sagte sie lächelnd. »Mein Name ist Stefanie Wagner, ich vertrete unseren Direktor, in dessen Namen ich Sie herzlich hier im Haus begrüße. Herr Wingensiefen ist leider krank geworden.«
»Das tut mir leid«, erwiderte er höflich und fuhr dann fort: »Das ist ein schöner Bau.« Dazu machte er eine Handbewegung, die das ganze Hotel einzuschließen schien. »Ich war noch nie hier, aber es gefällt mir schon jetzt.«
»Und das soll auch so bleiben«, versprach sie. »Ihr Gepäck ist schon nach oben gebracht worden, nicht wahr? Darf ich Ihnen Ihre Suite zeigen?«
»Gern«, sagte er und zeigte wieder sein strahlendes Lächeln. »Wissen Sie«, er senkte vertraulich die Stimme, »ich bin fast froh, daß Ihr Direktor krank geworden ist – sonst wäre ich vielleicht gar nicht in den Genuß dieses Empfanges durch Sie gekommen?«
»Sicher nicht«, bestätigte Stefanie. »Aber wir wären uns sicher trotzdem irgendwo begegnet. Ich bin sehr häufig hier im Haus unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen.«
»Und das machen Sie garantiert hervorragend«, stellte er fest.
»Wir sind da«, sagte Stefanie, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Es passierte ihr oft, daß männliche Gäste versuchten, mit ihr zu flirten. Sie ging höflich darauf ein, soweit es im Rahmen blieb, aber sie zog immer sehr frühzeitig die Notbremse. Komplikationen dieser Art konnte sie an ihrem Arbeitsplatz nicht gebrauchen. Allerdings waren die meisten Männer nicht halb so charmant wie dieser amerikanische Arzt.
Sie ging voran zu seiner Suite. »Sie halten morgen einen Vortrag, nicht wahr?«
»Sie sind gut informiert«, bemerkte er. »Und wissen Sie auch schon, wo ich meinen Abend verbringe?«
»Nein, natürlich nicht.«
»In der Kurfürsten-Klinik«, sagte er.
Stefanie schaffte es, ihn nicht merken zu lassen, daß allein bei der Erwähnung dieses Krankenhauses ihr Herz schneller anfing zu klopfen – denn an der Kurfürsten-Klinik arbeitete Dr. Adrian Winter, jener Mann, zu dem sie sich unwiderstehlich hingezogen fühlte, obwohl er leider bisher keinerlei Annäherungsversuche gemacht hatte.
»So«, sagte sie mit betont gleichmütiger Stimme, »und was tun Sie an der Kurfürsten-Klinik?«
»Ich diskutiere dort mit einigen interessierten Kollegen mein neues Operationsverfahren«, erklärte er. »Und ich muß sagen, daß ich sehr gespannt bin. Die Kurfürsten-Klinik ist bekannt, wissen Sie? Vor allem für die Arbeit der dortigen Notaufnahme.«
Dieses Mal fiel es Stefanie schwerer, äußerlich gelassen zu bleiben. Adrian Winter leitete die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik, er würde also zweifellos zu den Ärzten gehören, mit denen Dr. Bacharach zusammentraf. Sollte Sie...? Bevor sie noch zu Ende gedacht hatte, hörte sie sich schon sagen: »Ich kenne Dr. Winter, der die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik leitet. Bitte, richten Sie ihm einen herzlichen Gruß von mir aus.«
Ein neugieriger Blick traf sie. »Sie kennen Dr. Winter, Frau Wagner? O bitte, dann müssen Sie mir einen Gefallen tun: Erzählen Sie mir ein bißchen über ihn. Ich interessiere mich nämlich sehr für seine Arbeit. Alle Artikel, die er bisher über die Notfallchirurgie veröffentlicht hat, habe ich gelesen.«
»Ich... ich kann Ihnen eigentlich nichts sagen«, erwiderte sie verlegen. Warum nur hatte sie sich nicht ganz fest auf die Zunge gebissen und ihre Bemerkung hinuntergeschluckt? Sie hätte sich selbst am liebsten geohrfeigt für ihr unbedachtes Verhalten. »Ich weiß nicht sehr viel über ihn.«
Doch das ließ er nicht gelten. »Ach, was«, meinte er unbekümmert. »Kommen Sie, wir gehen unten in Ihrer eleganten Bar einen Kaffee trinken – und Sie erzählen mir, was für ein Typ dieser Dr. Winter ist. Dann bin ich wenigstens ein bißchen vorbereitet.«
Stefanies Versuche, sich dieser Einladung zu entziehen, scheiterten an Dr. Bacharachs freundlicher Unerbittlichkeit, und so fand sie sich kurz darauf mit ihm in der Bar wieder und erzählte ihm von einigen ihrer Begegnungen mit Dr. Adrian Winter, wobei sie die rein privaten sorgfältig aussparte. Aber schließlich hatte sie den jungen Arzt schon ein paarmal in Aktion erlebt: Vor nicht allzu langer Zeit erst hatte er zum Beispiel einem Gast des Hotels das Leben gerettet. Sie erzählte diese und andere dramatische Begebenheiten mit einem guten Gespür für Spannung, und so unterhielt sich der charmante Amerikaner großartig. Stefanie freilich merkte gar nicht, daß sie viel mehr von ihrer großen Zuneigung zu Adrian Winter verriet, als sie beabsichtigt hatte.
*
Ann Kathrin bestand darauf, Clemens »Papi« zu nennen, seit er mit Natalie verheiratet war. »Es ist doof, wenn alle anderen Papis haben und ich nicht«, hatte sie erklärt. »Ich will nicht mehr ›Onkel Clemens‹ sagen, ein Onkel ist nichts Besonderes.«
»Ich freue mich, wenn du mich ›Papi‹ nennst«, hatte Clemens erklärt – und damit war die Sache ein für allemal entschieden.
An diesem Abend saßen sie zu dritt beim Essen. Ann Kathrin erzählte lebhaft aus dem Kindergarten, Clemens stellte ihr eine Menge Fragen, nur Natalie schien mit ihren Gedanken weit fort zu sein. Sie beteiligte sich kaum am Gespräch, und tat sie es doch, so geschah es einsilbig und zerstreut.
Clemens hatte sie schon einige Male besorgt angesehen, aber sie hatte es nicht bemerkt. Schließlich fragte er leise: »Was ist denn, Liebes? Geht’s dir nicht gut?« Zärtlich legte er eine Hand auf ihren Arm.
Sie schrak ein wenig zusammen, dann lächelte sie – ein flüchtiges Lächeln, das es nicht bis in ihre Augen schaffte. Diese blieben so traurig, wie sie gewesen waren, nur ihre Mundwinkel bogen sich nach oben. »Nein, nein«, beteuerte sie, »alles in Ordnung, wirklich. Ich habe nur gerade über etwas nachgedacht.«
»Worüber?« wollte ihre Tochter wissen. »Worüber hast du nachgedacht, Mami?«
Natalie wich ihr aus. »Ach, über nichts Besonderes. Wollen wir am Wochenende ins Kino gehen? Es läuft ein Film, der dich vielleicht interessiert, Kati – ein Zeichentrickfilm.« Sie überlegte kurz und sagte dann den Titel.
Ann Kathrin hopste aufgeregt auf ihrem Stuhl hin und her. »Denis hat ihn schon gesehen und gesagt, er ist klasse, Mami. Gehen wir wirklich hin? Wirklich, wirklich?«
»Wirklich«, sagte Clemens. »Und nun hör auf zu hopsen, Kati, sonst hopst du noch den Stuhl durch und landest plötzlich auf dem Fußboden.«
Diesen Gedanken fand Ann Kathrin zu komisch, er brachte sie zum Kichern. Immerhin saß sie nun still. Dann fragte sie: »Kann ich aufstehen? Ich hab’ gar keinen Hunger mehr!«
»Geh nur!«
Es war Clemens ganz recht, endlich mit Natalie allein zu sein. »Was ist los mit dir?« wiederholte er seine Frage, als die Kleine gegangen war. »Sag mir die Wahrheit, Natalie!«
»Dr. Scholz hat wieder angerufen. Das hat er ja schon öfter getan, aber dieses Mal klang seine Stimme irgendwie drängend – so als sei etwas passiert. Ich frage mich, ob ich vielleicht doch noch einmal zu ihm gehen sollte.«
»Ganz bestimmt solltest du das!« sagte er energisch. »Du kennst meine Meinung zu diesem Thema, aber ich kann dich ja nicht gut mit Gewalt zum Arzt schleppen. Meiner Meinung nach solltest du ständig unter ärztlicher Beobachtung sein, Natalie. Ich begreife sowieso nicht, wie du diese ständige Unsicherheit aushältst.«
»Ich verdränge den Tumor«, erklärte sie ruhig. »Nur so kann ich weiterleben. Und deshalb will ich auch nicht zum Arzt, denn das erinnert mich ständig daran, daß in meinem Körper eine Zeitbombe tickt.«
»Ich kann es nicht verdrängen«, sagte er leise. »Im Gegenteil: Ich muß immerzu daran denken. Könntest du es nicht meinetwegen tun, Natalie? Zum Arzt gehen, meine ich?«
Als sie ihn ansah, wurde ihr Gesicht weich, und dieses Mal lächelte sie wirklich. »Ja, das kann ich, Clemens. Du hast so viel für mich getan, daß ich mich ruhig einmal revanchieren kann.«
Er schüttelte den Kopf. »Das möchte ich nicht. Es hört sich so an, als erwarte ich eine Gegenleistung von dir – aber