Im Friaul.
Als der Schnee schon in die Berge zurückgewichen war, Lenzsonnenschein auf den Höhen, junge Wanderlust im Herzen lag, da brachte mir eine Briefschwalbe aus dem Süden unerwartete Botschaft: eine herzliche Einladung meines Onkel – Direktor Johannes Heers in Monfalcone – zu einem längeren Aufenthalte am Golfe von Triest.
Ich las das freundliche Schreiben und jenes stille Heimweh nach dem sonnigen Süden, das Goethe mit seinen Mignon-Liedern uns Nordlandssöhnen nun einmal in die Brust gedichtet hat, brach durch; die schöne Süderde stand verführerisch vor meiner Seele: »Du hast Ferien, Junge, du hast etwas Kleingeld, du hast vor Jahren eine italienische Schulgrammatik durchgearbeitet, es fehlt dir nicht an Wandermut, geh und sieh dir den Garten unter den südlichen Alpenkämmen, die lombardischen Städte, die Meerkönigin, das wundersame Venedig, an und halte dann Wanderrast in Monfalcone, der kleinen Stadt am Golfrund von Triest.«
Vierzehn Tage später flog ich durch den Gotthardtunnel. In Lugano und auf seinem herrlichen See bot ich im Geist Willkomm dem Lande ewigen Lenzes und sonniger Kunst, dem Land dunkler Weine und dunkler Frauen; in Lecco, wo die »Promessi sposi« in Liebesträumen gewandelt, fing ich an zu wandern die Kreuz und die Quer; in Verona ließ ich mir den Palast der Capulet und hinter einem Krautgarten das legendäre Grabmal Juliens zeigen, und vierzehn Tage nach meiner Abreise stand ich auf dem Markusplatz zu Venedig.
»La mia bella Venezia!« Es war am dritten Tag meines dortigen Aufenthaltes, das schöne Venedig hatte mich gewaltig reisemüde gemacht, und ein feiner, trostloser Regen rieselte in die Lagune; da war mir die märchenschöne Stadt in tiefster Seele verleidet. Wenn man sie im Glanz des vollen Mondes gesehen hat, gibt's nichts Traurigeres, als Venedig bei Regenwetter; es ist dann wirklich nichts mehr als die Totenstadt der erschlagenen Republik.
Ich atmete auf, als der Nachmittagszug Venedig-Triest die lange Brücke gegen Mestre hinüberdonnerte; ich hatte sogar nicht viel dagegen, daß in Treviso eine italienische Arbeiterkolonie, die hinaus nach Graz oder Wien wollte, lärmend und singend den Rest der Plätze besetzte und mich mit ihren Reisesäcken einpferchte. Der Regen floß in Strömen auf die im ersten, zarten Laubkleid prangende Tiefebene des östlichen Venetiens.
Als wir ein paar Stunden gefahren, hielt der Zug plötzlich im freien Feld still; der Lärm der Italiener wurde noch größer; so viele Köpfe als unter den Wagenfenstern Platz hatten, reckten sich in den Regen hinaus. »Addio, carissima patria, addio, addio!« schrien die braunen Männer, schwenkten ihre roten Sacktücher, und ein blutjunger Bursche, der zum erstenmal von Vater und Mutter gegangen, zerdrückte eine Träne im Auge.
Wir standen auf der Brücke des Judrio, auf der diesseitigen Grenztafel war das italienische Kreuz, auf der jenseitigen der österreichische Doppeladler.
Eine Minute Halt, als Reverenz gegen die habsburgische Monarchie – die Lokomotive schrillte, und ein Weilchen später waren wir in Cormons. Wagenwechsel – Gepäckrevision – dann sank melancholisch die Nacht herein; die Italiener wurden stiller und stiller; der Zug brauste die öden Hügellehnen, welche die julischen Alpen als Brustwehr gegen die Tiefebene hinausstellen, entlang und donnerte über die Isonzobrücke, während bergeinwärts ein Lichtfunkeln im Tal die Lage der Stadt Görz verriet.
Der Schaffner schrie sein schnarrendes »Gorizia« – dann »Rubbia-Savogna – Zagrado – Ronchi« und endlich – meine Ungeduld