5.1 Fehlzeitenmanagement im Pflegebereich
5.2 Prozessoptimierungen im Casemanagement
5.3 Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde
1 Hinführung zum Thema
Was tun, wenn die Arbeitsmotivation eines Mitarbeitenden unter null gesunken ist und er sich mit einer mehr oder weniger langen Krankschreibung aus dem Arbeitsprozess abgemeldet hat?
Der häufigste Reflex von Arbeitgebern ist: "Das kann ich doch gar nicht beeinflussen.
Das entscheiden die Ärzte." Die Vergleichsdaten aus verschiedenen europäischen Ländern zeigen, dass bei der gleichen Diagnose – unspezifische Rückenschmerzen – sowohl die Dauer der Arbeitsunfähigkeit als auch die Rückkehrwahrscheinlichkeit in den Arbeitsprozess sehr unterschiedlich ist: je nach dem, in welchem Land der EU man lebt und arbeitet, ob man eine Familie hat oder alleine wohnt, und wie gut man qualifiziert ist. Bemerkenswerterweise hat die medizinische Therapie keinen Einfluss auf die Rückkehr in den Arbeitsprozess
(Bloch & Prins, 2001, p. 278).
Abb 1 Who returns to work and why? (Bloch & Prins, 2001).
Während in den Niederlanden ca. zwei Drittel der RückenschmerzpatientInnen nach ein bis zwei Jahren in den Arbeitsprozess zurückgekehrt sind, waren es in Deutschland oder Dänemark nur ein Drittel. Der augenfälligste Unterschied zwischen diesen beiden Extrempunkten ist die Verantwortung des Arbeitgebers. In den Niederlanden muss der Arbeitgeber bis zu zwei Jahre nach Beginn der Erkrankung die Lohnkosten übernehmen, in Deutschland oder Dänemark erlischt diese Pflicht nach sechs bzw. acht Wochen. Die Verantwortung für die Mitarbeitenden wird an ein umlagefinanziertes anonymes Versicherungssystem abgegeben – Zyniker würden das als organisierte Verantwortungslosigkeit bezeichnen.
Aber sogar in einem kleinen Land wie der Schweiz – und theoretisch gleichen Rahmenbedingungen durch Arbeitsrecht und Sozialversicherungen – variieren die bewilligten Erwerbsunfähigkeitsrenten bis um das Dreifache. Im schweizerischen Durchschnittschnitt liegt die Neuberentungsquote bei 0,28 % der ständigen Wohnbevölkerung; der Kanton Nidwalden liegt mit 0,13 % deutlich darunter, die Stadt Basel hingegen mit 0,40 % deutlich darüber (IV-Statistik 2017).
Auch beim Bestand von Erwerbsunfähigkeitsrenten sind die BaslerInnen einsame Spitze: 8,5% der versicherten Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bezieht eine solche Rente, deutlich abgeschlagen dahinter die JurassierInnen mit 6,6 %, ganz am Ende der Tabelle wieder zwei Urkantone, Nidwalden und Uri, wo nur 3,6 bzw. 3,2 % der versicherten Bevölkerung eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen.
Die vertiefte Untersuchung von Langzeitkranken mithilfe psychologischer Fragebogen zeigt, dass es – neben den systemischen Rahmenbedingungen von Arbeits- und Sozialversicherungsrecht – insbesondere individuelle Merkmale gibt, welche die Rückkehr in den Arbeitsprozess erschweren. Eher depressive Denkmuster, Ängstlichkeit und geringes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten behindern die Rückkehr in den Arbeitsprozess.
Ebenso eine geringere Arbeitszufriedenheit vor der Erkrankung oder dem Unfall. Eigentlich eine sehr gesunde Reaktion; wäre es nicht selbstzerstörerisch, in eine Situation zurückzukehren, in der man sich nicht wohlgefühlt hat? Aber wie eine andere, bessere
Arbeit finden, wenn man vielleicht schon längst resigniert hat? Typische Aussagen dazu sind: "Ich muss froh sein, dass ich überhaupt eine Arbeit habe, hier in der Gegend, in meinem Alter, als Frau ... " oder "In anderen Organisationen ist es auch nicht besser." Bruggemann hat diese Form der Arbeitszufriedenheit als resignativ bezeichnet. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass der betroffene Mitarbeiter ursprünglich viel höhere Erwartungen an die Arbeitsinhalte, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten oder die sozialen Beziehungen bei der Arbeit hatte, und diese Ansprüche angesichts der Realität deutlich reduziert wurden. Hält diese resignative Arbeitszufriedenheit längere Zeit an, wird daraus fixierte Arbeitsunzufriedenheit. Kennzeichnend dafür sind Aussagen wie: "Irgendwie bin ich mit meiner Arbeit unzufrieden, aber ich weiss auch nicht, was ich tun soll" (Baumgartner & Udris, 2006; Bruggemann, Groskurth & Ulich, 1975). - Wunschloses Unglück.
Diese Verbindung zwischen Seele und Körper soll der Ansatzpunkt für diesen Leitfaden zur beruflichen Wiedereingliederung sein. Auch bei scheinbar unumstösslichen medizinischen Diagnosen gibt es einige Möglichkeiten für Arbeitgeber, die Rückkehr in den Arbeitsprozess von erkrankten Mitarbeitenden zu erleichtern, so dass Know-how erhalten und Störungen
in bewährten Arbeitsabläufen vermieden werden können; damit kann auch die Qualität von Produkten oder Dienstleistungen gesichert, Kostensteigerungen vermieden und die Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit erhalten werden.
Eine (betriebliche Leistungs-)Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied: Ein krankgeschriebener Mitarbeiter weist also erst einmal darauf hin, dass die Aufgaben an einem Arbeitsplatz wenig Befriedigungspotential bieten und sich mit hohen Anforderungen
zu einem krankmachenden Wirkungsgefüge vereinigen. Dabei sind "hohe Anforderungen" nicht gleichbedeutend mit hoher Qualifikation, sondern häufiger hohe Anforderungen an Konzentration, Genauigkeit oder Eingehen auf Kundenwünsche wie beispielsweise bei der Fertigungskontrolle oder bei telefonischen Auskunftsdiensten, wo pro Minute durchschnittlich drei Anrufe beantwortet werden. Das sind in einer normalen 8-Stunden-Schicht über 1'000 Anrufe.
Traue (1998, p. 129ff) konnte in seinen Forschungsarbeiten für verschiedene Krankheitsbilder nachweisen, dass schweren körperlichen Erkrankungen jahrelange negative Gefühlszustände vorausgehen, Gefühle von Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Unbewältigte Verlusterfahrungen beispielsweise erhöhen massiv das Risiko von Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen. Diese Verlusterfahrungen müssen auch nicht so existentiell sein wie der Verlust enger FreundInnen oder Familienmitglieder. Die stetige Wiederkehr täglicher kleiner Ärgernisse – in der Forschung als "little hazzles" bezeichnet – erhöht das Risiko seelischer und körperlicher Erkrankungen ebenso sehr. Dazu kann auch die als schleichende Dequalifizierung erlebte Veränderung von Tätigkeiten erlebt werden, wenn durch immer mehr Arbeitsvorgaben und Vorschriften der Tätigkeitsspielraum eingeschränkt wird. Angefangen bei den Gesundheitsberufen, wo es zu immer mehr häufigen Diagnosen genaue Empfehlungen zur leitliniengerechten Behandlung gibt. Aber was tun, wenn eine Patientin damit nicht einverstanden ist, sie nicht an die Wirksamkeit der vorgeschlagenen, wissenschaftlich begründeten Behandlung glaubt?
Dieser Leitfaden soll also dazu ermuntern, miese Stimmung und negative Gefühle ernst zu nehmen – auch wenn das auf den ersten Blick eine denkbar unangenehme Aufgabe für Führungskräfte und Personalverantwortliche ist. Aber vielleicht können Sie das auch als Herausforderung nehmen, Ihren Einfallsreichtum zu nutzen und in scheinbar unauflöslich schwierigen Situationen den Funken schlagen, der das schwere Dunkel erhellt? Der Lohn dafür ist, dass Sie von unerwarteten, kritischen Personalsituationen nicht mehr überrascht werden. Stattdessen sind Sie innerlich bereits gut vorbereitet, und haben im besten Fall auch schon einen Plan B bereit (Weick & Sutcliffe, 20102).
Auf