William Hertling

DIE LETZTE FIREWALL


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hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Halt die Klappe und hau ab.« Sie war nicht in der Stimmung, um ihm eine Erklärung zu geben. Weder über ihre Fähigkeit, das Netz zu manipulieren, noch über sonst irgendetwas.

      Catherine drehte ihm den Rücken zu, ging wieder nach unten und fand sich ein paar Sekunden später heulend in Maggies mütterlicher Umarmung wieder. Verdammte, dämliche Männer. Bescheuertes Implantat. Sie war, so schien es, die einzige Person auf der ganzen weiten Welt, die sich nicht mit einem anderen Menschen verlinken konnte.

      Sie hob ihren Kopf von Maggies Schulter und trocknete ihre Tränen mit dem Ärmel.

      Tom saß immer noch da und bekam nichts von dem Drama mit, da er nach wie vor im Netz verschollen war.

      Maggie zwang sie, am Küchentresen auf einem der Barhocker Platz zu nehmen. Ein dampfendes Stück Quiche lag auf einem Teller, der Geruch von Ziegenkäse und Lauch war verlockend. Maggie hielt ihr eine Gabel hin. Catherine stieß sie in die Quiche.

      »Lass es nicht am Essen aus, Kleines. Iss einfach.«

      Sie nahm ein paar Bissen, aber sie blieben ihr im Hals stecken. Das Knallen der Vordertür verkündete, dass Nick gegangen war. Nachdem sie ihr Essen lange genug auf dem Teller herum geschoben hatte, um nicht unhöflich zu erscheinen, stand sie auf.

      »Ich gehe jetzt zur Schule«, sagte sie in den Raum hinein.

      »Tut mir leid für dich, Schatz«, sagte Maggie und kam, um sie zu umarmen.

      Sarah wählte genau diesen Moment, um wieder in Erscheinung zu treten, dieses Mal angezogen.

      »Wozu die Mühe? Keiner von uns wird jemals einen Job kriegen.«

      Catherine starrte Sarah an und versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen.

      »Mein Schulstipendium zahlt unsere Miete. Du könntest zumindest dafür ein wenig Dankbarkeit zeigen.«

      Catherine stapfte an Sarah vorbei und ging zur Haustür.

      Kapitel 2

      Catherine lief eilig die Straße hinunter, um möglichst viel Abstand zwischen sich und das Haus zu bringen. Sie konnte nicht wirklich wütend auf Sarah sein. Sie hatten sich schon vorher Kerle geteilt. Das eigentliche Problem war, dass alle ihr Neuralimplantat für Sex benutzen konnten – alle außer Cat. Sie hatte wegen irgendeines Defekts an ihrem Implantat immer ein schmerzhaftes Feedback wie die Rückkopplung eines Lautsprechers beim Rockkonzert.

      Der enttäuschte Gesichtsausdruck von Nick sprach Bände, als sie ihm letzte Nacht gesagt hatte, dass sie sich nicht verlinken konnten. Selbst wenn das am Morgen nicht passiert wäre, dann hätte er sie doch bald vergessen. Ihr gesamtes Liebesleben war eine Abfolge enttäuschender One-Night-Stands.

      Das war nicht fair. Sie war doch für jeden Spaß zu haben, sie konnte sich einfach nur nicht verlinken.

      Die Straße hinter der nächsten Kreuzung war von großblättrigen Ahornbäumen gesäumt und sie tauchte in das gesprenkelte Sonnenlicht ein. Ein kleiner roter Roboter von der Größe eines Kindes wühlte sich durch den Müll der Nachbarn. Der Bot entdeckte eine Handvoll Elektronikschrott und legte seinen Fund vorsichtig in einen rostigen, grünen Karren. Catherine schickte ein reflexartiges ›Guten Morgen‹ über das Netz zum Bot. Er wich zurück, als Cat näher kam und antwortete nicht. Als sie an ihm vorbeiging, stutzte sie. Jemand hatte ihn angegriffen. Die rechte Seite seines Kopfes war eingedrückt und die optischen Sensoren hingen herunter. Sie blieb stehen. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.

      Der Roboter antwortete nicht, griff nur nach der Deichsel des Karrens und hinkte davon. Das laute Winseln eines Servos zeugte von weiteren Schäden. Catherine stand nur da und schaute dem Bot verblüfft nach, als er die Straße hinunter humpelte. So etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen.

      Verdammt. Mitbewohnerinnen, die mit deinen Freunden schliefen. Freunde, die mit deinen Mitbewohnerinnen schliefen. Roboter, die misshandelt wurden. Die ganze Welt ging zum Teufel. Sie setzte ihren Weg fort, während sie immer noch verständnislos den Kopf schüttelte.

      An der Hauptstraße blieb sie stehen. Der dichte Verkehr bestand hauptsächlich aus Bodenfahrzeugen, wenn auch gelegentlich ein neumodisches Hovercraft etwa fünfzehn Zentimeter über dem Asphalt an ihr vorbeischwebte. Ein einsames Lufttaxi kam aus einer Höhe von etwa dreihundert Metern herunter und reihte sich in den Verkehr am Boden ein.

      Normalerweise wäre sie einfach auf die Straße marschiert, in der sicheren Überzeugung, dass die autonomen Fahrzeuge ihr ausweichen würden. Aber Freitag vor zwei Wochen war hier ein Fußgänger gestorben: Abenteuerlustige hatten die KI ihres Fahrzeugs abgeschaltet und ein illegales Rennen durch die Innenstadt veranstaltet.

      Sie sah sich die Wegzeitberechnungen der fahrenden KIs in ihrer Nähe an und feixte. Sarah hasste Cats einzigartige Fähigkeit, das Netz zu manipulieren. Cat hatte es sonst noch niemandem erzählt. Sie befürchtete, dass sie mit dieser Fähigkeit zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte.

      Links und rechts legte ihr Implantat weiß leuchtende Linien über ihr Gesichtsfeld, die die möglichen Wege der heranfahrenden Fahrzeuge zeigten. Die Farbe der Linien wurde grauer, je weiter die Vorhersage in der Zukunft lag. Aus einem Impuls heraus erweiterte sie den Scan und dehnte den Bereich über ihre visuelle Wahrnehmung hinaus aus, bis die ganze Stadt Portland vor ihrem geistigen Auge erschien. In der Innenstadt waren die weißen Linien pink unterlegt, was auf eine gewisse Vorhersage-Unsicherheit der KIs in dichtem Verkehr hinwies. Auf den Schnellstraßen zeigten Ansammlungen von roten Punkten, dass KIs mit beinahe Lichtgeschwindigkeit reagierten, um sich den wenigen, noch manuell gesteuerten Fahrzeugen anzupassen. In ihrer Nähe war alles in Ordnung.

      Deshalb ignorierte sie die Autos, konzentrierte sich stattdessen auf die Radfahrer und überquerte vorsichtig die Straße.

      Auf der anderen Seite sprühte eine Gruppe Teenager Graffiti an eine Ladenfront. Sie hatten ihre Kapuzen so weit ins Gesicht gezogen, dass Kameras sie nicht identifizieren konnten. Der Inhaber, ein zierlicher Android in Menschenkleidung, protestierte, aber die Jugendlichen schrien ihn an und verspotteten ihn, drohten damit, auch ihn anzusprühen.

      Im Netz sah Catherine, wie der Android die Polizei zu Hilfe rief. Sie spürte eine Veränderung ein paar Straßen weiter, wo sich ein Polizeibot, der auf den Notruf reagierte, durch den Verkehr schlängelte.

      Die drei Teenager mussten ihre Neuralimplantate verlinkt haben, weil sie die Ankunft der Polizei ebenfalls vorausahnten und in die entgegengesetzte Richtung flohen - durch den Park, auf den Catherine gerade zulief. Der Ladenbesitzer inspizierte seine verunstaltete Ladenfront, sah sich um und ging in sein Geschäft zurück. Cat spürte die Verzweiflung ihr in den Magen fahren.

      Künstliche Intelligenzen, oder kurz KIs, nahmen die Form von Robotern an oder lebten als körperloses Bewusstsein im Netz. Vor etwa zehn Jahren erstmalig erschaffen, hatten sie mittlerweile fast alle wichtigen Tätigkeiten übernommen. Mit den KIs war auch die Wirtschaft gewachsen, bis die Einkommenssteuer erst abgeschafft und dann umgekehrt worden war: Jetzt erhielt jeder ein garantiertes Basiseinkommen, auch Stipendium genannt.

      Sie schüttelte den Kopf. Diese Protestbewegung der KIs war dumm und sinnlos. Es mochte nicht mehr viele Jobs geben, aber durch die niedrigen Kosten der von Robotern produzierten Waren plus das Stipendium gab es keine echte materielle Armut mehr. Das Stipendium deckte Unterkunft, Nahrung und den Grundbedarf ab. Der Besuch einer Schule oder eine gemeinnützige Tätigkeit führten zu einer Erhöhung des Stipendiums. Echte Karrieremenschen stürzten sich immer noch in die Arbeit oder produzierten handgearbeitete Waren für den Verkauf. Eigentlich konnte man viel mehr machen als je zuvor: sich künstlerisch betätigen, weite Reisen unternehmen und viele neue Lebenserfahrungen sammeln. Trotzdem hatten die Protestler, die jahrelang nur eine Randgruppe gewesen waren, in letzter Zeit an Einfluss gewonnen. Das Schlimmste an diesem neuen Trend waren die Gewalt und der Vandalismus. Zuzusehen, wie hilflose Bots angegriffen wurden, die durch ethische Sperren nicht in der Lage waren, sich selbst zu verteidigen, machte sie krank.

      Mit einem letzten Seufzer wandte