Schütze auf der Jagd, aber er war im Pistolenschießen nicht geübt. Der junge Graf warf sich in einen Sessel neben dem Kamin, griff zur Feuerzange und stocherte so wütend die Holzbrände durcheinander, daß Anastasies schönes Gesicht tief bekümmert wurde. Die junge Frau wandte sich zu Eugen und warf ihm einen kaltfragenden Blick zu, der besagte: »Warum gehen Sie nicht?« und auf den ein wohlerzogener Mensch sofort mit Abschiedsphrasen antwortet. Eugen versuchte, sich angenehm zu machen und sagte: »Madame, ich habe mich beeilt, Ihnen meine Aufwartung zu machen …«
Er strahlte plötzlich. Eine Tür öffnete sich, und der Lenker des Tilburys erschien. Er trat ohne Hut ein, warf Eugen einen prüfenden Blick zu und reichte Maxime die Hand, indem er ihm, für Eugen sehr überraschend, brüderlich guten Tag wünschte. Die jungen Leute aus der Provinz wissen ja nicht, wie reizvoll ein Leben zu dreien ist.
»Monsieur de Restaud«, sagte die Gräfin, indem sie Eugen ihrem Gatten vorstellte. Eugen verneigte sich tief. Die Gräfin, die ihre Vorstellung beendete, sagte zu ihrem Gatten: »Herr von Rastignac ist ein Verwandter der Vicomtesse de Beauséant, durch die Marcillacs. Ich hatte das Vergnügen, ihn auf dem letzten Ball der Madame de Beauséant anzutreffen.«
Die Worte, »durch die Marcillacs mit der Vicomtesse de Beauséant verwandt«, hatte die Gräfin beinahe mit Pathos ausgesprochen, mit dem Stolz, den die Dame des Hauses empfindet, die nur Personen aus ersten Kreisen bei sich empfängt. Sie hatten eine magische Wirkung. Der Graf gab seine kalte zeremonielle Art auf und begrüßte den Studenten. –
»Ich bin erfreut, mein Herr«, sagte er, »Ihre Bekanntschaft machen zu können.«
Selbst Maxime de Trailles warf einen unruhigen Blick auf Eugen und gab seine unverschämte Haltung auf. Die Wirkung der Wünschelrute, die in diesem Falle ein bloßer Name war, öffnete dreißig Fächer im Gehirn des Mannes aus dem Süden und erinnerte ihn wieder an all die geistreichen Bemerkungen, auf die er sich vorbereitet hatte. Ein plötzliches Licht ließ ihn klar die Atmosphäre der hohen Pariser Gesellschaft durchblicken, die ihm bisher noch dunkel geblieben war. Das Haus Vauquer und der Vater Goriot lagen weit hinter ihm zurück.
»Ich dachte, die Marcillacs wären ausgestorben«, wandte sich Comte de Restaud an Eugen.
»Sie haben recht«, erwiderte dieser. »Mein Großonkel, der Chevalier de Rastignac, hat die letzte Erbin der Familie de Marcillac geheiratet. Aus der Ehe entstammte nur eine Tochter, die den Marschall de Clarimbault geheiratet hat, den Großvater mütterlicherseits der Madame de Beauséant. Wir sind der jüngere Zweig, und wir sind um so ärmer, als mein Großonkel, der Vizeadmiral, alles im Dienste des Königs verloren hat. Die Revolutionsregierung wollte unsere Forderungen bei der Liquidation der Ostindischen Handelsgesellschaft nicht anerkennen.«
»Hat Ihr Herr Großonkel nicht vor 1789 den ›Vengeur‹ kommandiert?«
»Allerdings.«
»Dann muß er meinen Großvater gekannt haben, der Kommandeur des ›Warwick‹ war.«
Maxime zuckte leicht die Schultern und sah Madame de Restaud an, als wenn er zu ihr sagen wollte: »Wenn er mit dem da über die Marine spricht, so sind wir verloren.« Anastasie verstand seinen Blick. Mit der wunderbaren Sicherheit, über die die Frauen verfügen, sagte sie lächelnd zu ihm:
»Kommen Sie, Maxime, ich habe Sie etwas zu fragen. Meine Herren, Sie können ruhig weiter auf dem ›Warwick‹ und auf dem ›Vengeur‹ umhersegeln.«
Sie erhob sich, winkte Maxime mit spöttischem Lächeln und begab sich mit ihm zum Boudoir. Kaum hatte das morganatische Paar (nach diesem schönen Ausdruck, den man französisch nicht wiedergeben kann) die Tür erreicht, als der Graf seine Unterhaltung abbrach.
»Anastasie, bleib doch, meine Liebe«, rief er ärgerlich. »Du weißt recht gut, daß …«
»Ich komme schon, ich komme schon«, unterbrach sie ihn, »nur einen Augenblick, ich muß Maxime einen Auftrag erteilen.«
Sie kam in der Tat bald zurück. Wie alle Frauen, die auf die Stimmung ihres Mannes Rücksicht nehmen müssen, wenn sie ihren Neigungen nachleben wollen, und die daher genau wissen, wie weit sie gehen können, ohne dieses kostbare Vertrauen zu verlieren, hatte die Gräfin am Klang der Stimme des Grafen erkannt, daß es gefährlich sei, im Boudoir zu bleiben. Dieses Pech verdankte sie Eugen. Daher wies sie mit ärgerlicher Geste auf den Studenten, um Maxime zu bedeuten, wen die Schuld träfe.
Maxime sagte darauf ziemlich bissig zum Grafen, seiner Gattin und Eugen:
»Ich sehe, Sie haben wichtige Dinge zu besprechen, ich will nicht länger stören. Adieu.«
Er ging hinaus.
»Bleiben Sie doch, Maxime!« rief der Graf.
»Kommen Sie zum Essen«, sagte die Gräfin, die Eugen und den Grafen noch einmal verließ und Maxime in den ersten Salon folgte, wo sie zusammen so lange blieben, bis sie glauben konnten, daß Herr de Restaud Eugen verabschieden würde.
Rastignac hörte, wie sie abwechselnd lachten, plauderten und dann wieder schwiegen. Aber dieser tückische Student spielte gegenüber Herrn de Restaud den Geistreichen, schmeichelte ihm und verwickelte ihn in Diskussionen, um die Gräfin noch einmal zu sehen und zu erfahren, in welchen Beziehungen sie zum Vater Goriot stehe. Diese Frau, die offenbar in Maxime verliebt war, die ihren Gatten beherrschte und die durch heimliche Fäden mit dem alten Nudelfabrikanten verbunden war, schien ihm ein wahres Rätsel zu sein. Er wollte dieses Rätsel lösen und hoffte so über diese Frau, diese echte Pariserin, herrschen zu können.
»Anastasie«, rief der Graf erneut.
»Also, mein armer Maxime«, sagte sie zu dem jungen Mann, »es hilft nichts, auf heute abend.«
»Ich hoffe, Nasie«, flüsterte er ihr ins Ohr, »daß Sie diesen jungen Mann, dessen Augen sich wie Kohlen entzündeten, als Ihr Peignoir sich öffnete, in Zukunft abweisen werden. Er könnte Ihnen Erklärungen machen, Sie kompromittieren, und so würden Sie mich zwingen, ihn zu töten.«
»Sind Sie toll?« sagte sie. »Diese kleinen Studenten sind im Gegenteil ausgezeichnete Blitzableiter. Ich werde Restaud ein wenig gegen ihn aufhetzen.«
Maxime brach in Lachen aus und verließ, gefolgt von der Gräfin, das Zimmer. Sie ging ans Fenster, um zuzusehen, wie er in den Wagen stieg, wobei er sein Pferd tänzeln ließ und lebhaft die Peitsche schwenkte. Erst als das große Portal geschlossen war, kam sie zurück.
»Hören Sie bloß«, rief ihr der Graf zu, als sie eintrat, »meine Teure, die Besitzung der Familie des Herrn liegt nicht weit von Verteuil, an der Charente. Der Großonkel des Herrn Rastignac und mein Großvater waren Bekannte.«
»Wie nett, daß wir so viele gemeinsame Bekannte haben«, sagte die Gräfin zerstreut.
»Mehr als man glaubt«, erwiderte Eugen leise.
»Wie meinen Sie das?« fragte sie lebhaft.
»Nun«, entgegnete der Student, »ich sah eben, wie ein Herr Ihr Haus verließ, mit dem ich Tür an Tür in derselben Pension zusammen wohne, der Vater Goriot.«
Bei diesem Namen, der noch durch den Zusatz »Vater« geschmückt wurde, warf der Graf, der am Kamin herumschürfte, die Zange ins Feuer, als wenn sie ihm die Hände verbrenne, und stand auf.
»Mein Herr, Sie hätten wenigstens ›Herr Goriot‹ sagen können«, rief er.
Die Gräfin erblaßte zuerst, als sie die Erregung ihres Gatten sah, aber dann errötete sie und war augenscheinlich verwirrt. Sie erwiderte mit einer Stimme, die natürlich sein sollte und der sie vergebens einen leichten Ton zu geben suchte:
»Wir kennen keinen Menschen, den wir mehr lieben.«
Sie unterbrach sich, sah auf ihr Piano, und wie in plötzlicher Laune fragte sie:
»Lieben Sie die Musik, mein Herr?«
»Sehr«, erwiderte Eugen, der rot geworden war und durch die unbestimmte Idee verwirrt wurde, daß er eine große Dummheit gemacht habe.
»Singen Sie?« rief sie, trat an das Klavier und fuhr heftig über die Tasten, vom tiefsten Baß bis zum höchsten Sopran.
»Nein,