doch legt sie an dem flachen Strand von Monfalcone weite Meergebiete bloß.
Dann eilen halb entblößte Weiber und Kinder, einen Sack am Rücken, ein Netz in der Hand, auf die Sandbänke, waten weit hinein in die zurückweichende Flut und sammeln ihre »frutti di mare.«
Es braucht den Mut dieser Strandläufer, immer frisch und keck in den krabbelnden Quark von Seespinnen, Krebsen, Strahltieren und Mollusken, zwischen denen sich wohl auch etwa ein Wasserschlänglein verfängt, hineinzugreifen.
Der Golf von Monfalcone muß übrigens, sowohl was die Artenmenge, als die Farbenschönheit der Seetiere betrifft, als das am meisten durch Süßwasser geschwängerte Becken dieses Meeres, von den südlichen Gebieten desselben zurücktreten; doch schon bei Grado, einer kleinen Insel wenige Stunden mittäglich von Monfalcone, prangt das Meer mit vielen farbenprächtigen Muschelgebilden.
Dagegen ist der Golf von Monfalcone sehr fischreich, und es bilden die Fischer ein wesentliches Element der monfalconesischen Bevölkerung.
Wie oft bin ich im Morgenschein oder in der Abendglut hinausgefahren mit den braunen Männern, die Netze zu ziehen oder neu zu legen! Es war mir immer wohl bei den treuherzigen, einfachen Naturmenschen, welche den italienischen Volkscharakter von einer andern, bedeutend bessern Seite offenbaren als der schlaue Handelsmann oder Wirt und die unverschämten Ciceroni zu Venedig. Viele dieser Fischer haben ein schönes Stück Welt gesehen, denn sie haben bei der Marine gedient und wissen von den griechischen Inseln, von da und dort, wo österreichische Kriegsschiffe kreuzen, zu erzählen. Bei ihrer Arbeit singen sie ihre fulanischen Weisen und keine häufiger als jene, worin der mit dem Sturm ringende Schiffer seines Liebchens gedenkt:
»Il mar' è turpido E la barquetta pendole E nome tei è tendere Ch'è amic' sola me.«
Sie leben höchst einfach, diese wetterharten, tiefbraunen Fischer, die zuweilen mehrere Tage zur See bleiben. Ein schmaler, gedeckter Raum der Barke ist dann Stube, Küche und Schlafkammer zugleich, wo das Weib den Mais und die Meerfrüchte abkocht, ihren Kleinsten säugt und pflegt, und das Meer denselben in Schlummer wiegt, ihn sturm- und sonnenhart macht, den zukünftigen adriatischen Seemann.
Keiner der Fischer ist selbständig. Entweder hängen sie von einem Händler ab, oder stehen im Dienst eines Unternehmers, so daß dann nicht einmal die Barke, auf der sie fahren, ihr Eigentum ist. Bezahlt werden sie durch einen kleinen Anteil an der Beute. Darum achtet kein Mensch ein Stück Kleingeld so hoch wie sie.
Neben den Fischerflottillen, welche aus dem Porto Rosega in die Gewässer der obern Adria ausschwärmen, beleben wohl auch einige Lastschiffe den Hafenkanal; allein denkt man an jene Zeiten zurück, da die großen Handelskarawanen und Fuhrwerke, welche fast den ganzen Warentransport nach Kärnten und bis ins Tirol hinein besorgten, hier ihren Ausgang nahmen, Monfalcone ein berühmter Stapelplatz war, dann kann allerdings das Leben, das sich in der Gegenwart hier bewegt, nur als ein Abglanz von demjenigen früherer Tage erscheinen.
Wenn man vom Porto Rosega südwärts wandert, so kommt man in ein seltsames Strandgebiet, wo der Meersand, nur von Salzpflanzen und sauren Gräsern durchwuchert, einen stundenbreiten Gürtel zwischen Meer und Campagna bildet, eine stille Landschaft, über welche die melancholische Poesie der Steppe schwebt.
Da und selbst weit in den angrenzenden Campagnen ist für den Menschen keine bleibende Stätte, schwingt die Malaria ihre Geißel. Wachthäuser haben hier ihretwegen von den Zollwächtern, Pächterhütten von den Bauern verlassen werden müssen; ja auch an den Insassen weit vom Meer abliegender Gehöfte kann man noch den Einfluß des Sumpffiebers, aufgetriebene Leiber und blasse Gesichter, sehen.
Die Sonne brütet über den Sandsümpfen; salziges und süßes Wasser, von denen eines die Organismen des andern tötet, fließen ineinander und werden zum fortwährenden Fäulnisherd.
Das Seegeflügel hat die Herrschaft, die der Mensch nicht aufrecht halten konnte, übernommen, und König über seine Vasallen, den Storch, den wilden Schwan, den Kranich und Reiher, ist der Seeadler, der im Blau des Äthers seine einsamen Bahnen zieht.
Nur der Zollwächter und der nächtliche Schmuggler haben ihre Wege in diesem traurigen Gebiet; doch es ist wie überall: Die Hüter des Gesetzes sind immer da, wo die Übertreter nicht sind. Wenigstens hört man selten von einem größern Fang, es sei denn, man halte ein furlanisches Weibchen, das in seinen großen Schuhen ein Kilogramm Kaffeebohnen aus der Freihafenstadt Triest etliche Stunden weit schleppt, dafür.
In der Tat ist der Beruf eines »Finanzers« ein undankbarer; denn keine Verletzung hat im Volke einen solchen Rückhalt wie der Schmuggel und keine Beamten sind so verachtet wie die »doganieri«; ich aber, der ich kein Interesse hatte, ihnen gram zu sein, habe im Zollhaus am Porto Rosega hin und wieder gern Rast gehalten.
Westlich von diesem öden Sandstrich beginnen jene üppigen Campagnen des untern Friauls, die sich fortsetzen in die Lombardei, bis hinüber zu den Seealpen.
Die meisten Touristen schelten sie langweilig, und fast tödlich langweilig mögen sie für den Fußwanderer sein, der ihre schnurgeraden, endlosen, staubigen Straßen geht. Eine Spazierfahrt in offener Kalesche und am kühlen Abend hinaus in diese unabsehbare, leuchtende Pflanzenüppigkeit, die Wald und Feld und Garten zugleich ist, in der man Richtung und Himmelsgegend wie auf dem offenen Meer verliert, habe ich immer angenehm gefunden.
Es ist wahr, wenn ich nichts sah als die offenen Weiten, das grenzenlose Grün, dann suchte ich fast ängstlich nach den Stützen des Firmaments. Am Horizont des Nordens standen dann weiße Schimmer. – Waren es Wolken – waren es Schneeberge? Ich konnte im Zweifel sein.
Soweit der Blick des Auges reicht, ziehen sich längs der Ackerfurchen in zierlichen Reihen die Maulbeerbäume; und von Maulbeerbaum zu Ulme, von Ulme zu Kirschbaum, vom Kirschbaum zum Feldahorn, von diesem zum Maulbeerbaum schlingen sich, in die Baumkronen geheftet, die Rebenguirlanden, während das zarte Grün des jungen Maiskorns, das zweimal im Jahr den Erntesegen liefert, oder der mächtig in die Halme schießende Weizen die Felder deckt.
Durch dieses üppige Landschaftsbild schlängelt sich halbwegs zwischen Monfalcone und Aquileja das blaue, breite Stromband des Isonzo, über welchen die Straße mit einer halbkilometerlangen Holzbrücke setzt.
Wie alles in diesem Lande, so hat auch dieser Fluß seine Geschichte und zwar eine Geschichte in der geschichtlichen Zeit. Er ist der jüngste Strom Europas und kaum über vierhundert Jahre alt, während der Natisso, jener schiffbare Strom, der, wie die römischen Schriftsteller melden, an den Mauern Aquilejas vorüberfloß, verschwunden ist und durch jene Gegend jetzt nur ein seichtes Küstenwässerchen schleicht.
Seltsamer Weise melden die mittelalterlichen Schriften kaum etwas, wie aus dem Natisso der Isonzo entstand. Man weiß nur, daß ums Jahr 580 während eines vollen Monats Wolkenbrüche, welche das ganze Landschaftsbild umformten, über das Friaul niedergingen, so daß die Leute glaubten, die zweite Sündflut sei gekommen.
In dieser bösen Zeit, so glaubt man, habe der Natisso, durch einen Bergsturz in den julischen Alpen aus seinem Bette gedrängt, seinen Oberlauf, in den späteren Jahrhunderten immer mehr durch das Tiefland ostwärts vagierend, seinen Unterlauf geändert und am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts endlich diejenige Gestalt angenommen, mit der er dem Wanderer jetzt als Isonzo entgegentritt.
Zwei Jahrtausende schon entzückt das Friaul – so bezeugt es Herodian, der Geschichtsschreiber des zweiten Jahrhunderts – den Fremden durch eine Üppigkeit, welche nur derjenigen der Lombardei zu vergleichen ist; zwei Jahrtausende aber ist der Bauer auch ein armer, enterbter Mann geblieben.
Die mächtigen Latifundienbesitzer des Altertums und die Landbarone der Gegenwart, der bäuerliche Proletarier der Vergangenheit und der Colono des gegenwärtigen Jahrhunderts, die Gegensätze prahlenden Lebensgenusses und unsäglichen Darbens, sie sind anderthalb Jahrtausenden christlicher Entwicklung zum Trotz dieselben geblieben.
Mit seiner Zeit und seiner Kraft, mit allem und jeglichem steht der Colono in der Schuld seines Herrn. Nach altem Herkommen sichert der Pachtvertrag dem Gutsbesitzer zwei Drittel vom Laub der Maulbeerbäume, zwei Drittel vom Wein und vom