gesetz begreifen, das Schicksal fühlen, die auf dem von der Menschheit bisher beschrittenen Weg gewaltet haben, ist das einzige Mittel, die Wege ihrer Zukunft wenigstens flüchtig und ahnend zu erleuchten.

      In diesem Sinne hat man vom deutschen Charakter zu reden und ihn als ein Umgrenztes und Unterscheidendes zu erklären. Es wäre nicht einmal notwendig, auf Stammeseigentümlichkeiten zu verweisen, auf ausgebildete und in jeder Landschaft anders geartete Merkmale der Sprache, auf die Landschaftsformen selbst, auf die wechselnden Lebensbedingungen, das größere oder geringere Maß von Freiheit, von Wohlfahrt, von Begünstigungen, die die Natur gewährt oder die durch vornehmliche Kraft, Tapferkeit, durch Fleiß oder Glück erworben wurden; man kann in einem so reichen, ja unendlich scheinenden Organismus, wie es eine Nation ist, eine unendliche Vielfalt und Variabilität der Lebenskristallisationen feststellen, und doch wird die Nation in ihrer Gesamtheit gegen eine andere, sei es auch benachbarte, sogar verwandte Nation ein völlig verschiedenes Lebens- und Wesensbild zeigen. Es eignet eben jeder Nation, genau wie jedem einzelnen, ihr besonderes Fundament, ihre besondere Willenskraft, ihre besonderen Ziele, und in der Zusammenfassung erleidet sie jenes Schicksal, zu dem ihr Charakter den Grund legt.

      Der Deutsche ward nicht in einem Garten geboren, die Natur hat ihn nicht verschwenderisch beschenkt. Die Berichte aus der Vorzeit erzählen schon von dem rauhen Klima und der Kargheit des Landes, das seine Bewohner zu unermüdlicher Arbeit aufforderte und durch Überfluß nicht verwöhnte. Seitdem ist die Erde williger geworden, die Atmosphäre milder, aber die Fülle oder nur die unerwartete Gabe hat der Bauer nie erfahren, der Gärtner, der Obstzüchter nie; genau nach dem Maß seines Tuns ward ihm gelohnt.

      Das Leben des Urvolks war gewiß dem Kindheitszustand aller andern Völker ähnlich; an den Grenzen finden die Feinde nur wenig natürliche Hindernisse; kriegerische Horden, von Osten und Westen her eindringend, zerstampfen die Saaten, verwüsten die Siedlungen; kann der Aufruf des Fürsten Bewaffnete genug erreichen und sammeln, so zieht er dem Bedroher entgegen und stellt ihn in freier Feldschlacht; ist er zu solchem Unternehmen zu schwach, so verschanzen sich die Mannen in ihren festen Plätzen. Immerhin mußte der Deutsche als Bewohner des Herzlands Europas mehr als andre drauf gefaßt sein, daß alles, was er baute und schuf, was er säte und sparte, was er liebte und schmückte, seine Bäume und sein Vieh, sein Heim und seine Kinder, sein Land und alle Werke darin, die Beute von schweifenden Eroberern wurde.

      Aber da eine feste politische Grenze nicht vorhanden war, konnte jeder Nachbar jederzeit zum Gegner, der Freund von gestern zum Feind von morgen