August Niemann

Pieter Maritz, der Buernsohn von Transvaal


Скачать книгу

seinen Untergebenen. Er und seine Söhne und Knechte peitschten die Anhänger der ehemaligen Fürsten, schossen sie bei geringen Anlässen tot, ermordeten ihre Kinder, mißhandelten die schwarzen Frauen und Mädchen. Als die Vorstellungen der beiden Häuptlinge nichts nützten, sondern der Buer immer übermütiger ward, da regte sich wilder Haß in ihrer Brust. Sie waren beide sehr geschickt im Gebrauch der Feuerwaffen und gute Reiter, und sie thaten ihrem Herrn gute Dienste, indem sie es vortrefflich verstanden, das von Räubern gestohlene Vieh wiederzufinden und zurückzubringen. Aber als sie nun ihre Bitten und Vorstellungen mißachtet sahen, weigerten sie sich eines Tages, nach einer von Buschmännern gestohlenen Herde auszureiten, und, wie man mir erzählt hat, wären sie auch nur die Opfer eines Betruges geworden, wenn sie fortgeritten wären. Denn dem Raube lag ein listiger Plan des Buern zu Grunde. Er fürchtete die Nähe der Häuptlinge und beabsichtigte, sie für immer zu entfernen. Ich lebte ehedem in jener Gegend, und daher kenne ich die ganze Geschichte so genau.

      »Als nun der Buer auf offenen Ungehorsam stieß, ward er zornig und sandte den Beiden eines Abends den Befehl, vor seiner Thür zu erscheinen. Sie kamen, aber da sie Gewaltthätigkeiten fürchteten, nahmen sie ihre Büchsen mit und hielten sie hinter ihren Rücken. Der Buer stürzte, als er sie kommen sah, wütend heraus, den Sjambock in der Hand, und schlug sofort mit einem Hiebe über den Kopf den jüngern Bruder, Fledermaus, zu Boden. Da ergriff Titus Afrikaner das Gewehr, und durch die Stirn geschossen fiel der Buer vorwärts auf sein Gesicht. Dann traten beide in das Haus. Die Frau des Buern kam ihnen voll Angst entgegen, denn sie hatte die Ermordung ihres Mannes gesehen. Sie warf sich ihnen weinend und um Gnade flehend zu Füßen. Sie versprachen ihr Schonung, aber verlangten alle Gewehre und alle Patronen, die im Hause wären. Als sie diese hatten, befahlen sie ihr, samt ihren Kindern die Nacht über im Hause zu bleiben und die Thür nicht zu verlassen. Dann gingen sie fort und verteilten die Waffen unter ihre Anhänger. Aber zwei Kinder des Buern befolgten die Warnung nicht, sondern liefen zur Hinterthür hinaus, um zu sehen, was die Schwarzen trieben. Sie wurden beide ermordet. Hiernach verschwanden Titus Afrikaner und Fledermaus nebst einem Haufen ihrer ehemaligen Unterthanen aus jener Gegend und zogen über den Vaalfluß. Sie verbargen sich in Höhlen und Schluchten der Drakensberge, und von dort aus machen sie Raubzüge. Sie sind der Schrecken weiter Landstriche. Mehrfach sind Kommandos gegen sie ausgesandt, die Regierung von Oranje wie die Regierung von Transvaal haben Preise auf ihre Köpfe gesetzt, aber bis jetzt ist es nicht gelungen, sie zu erwischen. Sie sind voll Mut und haben manches Gefecht bestanden. Einmal hat Titus Afrikaner ganz allein stundenlang gegen zwanzig Buern gefochten, indem er im Walde von Baum zu Baum und von Fels zu Fels schlüpfte, und er ist erst geflohen, als ihm das Gewehr in den Händen zerschossen wurde.«

       Der greise Missionar hatte aufmerksam zugehört, und ein Gedanke bewegte ihn.

      »Diese Leute sind hart behandelt worden,« sagte er, »und ich erkenne in dem, was sie gethan haben, Züge einer wilden, aber doch großartig angelegten Seele. Wenn irgendwo, so muß in solchen Herzen das Evangelium einen fruchtbaren Boden finden. Ich weiß jetzt, was ich zu thun habe. Ich will meinen Stab von neuem zur Hand nehmen und den Weg zu Titus Afrikaner und Fledermaus suchen.«

      Diese Erklärung des alten Mannes rief große Bewegung unter den Versammelten hervor, und alle drückten ihr Erstaunen aus. Sie stellten ihm ihre Bedenken vor, zählten die Schwierigkeiten auf, welche sein Vorhaben mit sich bringe, warnten ihn vor den Gefahren einer solchen Unternehmung und bezweifelten deren Erfolg.

      Aber der alte Mann blieb fest. Eine himmlische Ergebung und ein bewunderungswürdiger Mut strahlten aus seinen Augen. »Ihr fürchtet für mein Leben,« sagte er sanft, »aber seht ihr nicht, daß meine Jahre sich zu Ende neigen? Welche Verwendung des kleinen Restes meiner Kraft wäre kostbarer als diese Mission unter den wildesten der Heiden? Und ist nicht überall unser Leben in Gottes Hand? Wer sollte auf den Höchsten vertrauen, wenn nicht wir, die wir seine Diener sind unter den Heiden? Ich fühle in meinem Innern, daß das Herz dieser Räuber verstockt ist durch das Unrecht, welches die Christen ihnen thaten, daß es aber schmelzen wird unter der Flamme christlicher Liebe. Es sind wilde und grausame Männer, aber bedenkt, daß im Himmel mehr Freude ist über einen Sünder, der Buße thut, denn über hundert Gerechte.«

      »Ich denke, daß unser Bruder recht hat, wenn er meint, daß das göttliche Licht in den Seelen dieser Räuber nicht ganz erloschen ist,« sprach einer der Brüder. »Denn sie haben ja einst die Lehre gehört, und ein Rest davon schlummert sicherlich in ihren Herzen. Dafür ist mir ein Erlebnis, welches ich einst mit ihnen hatte, ein deutlicher Beweis. Zwar ist es eine Geschichte, die im Grunde lächerlich klingt, aber ich möchte sie doch als ein Beispiel dafür mitteilen, daß die Ehrfurcht vor dem Unsichtbaren in diesen Räubern lebt. Wo sich diese findet, da ist auch ein Anknüpfungspunkt für den Glauben an Christum gegeben.«

      Er ward gebeten, zu erzählen, welche Begegnung er mit den berüchtigten Räubern gehabt habe, und berichtete folgendermaßen: »Ich hatte eine kleine Station drüben am Walde, etwa anderthalb Meilen von hier, gegründet und war dort mehrere Jahre thätig. Ein Kirchlein und ein Haus, dazu vier oder fünf Hütten, bildeten unsere Kolonie. Damals hatte ich den Schmerz, meine geliebte Frau zu verlieren, sie ward neben der Kirche bestattet, und noch einige andere Gräber gesellten sich im Laufe der Zeit dazu, so daß ein kleiner Friedhof entstanden war. Als es unruhig im Lande und unsere Kolonie gefährdet ward, zogen wir ab und kamen hierher. Aber eines Tages, etwa ein Jahr, nachdem ich fort war, wandelte mich Sehnsucht nach der Stätte an, wo ich glücklich gewesen war, und nach dem Orte, wo der Leib meiner treuen Lebensgefährtin ruhte. Mit einem christlichen Kaffer zusammen wandelte ich dorthin zurück. Als wir uns aber der verlassenen Station näherten, kam es uns so vor, als wären wir nicht allein in der Gegend, und wir versteckten uns in einem Dickicht, etwa hundert Schritte von der Kirche, welche noch da stand. Da sahen wir denn einen Haufen von bewaffneten Schwarzen herankommen, welche sich den Gebäuden näherten, alsbald hineindrangen und zu plündern anfingen. Viel konnten sie unmöglich finden, aber was da war, das schleppten sie heraus. Und der Kaffer neben mir flüsterte mir zu, daß Fledermaus an der Spitze der Schar sei. Da bemerkte ich, daß einige verwundert an dem Friedhof standen und die Hügel betrachteten, welche mit Kreuzen geschmückt waren. Und einer von ihnen ging über die Hügel weg. Da ertönte, als seine Füße die eine Erhöhung überschritten, ein sanftes Tönen, welches aus der Erde hervordrang. Er stand bewegungslos, blickte über seine Schulter zurück und wußte offenbar vor Angst nicht, ob er davonlaufen oder stehen bleiben sollte. Endlich ermannte er sich und trat von neuem auf den Hügel. Wiederum erklangen aus der Erde sanfte Noten einer dahinsterbenden Musik. Da ergriff er die Flucht, und mit ihm liefen die andern fort, und sie holten ihren Häuptling herbei. Fledermaus kam tapfer heran und schritt auf die Erhöhung. Als er aber nun ebenfalls die Musik vernahm, da trat er ehrfurchtsvoll zur Seite, versammelte alle seine Begleiter um sich und redete lange mit ihnen. Und offenbar erinnerte er sich der Lehre früherer Zeiten, die er gehört, als er noch unter den Buern lebte: daß nämlich die Seele unsterblich sei und nicht mit dem Körper untergehe. Denn er redete in feierlicher Weise und mochte wohl seinen Genossen auseinandersetzen, daß die Toten, die dort lägen, es nicht billigten, daß ihre früheren Wohnungen beraubt würden. Als er nämlich aufgehört hatte zu reden, trugen sie alle ihre Beute wieder in das Haus zurück und entfernten sich schweigend und, wie mir schien, voll Scheu über das, was sie erlebt hatten.«

      »Und was war es mit der Musik?« fragte man.

      »Die geheimnisvollen Töne rührten von meinem Pianoforte her,« sagte der Missionar lächelnd. »Es war mir bei unserer Flucht unmöglich, das schwere Instrument mitzuschleppen; da es aber der Lieblingsgegenstand meiner seligen Frau gewesen und mir selbst sehr wert war, wollte ich es nicht ohne weiteres im Stiche lassen. So begrub ich es denn und türmte Erde gleich einem Grabhügel zum Schutze darüber. Der Boden ist dort so trocken, daß es fast gar nicht von Schimmel und Fäulnis ergriffen war, und seine Saiten ertönten unter den Füßen der Schwarzen auf ganz natürliche Weise.«

      Die Gespräche hatten Pieter Maritz nachdenklich gemacht, und als sich alle zur Ruhe begaben, folgte er seinem väterlichen Freunde und sagte mit bittendem Tone: »Nehmt mich mit Euch, Mynheer, wenn Ihr weiterzieht!«

      »O nein, mein Junge,« rief der Missionar erschreckt. »Das geht nicht an. Hier müssen sich unsere Wege scheiden. Du kehrst zurück, und ich gehe weiter.«