glänzte.
»Guten Tag, Mr. Nelson.«
»Guten Morgen«, entgegnete Frank und nickte zurück. Er mochte den markanten, britischen Akzent des Mannes. Über den Marmorboden ging er zu den Fahrstühlen, wo einer mit offener Tür wartete, und drückte den Knopf für den Fünften. Die antiquierte Fahrstuhlkabine rumpelte zum obersten Stockwerk hinauf und die Türen öffneten sich. Ihr mechanischer Protest wurden durch eine dicke Schicht Schmierfett gedämpft. Er ging am noch unbesetzten Tisch seiner Sekretärin vorbei zu seinem Büro. Der Türknauf drehte sich erst, nachdem er seine Fingerabdrücke eingelesen hatte. Die Tür schwang auf, um den Blick auf zwei Männer freizugeben, die an seinem Schreibtisch lehnten, einem antiken Stück aus Mahagoni, das schon seinem Vater und seinem Großvater gehört hatte. Vor Schreck ließ Frank seinen Kaffee fallen und stieß einen Schrei aus, als ihm das heiße Gebräu gegen sein Hosenbein spritzte.
»Hallo, Mr. Nelson«, sagte der Massigere der beiden. »Schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Tony und mein Kollege hier ist Slim.«
Beide Männer trugen Anzüge, aber keiner von ihnen schien wirklich hineinzupassen. Der dünnere namens Slim hatte zurück gegeltes Haar und Tattoos blitzten unter seinen Hemdsärmeln hervor. Keiner der beiden machte Anstalten, sich von seinem Schreibtisch zu erheben.
Slim kicherte und holte einen Metallkasten mit zwei Antennen aus einer Ledertasche. »Es wird gar nicht wehtun.«
Er stellte den Kasten auf den Tisch und legte einen Schalter um.
Frank hatte nicht einmal Zeit zu protestieren. Als das Gerät eingeschaltet wurde, sah er doppelt und die beiden Männer schienen zu verschwimmen. Plötzlich war er acht Jahre alt und befand sich in dem gleichen Raum, nur fünfundzwanzig Jahre früher. Sein Vater saß hinter dem Schreibtisch.
»Komm zu mir Frank, ich möchte dir etwas zeigen.« Er zögerte. Sein Vater ließ sich eigentlich nicht gerne bei der Arbeit stören. Frank kam ein wenig näher heran.
»Nun komm schon, mein Junge, ich will dir zeigen, was ich hier tue. Eines Tages wirst du selbst ein bedeutender Investmentberater sein.«
Er ging den Rest des Weges hinüber zu seinem Vater. Der legte ihm einen Arm um die Schulter und begann, ihm die Symbole auf dem Bildschirm zu erklären. Er mochte das kratzige Gefühl der rasierten Wange seines Vaters und den Geruch des Aftershaves. Frank starrte auf den Bildschirm und versuchte zu verstehen.
Die Szene verschwand und Frank war älter. Jetzt saß er hinter dem Schreibtisch, sah Unterlagen durch, die Anlagekonten von Senator Watson. Er überflog die Transaktionshistorie. Auch diese Szene wurde durch eine weitere ersetzt, sein erstes Date mit der Frau, die er später heiraten würde.
Die beiden Männer saßen auf dem Tisch und beobachteten Frank Nelson, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag und dessen Gesichtszüge in rascher Folge verschiedenste Emotionen widerspiegelten: Lachen, Tränen, Furcht. Sein Gesicht schien alle Gefühle auf einmal zu zeigen.
»Na gut, vielleicht tut es doch ein bisschen weh«, sagte Slim. »Aber das ist doch kein Grund zur Sorge, oder? Nein, Sir.«
Sie warteten etwa zehn Minuten, bis die Maschine mit einem Doppelpiep er ihre Arbeit einstellte.
»Lass uns verschwinden«, sagte Tony.
Slim nahm die Maschine und steckte sie zurück in die Tasche. Vorsichtig kletterten sie über Frank Nelsons Leichnam hinweg. Tony schloss die Tür hinter sich und drückte seelenruhig auf den Aufzugknopf.
»Wir müssen seine Erinnerungen an Adam schicken«, sagte Slim. »Er verspricht sich etwas ganz Besonderes von diesem Kerl. Und wir haben noch weitere Leute auf der Liste, die wir besuchen müssen.«
»Wie viele noch?«, fragte Tony.
»Acht. Der nächste ist in San Diego.«
»Was? Wieder quer durchs ganze Land fliegen?«
»Nope. Diesmal nehmen wir den Bus.«
»Ach du lieber Himmel.«
»Hör auf, dich zu beschweren«, knurrte Slim. »Willst du lieber wieder Drogen von einem rostigen Motorrad aus verkaufen? Erinnerst du dich an das Stück Schrott, das ich fahren musste und an die Freaks, mit denen wir es zu tun hatten?«
Tony schüttelte den Kopf und schmollte.
»Das hier ist eine saubere Sache«, erklärte Slim grinsend. »Wir haben echt den einfachsten Job in der Welt.«
Kapitel 9
Mike wartete und streckte sein Gesicht der Sonne entgegen. Er warf einen Blick zu Leon hinüber, der gerade eine Collegestudentin ansprach. Man konnte nichts tun, außer gelassen zu bleiben, wenn Leon sich in jemanden verguckte. Mike fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er Leons Beispiel vielleicht folgen sollte. Er schaute sich die dicht bevölkerten Gehwege an mit ihrer Mischung aus Büroangestellten und Studenten, die es alle schrecklich eilig zu haben schienen.
Leon hatte jetzt eine Hand auf den Arm der Frau gelegt. Vom sandfarbenen Haar über seine markanten, slawischen Wangenknochen bis hin zu seiner Offenherzigkeit war der Junge einfach ein Magnet für Frauen.
Er grummelte, als er über sein eigenes braunes Haar und sein Allerweltsgesicht sinnierte. Wenn er in den Spiegel blickte, sah er immer noch denselben Teenager, der früher die ganze Nacht hindurch ›Civilization‹ gespielt hatte, abgesehen davon, dass er jetzt fünfzig Jahre alt war und seine Knie schmerzten, wenn er eine Treppe hinaufging.
Sein Leben hatte ihm keine Zeit für Romanzen gelassen. Zehn Jahre lang war er das ›Kindermädchen‹ von ELOPe gewesen, der ersten KI, deren Existenz er geheim halten musste. Schon damals konnte er keine ernsthafte Beziehung aufrecht erhalten. Vielleicht gab es Menschen, die eine echte, tiefe Beziehung führen konnten, während sie ihre Identität und ihre Tätigkeit geheim hielten, aber er konnte das nicht. In der Realität war das Wissen um ELOPes Existenz eine Lebensaufgabe gewesen. Und in den letzten zehn Jahren waren Leon und er die Architekten einer Mensch-KI-Gesellschaft geworden, wobei sie einen kompletten Satz Normen und Regeln geschaffen hatten, um die Balance der Macht nicht kippen zu lassen und um zu verhindern, dass eine amoklaufende KI die Menschheit auslöschte. Es war kein Wunder, dass er keine Zeit für eine Beziehung gefunden hatte.
Doch Leon hatte das in den letzten zehn Jahren nicht aufgehalten. Er schüttelte den Kopf, als könnte er die unbequemen Gedanken vertreiben, und wandte mit verschränkten Armen seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. Was sollte er jetzt mit seinem Leben anfangen? Würde er es weiterhin als Single verbringen?
Auf der anderen Straßenseite kam ihm eine Menschenmenge aus älteren Erwachsenen und Jugendlichen im Collegealter entgegen, die sich gegenseitig anfeuerten. Ganz vorne ging ein Mann mit einem Schild, der die Gruppe antrieb. ›Keine Korrumpierte Intelligenz‹ stand darauf, ein Echo dessen, was die Menge skandierte. Na toll, jetzt waren sie also gegen Neuralimplantate und gegen KIs. Dreißig, vielleicht auch vierzig Personen marschierten an ihm vorbei. Eine Mutter mit einem Baby in einer Rückentrage folgte der Gruppe mit einem eigenen Schild, auf dem ›Keine Rechte für Roboter‹ stand.
Mike verzog sein Gesicht und wartete, bis die Leute außer Sicht waren. Ein paar Sekunden später tauchte Leon neben ihm auf. »Und?«, fragte Mike und versuchte, seine Bedenken wegen der Demonstranten zu verdrängen.
»Wir gehen am Freitag aus. Warum kommst du nicht mit? Sie hat eine Zimmergenossin, die gerade ihren Abschluss in Englischer Literatur und Philosophie macht.«
Mike schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Wenn es nicht gerade ihre Mutter ist, dann wird das nichts mit uns. Die Kleine ist doch mehr als zwanzig Jahre jünger als ich.«
»Ist doch egal. Niemand stört sich noch an so etwas.«
»Ich habe keine Zeit für eine Beziehung.«
»Es ist nur eine Verabredung. Mehr nicht. Ich weiß doch, dass du Zeit für ein Abendessen hast. Weil wir heute zusammen essen.«
Mike erinnerte sich an seine düsteren Gedanken